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Alex Cameron

Chris Rhodes

Ironie und Liebe vertragen sich nicht, auch nicht bei Alex Cameron

Der australische Musiker Alex Cameron hat mit „Miami Memory“ sein drittes Album veröffentlicht. Einst schmieriger, aber reflektierter Ironie-König, gibt er sich jetzt „persönlich“. Dabei geht einiges verloren.

Von Lisa Schneider

Am Anfang war Bruce Springsteen. Der Mann, der Lieder für und über sich selbst, vor allem aber für die, die nach ihm kommen, geschrieben hat. Die Texte wie einfach gehaltene Erbauungsliteratur und vielleicht gerade deshalb so fantastisch wirksam: Einmal mehr findet sich da ein junger Mensch in der Musik selbst. Sie lässt ihn den tristen Alltag überwinden.

Die Musik von Alex Cameron erinnert schon immer ein bisschen, gerade aber seit seinem aktuellen, gerade veröffentlichten, dritten Album „Miami Memory“ an die Songs von Bruce Springsteen. „Dad Rock“ könnte man schnöde sagen. So einfach ist es aber nicht, sonst würden sich bei Konzerten von Alex Cameron nicht so viele Hipster-Kids die erste Reihe reservieren.

Alex Cameron und sein Figurenarsenal

Was Alex Cameron von Bruce Springsteen - unabhängig vom verstärkten Synthesizer- und Glamrock-Einsatz - unterscheidet, ist seine Art, Geschichten zu erzählen. Der Boss berichtet vom tristen Aufwachsen in New Jersey, von den ersten Shows, von den klebrigen Bartresen, auf die die paar verdienten Kröten gezählt werden und später dann von den Feuerwerken, die er im Stadion in den Himmel jagt. Von den großen, von den kleinen Lieben seines Lebens: alle seine Geschichten eben.

Alex Cameron schreibt nicht über sich selbst, zumindest hat er das auf seinen ersten beiden Alben „Jumpin The Shark“ und „Forced Whitness“ nicht getan. Der Alex Cameron, den wir da hören, leiht seine Stimme seltsamen Personen, vorwiegend Männern. Vor allem am erwähnten zweiten Album „Forced Whitness“ haben wir es hier durchgehend mit Arschlöchern zu tun, wie Katharina Seidler schon sehr richtig festgehalten hat.

Alex Cameron hat bis jetzt also vorwiegend Songs über mittelalte Männer geschrieben, die Drogen, erniedrigende Pornografie oder den Sex mit Minderjährigen zu schätzen wissen. Die ihre Misogynie nicht nur nicht für sich behalten, sondern sie in jeder Bar nach dem zwanzigsten Stamperl brühwarm hinausposaunen. Die Wörter wie „faggot“ rufen, natürlich weiß sind und sich gerne und stolz politisch unkorrekt geben.

LIVE

Zurück in Wien: Am 13. Oktober ist Alex Cameron live im Wiener Flex zu sehen.

Was relativ ungemütlich klingt, klingt eben auf Platte seltsam annehmbar, oft sogar amüsant. Alex Cameron ist ein begnadeter Songschreiber, der seinen anfangs rumpeligen Gauner-Indie-Lo-Fi-Rock geschniegelt und mit Synthesizerspuren überzogen zum schneidigen Popprodukt gewandelt hat. Songs, zu denen man tanzen will, die das Beste aus verlorenen Indietagen, Americana und Folkrock zusammenbringen, ohne aus der Zeit gefallen zu klingen. Es sind auch diese hervorragenden Songs, die von Anfang an Alex Camerons weirde Geschichten gerettet haben, und gleichzeitig natürlich die offene und an richtiger Stelle subtile Ironie, mit der er an die von ihm besungenen Figuren herangeht.

Fast alles neu auf „Miami Memory“

Aktuell ist Alex Cameron verliebt und das seit drei Jahren. Jeder, der ihm auf Instagram folgt, weiß das. Mit dem Album „Miami Memory“, das er dezidiert seiner Lebenspartnerin, der Schauspielerin und Künstlerin Jemima Kirke gewidmet hat, weiß es jetzt auch die Offline-Welt.

Das Masken-Anlegen und In-Rollen-Schlüpfen lässt Alex Cameron für die neuen Songs weitestgehend hinter sich, vielmehr breitet er jetzt sein Privatleben ganz offen aus. Schon der Titelsong, „Miami Memory“, strotzt vor expliziten Lyrics über das scheinbar fantastische Sexleben der beiden: „Eating your ass like an oyster / the way you came like a tsunami“.

Dass Alex Cameron die große Geste - und die große Klappe - schon immer zu seinem Vorteil genutzt hat, ist mittlerweile klar. Solange noch Ironie mit im Spiel war, war das alles auch erträglich, ja, irgendwie sogar intellektuell. Wer’s verstanden hat, durfte mitlachen, ein schräger Geheimclub.

Cover "Miami Memory" Album Alex Cameron

Secretly Canadian

„Miami Memory“ von Alex Cameron erscheint via Secretly Canadian.

„Miami Memory“ jedenfalls ist ein Album geworden, das, wie Alex Cameron erzählt, ein feministisches sein soll, ein Statement. Und außerdem eben sein erstmals direktes, persönliches Sprachrohr. Dass der erste Schnitzer dann gleich mit erwähntem Titelsong passiert, tut ein bisschen weh. Vielleicht ist das Sexleben von Al Cam und Jemima Kirke tatsächlich so großartig; ob das für die restliche Welt von Interesse ist, sei dahingestellt. Anhören würde es sich jedenfalls besser, wäre es in weniger machoide Zeilen gepackt, wo nur ein lauter Orgasmus ein guter Orgasmus ist.

Alex Cameron schwankt am Album „Miami Memory“ zwischen dem Dasein als lieber Stiefvater („Stepdad“ hat er für die beiden Kinder von Jemima Kirke aus erster Ehe geschrieben), der Vorstellung vom Ende einer Liebe („Divorce“) und eher oberflächlichem Ansprechen von Problemen: „Far From Born Again“ erzählt mit Posaune und Doo-Wap-Feeling von den negativen Seiten weiblicher Sexarbeit, ohne dabei in die Tiefe zu gehen oder neue Erkenntnisse zu liefern.

Der Gipfel der Ironielosigkeit ist aber der Song „Bad For The Boys“. Da erzählt ein Mann in seinen 30ern, dass er es nicht gut findet, wenn sich andere Männer über Emanzipation beschweren. Die Frage ist, wen - vor allem welche Frau - das in der hier dargebrachten Oberflächlichkeit interessieren soll.

Oft ist die Phrase „seine/ihre persönlichsten Songs überhaupt“ als Lob verwendet worden. Es ist besonders schade, dass sich das im Fall von Alex Cameron ins Gegenteil verkehrt: „angestrengt ehrlich“ trifft es eher. Vielleicht ist das die tatsächlich einzige Krux, ein guter Schauspieler zu sein - dass das reale Leben auf einmal ziemlich fade wirkt.

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