FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Ein Poster von Cibelle Cavalli Bastos, das ein extravagantes, buntes Fest zeigt.

Socrates Mitsios

Zu Gast im Grand Hotel Abgrund

„Hier in Graz und in Europa scheint es, als wäre es unsere Aufgabe, das Leben zu genießen“, sagt Ekaterina Degot. Die Intendantin des steirischen herbst stellt das Festival für zeitgenössische Kunst ab 19.9. unter das Motto „Grand Hotel Abyss“.

Von Maria Motter

Vergnügen in apokalyptischen Zeiten - das klingt abgründig und genau damit will sich der steirische herbst dieses Jahr auseinandersetzen. Zwischen 19. September und 13. Oktober 2019 zeigt das Kunstfestival Installationen, Performances und Ausstellungen unter dem Motto „Grand Hotel Abyss“ - Untertitel „ein angenehmer Weltuntergang“, denn „Abyss“ bedeutet Abgrund. Es ist also ein Grand Hotel der Abgründigkeit, das Ekaterina Degot, die Intendantin, Donnerstagnachmittag eröffnen wird.

Doch nach einer großen herbst-Ausstellung an einem Ort sucht man im Programm vergeblich. Denn auch in ihrem zweiten Jahr als Intendantin platziert Ekaterina Degot das Programm in unterschiedlichen Häusern und Kunstobjekte im öffentlichen Raum.

Einer der rund vierzig Künstler*innen, die mit Arbeiten am „Grand Hotel Abyss“ beteiligt sind, ist Eduard Freudmann. Er hat sich das Denkmal im Grazer Stadtpark vorgenommen, das an die Befreiung durch die Alliierten erinnern soll, und darauf den Schriftzug „Ö Du Opfer“ angebracht. Wie Politik mit Kunst verbunden ist, das ist eine zentrale Frage im steirischen herbst.

Der Künstler Eduard Freudmann hat sich das Befreiungsdenkmal im Grazer Stadtpark vorgenommen und den Schriftzug "Ö Du Opfer" angebracht

Nicolas Galani

Ein Reigen an Performances eröffnet den steirischen herbst

Eröffnet wird der steirische herbst 2019 heute Nachmittag öffentlich im Landhaushof. Danach geht es mit einer „Eröffnungs-Extravaganza“ im Grazer Congress weiter: Ein Reigen an Performances von Jakob Lena Knebel und Bodybuildern, Gernot Wieland, Erna Ómarsdóttir und Valdimir Jóhannsson u.a. sowie einer Installation von Cibele Cavall Bastos und Auftritten von Jule Flierl u.a. Zum Abschluss des Eröffnungsabends spielen Fatima Spar & The Freedom Fries.

Hedonismus in apokalyptischen Zeiten und Kunst dazu

Jakob Lena Knebl, Richard, 2019

Christian Benesch

Jakob Lena Knebl, Richard, 2019

Wie sehr Genuss in Graz auf Kunst projiziert würde, das hätte Ekaterina Degot amüsiert und zum diesjährigen Festivalthema angeregt. „Kulturgenuss, Kunstgenuss, Genusskultur, Genusskunst - das ist alles gemischt. Wenn man von der Tradition der Avantgarde und sozusagen der Moderne kommt, ist das nicht, was als eine Aufgabe von Kunst zu sehen ist. Überhaupt nicht“, sagt Degot über ihr Selbst-Verständnis und über die Tradition Bildender Kunst.

Doch sie räumt auch ein, dass es Menschen gibt, die Genuss an Provokationen finden und daran, etwas Kritisches über das eigene Leben anzuschauen. Ob der steirische herbst das bedienen wird, wird man sehen. Das Thema des herbst müsse immer in zwei Richtungen funktonieren. „Zum einen sind wir Realisten, wir müssen etwas reflektieren, was in unserer sozialen Realität existiert“, so die Intendantin.

Manch eine Veranstaltungsbeschreibung liest sich wie eine Persiflage auf den zeitgenössischen Kunstbetrieb. „Zur Dialektik von Genuss und Ideologie - Die Weinstraße zwischen Nazis und Putin“, so wird etwa eine „Diskussion und Finissage“ zum Abschluss des steirischen herbst am 13.10. als „Nachmittag bei Wein und Musik“ angekündigt, mit der Grünen EU-Parlamentarierin, Köchin und Unternehmerin Sarah Wiener als special guest und konzipiert vom Russlandkenner und Journalisten Herwig Höller. Da fühlt man sich bei der Reservierung zur Veranstaltung ein Stück weit vorgeführt. Die Inszenierung greift schon.

Ariel Efraim Ashbel, Eva Illouz und Jeremy Deller

Das Thema „Tourismus, aber kritisch“ wirkt voerst sehr 90er. Doch die Vorankündigungen der einzelnen künstlerischen Arbeiten lesen sich interessant und für die einzelnen Kunstwerke sollte man sich genügend Zeit nehmen. Einer Reizüberflutung im Marschschritt arbeitet das Konzept des herbsts erfreulich entgegen.

„no apocalypse not now“ hat der israelische Künstler Ariel Efraim Ashbel seine Performance betitelt. Die Mischung aus Konzert, Theater und bildender Kunst könnte ein Highlight der Performances im diesjährigen herbst werden, in Aussicht gestellt wird im Ankündigungstext ein Endzeitszenario und doch auch die Sehnsucht nach der zweiten Chance.

Die Soziologin Eva Illouz hat in ihren Büchern schon mehrfach erklärt, wie der Kapitalismus unser Liebesleben mitbestimmt. Zuletzt hat sie erklärt, warum Liebe enden muss. Freitagnachmittag spricht sie über das Glücksdiktat - nicht gerade zur Primetime, sondern um 16.00 im Grazer Orpheum.

Im Künstlerhaus, Halle für Kunst und Medien, setzt sich Jeremy Deller mit dem Brexit auseinander, am Samstag spricht der britische Künstler mit Jasmina Cibic, die ebenfalls in der Ausstellung „Grand Hotel Abyss“ vertreten ist. Dort werden neun Videoarbeiten zu sehen sein.

Ein Sitzungssaal

Jasmina Cibic

Ein Still aus Jasmina Cibic’ „Das Geschenk – 1. Akt“

Vom Verschwinden erzählt die Installation „Plan B" von Artur Żmijewski in der Girardigasse. Schockierend sind seine Schwarz-Weiß-Fotografien des Projekts „In Between“, das die Vermessung nicht-europäischer Menschen dokumentiert. Artur Żmijewski hat sich schon vielfach mit Machtverhältnissen und tabuisierten Themen beschäftigt. Bekannt wurde der Pole 2004 durch die Videoarbeit „80064“, für die er einen Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz überredet hatte, sich die KZ-Nummer noch einmal tätowieren zu lassen. Später sagte Żmijewski in Interviews, man müsse ihm zugestehen, sich weiter zu entwickeln. Er wüsste nicht, ob er noch einmal so agieren und so brutal sein würde.

Artur Żmijewski, Foto aus der Serie In Between, 2018

Courtesy der Künstler und Galerie Peter Kilchmann, Zürich

Artur Żmijewski, Foto aus der Serie In Between, 2018

Theater im Bahnhof, Symbolfoto, 2019, Collage

Theater im Bahnhof

Theater im Bahnhof, Symbolfoto, 2019, Collage

Das Theater im Bahnhof ist Stammgast im steirischen herbst und hat einen „Men/ sch/ en/ Mar/ kt“ vorbereitet, der in der Markthalle Eggenberg ein „Spiel mit dem Teufelskreis“ bietet.

Am 3. Oktober startet dann das musikprotokoll" als Festival im Festival und als Erstes wird „Karvan Sara 4050“ von Arash Azadi zu hören und zu sehen sein.

Und im sogenannten „Parallelprogramm“ sind weitere Veranstaltungen, die der herbst empfiehlt bzw. die zum Teil als Kooperationen stattfinden, gelistet. So zeigt das Schauspielhaus Graz eine Drama-Adaption aller drei Bände von Virginie Despentes "Vernon Subutex“ (Premiere: 26.9.2019).

Um möglichst viel zu sehen und zu verstehen, empfiehlt sich das Programm der Kunstvermittlung

Die Sujets des steirischen herbst hat die Grupa Ee gestaltet. Inspiriert sind sie von Möbelstücken der Biedermeier-Zeit. Manche sehen einen Totenkopf, wie er als Symbolbild vor giftigen Stoffen warnt, andere erkennen eine Sessellehne.

Um möglichst viel im steirischen herbst zu sehen, empfiehlt sich eines der Formate der Kunstvermittlung. Zu allen Positionen des diesjährigen steirischen herbsts führen die „Landschaften“-Touren (28.8., 12.10.), die acht Stunden dauern und wie ein Wandertag ablaufen. Kürzere Touren gibt es auch. Und der ganz persönliche Kunst-Exzess ist doch meist der schönste.

Aktuell: