Empfehlung zum steirischen herbst: Artur Żmijewski hat einen „Plan B“ vorbereitet
Von Maria Motter
Artur Żmijewski hat es wieder geschafft. Der 53-Jährige macht Kunst, die einem abverlangt, Position zu beziehen. In Videoarbeiten zeigt er Menschen in Situationen, die in den Betrachter*innen Schmerz auszulösen vermögen. Für „Berek“ („Hasch mich“) filmte er nackte Menschen beim Fangenspielen in einem Raum, der an eine Gaskammer erinnert. Er drehte Gehversuche in einer Rehabilitationsklinik und geistig behinderte Kinder beim Besuch im Berliner Zoo. Als Kurator der 7. Berlin Biennale rief er dazu auf, dass Kunst Antworten liefern solle, statt ständig Fragen zu stellen. Ein berechtigter Einwand. Beim diesjährigen steirischen herbst bietet ausgerechnet ein Künstler, dem Empörung vorauseilt, eine sehr zugängliche Installation.
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Vom Schrecken der Kunst
Dem großen Zauber der Kunst kann auch ein Schrecken, ja eine Grausamkeit innewohnen, und das zeigt Artur Żmijewski jetzt beim steirischen herbst auf wenigen Quadratmetern. Viele stoßen versehentlich darauf: Der steirische herbst, das Festival für neue Kunst, verteilt sich auf mehrere Orte in Graz.
Einer dieser Orte ist in der Girardigasse zu entdecken. Die Gasse läuft direkt auf den Kaiser-Josef-Platz und auf die Oper zu, aber den Namen der Gasse merkt man sich dennoch kaum. Alteingesessene Betriebe und eine Konditorei auf der einen Seite, Fitnessstudio im Neubau auf der anderen. Vis-à-vis hat jetzt die „Änderungsschneiderei Plan B“ geöffnet und sie fügt sich perfekt ein.
Wenn das keine Änderungsschneiderei ist, was ist es dann?
Immer wieder kommen Leute in die „Änderungsschneiderei Plan B“ und sie haben Blusen oder Hosen und Änderungswünsche dabei. Das Personal jedoch sitzt nicht an den Nähmaschinen, sondern klärt die Kundschaft auf: Das hier ist keine echte Schneiderei. „Okay, was ist das dann?“, ist die Reaktion. Es ist eine sinnliche, zauberhafte Installation. „Piccobello“ sei das Ladenlokal, stellt ein Besucher fest.
Wer genau sucht, findet einen Unterschrank, durch den man in weitere Räume kriechen kann. In dem versteckten Hinterzimmer ist die Beleuchtung schlecht. Die Einrichtung ist armselig. Holzstockbetten stehen an den Wänden, selbst für Kinder gibt es sie. Es riecht seltsam. Es fühlt sich an, als wäre man in eine andere Welt gestiegen.
Mathias Völzke
Artur Żmijewski hat Wein und Kaffee gemischt, um diesen intensiven Geruch zu erzeugen. Die Eindrücke erzeugen ein Kopfkino. „Alle sagen, dass es sehr interessant ist, aber emotional vielleicht ein bisschen viel“, erzählt die freundliche Aufsicht. Die Assoziation Warschauer Ghetto drängt sich vielen auf, es könnte aber auch das Quartier von Zwangsarbeitern in südostasiatischen Sweatshops sein.
Um dieses Setting zu erleben, braucht man den Festivalpass um 29 Euro, den man in der herbst-Kantine am Kaiser-Josef-Platz 4 kaufen kann. Das herbst-Personal bedauert, etliche Neugierige ohne Pass muss es wieder wegschicken. Eine Situation, die sich an allen Festivalorten wiederholt.
Die Einlasspolitik des steirischen herbst ist verwirrend. Die Website zum steirischen herbst listet unzählige Veranstaltungen und Orte auf. Die Installationen im öffentlichen Raum sind selbstverständlich frei zugänglich. Es gab sogar einen „Vorherbst“. Nach dem vierten Mal Durchlesen hat man einen ungefähren Plan. Das kostenfreie Angebot der Kunstvermittlung hilft immens, aus den aus- und aufgestellten Behauptungen und Verweisen der Intendantin Ekaterina Degot und ihrem kuratorischen Team schlau zu werden. Und es gibt hervorragende Führungen: Die kürzeren heißen „Allianzen“, die 8-stündige Tour de Force läuft unter dem Titel „Landschaften“ am 12. Oktober - das lohnt sich immens. Allein: Finde die mal im Programm. Es scheint eine eigene Kunst zu sein, ein Festival so zu präsentieren, dass sich das Publikum willkommen fühlt. Einen Zugang zum „Grand Hotel Abgrund“, dem Programm des steirischen herbst, zu finden, ist aufwändig.
Kraut und Rüben, Wachsäpfel und Schwarz-Weiß-Fotografie
Im Palais Attems, wo der steirische herbst auch seine Büros hat, steht man zwischen Kraut und Rüben bzw. zwischen zwei großen Schwarz-Weiß-Fotografien und Wachs-Obst aus dem Stift Admont. Die Zusammenstellung erschließt sich leider beim besten Willen nicht. Dafür trifft man hier wieder auf eine Arbeit Artur Żmijewskis: zwei große Schwarz-Weiß-Fotografien.
Courtesy der Künstler und Galerie Peter Kilchmann, Zürich
Für eine Gage von 50 Euro
In Paris hat Artur Żmijewski afrikanische Männer angesprochen, die ohne Papiere in der Stadt leben. Für die Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen zwei Männer von der Hand eines Weißen vermessen werden, hat er den abgebildeten Männern jeweils 50 Euro gezahlt. „Ich denke, wenn er Sie oder mich fragen würde - ich würde für 50 Euro nicht mitmachen“, sagt die Kulturvermittlerin Sonja Kinzer und die zuhörenden Betrachter*innen widersprechen ihr nicht. Der kritische Einwand, dass sich der Künstler die gesellschaftliche Position der Geflüchteten ausnütze, hallt im Raum im Palais Attems nach.
Auch wenn sich dieser steirische herbst recht abgehoben gibt, die Kunstvermittlung bringt die „künstlerischen Positionen“ auf den Boden. Und Dinge einfach darzulegen, das ist auch eine große Kunst.
Publiziert am 02.10.2019