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Ich ist ein Anderer! Aber auch ich!

Living in Stereo: Nach einer Spa-Behandlung gibt es Miles plötzlich doppelt. Der frustrierte und gelangweilte Mann sieht sich plötzlich mit einem energiegeladenen, frischen und lebensfrohen Ich konfrontiert. Die Serie „Living with yourself“ kombiniert high concept mit Tragikomik, aber vor allem gibt es endlich den entwaffnenden Paul Rudd in einer Doppelrolle.

Von Pia Reiser

Frei nach einer völligen Umdrehung und Umdeutung des berühmten Zitats von Arthur Rimbaud ist bei „Living with Yourself“ plötzlich der Andere auch Ich. Es beginnt mit einem Hauch von David Lynch: Im Wald befreit sich ein im Waldboden vergrabener Mann von der Erde, die ihn eingeschlossen hat und von der Frischhaltefolie, in die er eingewickelt wurde. Er ist nackt – bis auf eine Windel.

Was wirkt wie eine Wiedergeburt ist eigentlich eine Auferstehung, denn er sollte tot sein. Dazu dann gleich. Irritation, Verstörung und leichte Beklemmung begleiten diesen Moment und die Erweckung der Neugier funktioniert: Man will wissen, wie dieser Mann im Wald gelandet ist, noch dazu, weil er von Paul Rudd gespielt wird. Und das auch noch zweimal. Rudd spielt Miles, eine klassische Figur des jüngeren (amerikanischen) Kinos. Er ist weiß, mittelalt, verheiratet, gar nicht mal so unerfolgreich im Berufsleben, doch Alltagstrott, Frustration und Beziehungsprobleme haben sein Gesicht über die Jahre grau werden lassen, die Mundwinkel hängen unmotiviert in seinem Gesicht nach unten. White Privilege ist kein Gegengift für Lebenskrisen oder Burnout.

Szenenbild "Living with yourself"

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FM4 in Serie: Living with Yourself, ab 18.10 auf Netflix

You’re welcome, sagt Miles zu einer Fliege, nachdem er sie erschlagen hat. Ein Arbeitskollege empfiehlt eine Spa-Behandlung, die bei ihm Wunder gewirkt habe, und so landet auch Miles in einem Hinterzimmer-Spa – und dann vergraben im Wald. Bei der Spa-Behandlung werden Menschen geklont, der Originalmensch wird getötet und im Wald vergaben und ein frisches Ich – mit allen Erinnerungen, aber ohne die Last des bisherigen Lebens - macht einen Neustart.

Miles aber hat überlebt und trifft dann in seinem Haus auf sich selbst. Der neue Miles braucht keine Brille, hat keine Augenringe und eine minimal bessere Frisur, vor allem aber ist er glücklich. Nach dem Trailer zu „Living with yourself“ hätte man auch vermuten können, dass das Szenario der zwei Rudds Richtung Verwechslungskomödie oder Klonmödie à la „Duplicity“ geht. Doch schon in der ersten Episode macht „Living with Yourself“ klar, dass es mehr verhandeln will als das löwingerbühnentaugliche Szenario „Hilfe, mich gibt’s doppelt“.

Szenenbild "Living with yourself"

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„Living with Yourself“ ist High Concept, aber geerdet. Eine Tragikomödie, die über den Umweg des Abstrusen im Grunde ganz alltägliche Themen verhandelt. Eine Kombination, die in Filmform wohl kaum aufgehen würde, in Serienform aber für einige der interessanteren dramaturgischen Experimente gesorgt hat. Da war Natasha Lyonne, die in „Russian Doll“ tausend Tode stirbt, doch sich nach dem Tod immer wieder im Badezimmer in der Wohnung einer Freundin findet, in der grad ihre Geburtstagsfeier stattfindet. Da war „Homecoming“ und der Twist mit den gelöschten Erinnerungen oder auch „Forever“, wo sich Fred Armisen und Maya Rudolph nach ihrem Tod in der gepflegten Vorstadt-Langeweile des Lebens nach dem Tod wiederfinden. All diese Serien setzten auf ein knappes Episoden-Format, ca. eine halbe Stunde, ein Format, das lange der klassischen Sitcom vorbehalten war.

„Living with Yourself“ nutzt dieses Format schlau, setzt an jedes Episodenende einen Cliffhanger und dreht seine Geschichte nie in die Richtung, die man vermuten würde. Rudd, der ewige „nice and regular guy“, der Jack Lemmon aus der Apatow-Runde, trägt die Serie auf vier Schultern und schupft die Doppelrolle mit Leichtigkeit.

Szenenbild "Living with yourself"

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Miles sieht sich mit einem „Ich“ konfrontiert, das er sein könnte. Wo fing es an, was ist passiert, was hat uns bloß so ruiniert - dem Grund für Miles Unzufriedenheit und Lebensfreude-Verpuffung geht die Serie in späteren Folgen noch genauer nach. Eingepackt in schwarze und manchmal absurde Komik drehen sich die acht Episoden um große Fragen wie die, wer man denn sein möchte und wie denn dieses „best-self“, das von Selbstoptimierungs-Möglichkeiten herbeibeschwört wird, denn tatsächlich aussehen würde. Die Serie hat natürlich auch große Freude daran, mit Metaphern wie „man ist selbst sein größter Feind“ zu spielen.

Nicht jeder Twist und jeder Nebenstrang von „Living with Yourself“ ist dramaturgisch sinnvoll oder elegant, doch die Serie zieht einen mit ihrer Seltsamkeit und erzählerischen Experimentierfreudigkeit in den Bann. Wer zwischendrin einen Durchhänger hat: In Folge Acht gibt es eine Tanzszene.

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