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Caroline Polachek und ihr Album „Pang“

Caroline Polachek ist eine der größten Innovatorinnen der jüngeren Popgeschichte. Mit „Pang“ legt sie nun ihr Debütalbum unter eigenem Namen vor.

Von Christian Lehner

„Isn’t it all about love?“, fasst Caroline Polachek das Grundmotiv von Popmusik zusammen. Die Frage nach dem Thema ihres neuen Albums wäre damit beantwortet. Die Frage nach den Details ist zu diesem Zeitpunkt noch offen. Polachek sitzt im Backstage. An der Schulter die Reisetasche, mit der sie eben die Venue betreten hat.

Die Musikerin, Songschreiberin und Produzentin aus New York absolviert eine Promo-Tour für ihr neues Album „Pang“. Paris, London, Berlin und noch einige europäischen Hauptstädte stehen am Plan, nicht mehr.

Wer so tourt, tourt klein. Wer so tourt, verdient kein Geld damit. Die übersichtliche Crew ist mit dem Aufbau der Bühnendeko beschäftigt. Polachek wirkt still entsetzt über die Winzigkeit der Location. Vor wenigen Tagen hatte sie noch den Bowery Ballroom in New York ausverkauft. Die Konzert-Venue in Lower Manhattan gilt als der Center Court der Indie-Musik. Sprünge wie dieser sind allerdings typisch für die Karriere und den künstlerischen Ansatz von Polachek.

Tänzerin zwischen den Popwelten

Kaum eine Popmusikerin tanzt auf so vielen verschiedenen Partys wie die mittlerweile 34-Jährige. Nur wenige ihrer Generation haben dabei mit ihren Moves so viele Popimpulse gesetzt. Mit der Band Chairlift machte Polachek ab Mitte der Nullerjahre den Synth-Pop der 80er und 90er für die Millennials urbar. Zu diesem Zeitpunkt war Brooklyn das hippste Viertel der Welt und vor allem für seinen Freak-Folk, Dance-Punk und Retro-Garagen-Rock bekannt.

Mittlerweile findet sich der Chairlift-Sound in der Musik von Acts wie Charli XCX oder Christine And The Queens, beide frühe Fans der Band und aktuelle Collabo-Partnerinnen, aber auch von Mainstream-Stars wie Ariana Grande oder Taylor Swift. Chairlift adaptierten als eine der ersten Formationen den in progressiven Popkreisen bis dahin verpönten Auto-Tune-Sound – wie sich heute herausstellt, ein Irrtum, denn Polachek imitierte schon damals den Effekt mit ihrer Stimme, wie sie im FM4 Interview verrät.

Weitere „firsts“: Chairlift waren eine der ersten Indie-Bands, die von der Werbeindustrie hofiert wurden. Apple lizenzierte 2008 den Song Bruises für eine iPod-Nano-Werbung und machte das Stück weit über die damals noch undurchlässigeren Genregrenzen bekannt. Und Polachek war eine der ersten Indie-Musikerinnen, die von der Musikindustrie als Songwriterin für Popstars verpflichtet wurde.

Die New Yorkerin ist vermutlich die einzige lebende Seele, die einen Beyoncé-Song („No Angel“, 2013) nicht nur alleine geschrieben, sondern auch mitproduziert hat. Seither textet und komponiert sie immer wieder Stücke für Acts wie Charli XCX, Solange und andere. Nebenbei veröffentlichte Polachek als Ramona Lisa und CEP experimentelle Popmusik. Das reicht eigentlich schon für mehrere Popkarrieren.

Solodebüt unter eigenem Namen

Doch nun hat Polachek „Pang“ in die Welt gesetzt, das erste Album unter eigenem Namen. „Es ist logisch, dass dieses Album mein persönlichstes ist“, sagt Polachek. „Alle bisherigen Projekte hatten etwas Konzeptuelles, eine Einschränkung oder verschiedene Partner, auf die man Rücksicht nehmen musste. Die Deko ist jetzt weg. Was man auf „Pang“ hört, das bin ich.“

Der knallige Titel steht für ein konkretes Gefühl. Das Wort bedeutet in der Übersetzung „stechender Schmerz“. Polachek: „Ich litt eine Zeit lang an Adrenalin-Schocks. Der ganze Körper pocht in diesen Momenten gegen die Rippen. Es ist vergleichbar mit extremen Hungerattacken.“

Sendungsbild Interview Podcast

Radio FM4

Das Interview mit Caroline Polachek hier im FM4 Interview Podcast

Der Begriff beschreibt aber auch einen plötzlich auftretenden emotionalen Schmerz. Man muss nicht lange nach Gründen suchen. Polachek ließ sich vor zwei Jahren scheiden und versucht seither ihr privates Leben wieder zusammenzusetzen.

Dass sie nach Jahren der kreativen Ausfransung auch künstlerisch erschöpft war, wurde ihr während einer Songwriting-Session für Katy Perry klar, die sie gemeinsam mit Danny L Harle von PC Music absolvierte .

„Ich liebe es, für andere zu schreiben. Ich bin diesbezüglich auch in einer guten Position, weil das für mich kein Fulltime-Job ist. Die Leute kommen zu mir, weil ihnen mein Stil gefällt. Ich habe aber realisiert, dass ich mein eigenes Ding jetzt durchziehen muss, sonst läuft mir die Zeit davon. Mich auf diese eine Platte zu konzentrieren, war sehr gut für mich.“

Statt einer Pophymne für das Streaming-Zeitalter schrieb Caroline Polachek den leisen Song „Parachute“. Es ist ein Stück, das verschiedene albtraumhafte Szenarien von Kontrollverlust durchexerziert und inmitten der größten Verzweiflung das Prinzip Vertrauen als Rettungsanker beschwört. Der Song fährt verschiedene Synth-Layers, die sich umtänzeln, voneinander lösen und wieder zusammenfinden.

Akustisches Auto-Tune

Ähnlich verhält es sich mit der Stimme. Polachek wechselt nahtlos zwischen den Registern und erzielt so Auto-Tune-ähnliche Effekte. Textleerstellen verbindet sie mit Vokalen, eine Technik, die sie „Apple-Saucing“ nennt. Das hat sie sich von der Barockoper abgeschaut (Polachek nimmt klassischen Gesangsunterricht).

Das Klischee von der Stimme als Instrument wird so zum realen Tune. „Ich mache das nicht als Selbstzweck. Ich versuche vielmehr, noch mehr Emotionen abzurufen. Und ich bin natürlich neugierig, ob das auch funktioniert.“, erklärt Polachek ihre Experimentierfreude.

Damit reiht sie sich ein unter die großen Stimmkünstlerinnen des Pop: Kate Bush ist eine offensichtliche Inspirationsquelle. Der Song „Go As A Dream“ erinnert hingegen an fernöstliche Atemtechniken, die bereits Laurie Andersons Hit O Superman charakterisierten. „Pang“ ist auch vom Geist des modernen und experimentellen R’n’B durchdrungen, wie man ihn von Solange oder FKA Twigs kennt.

Der Song „Parachute“ wurde zum Ausgangspunkt für das Album, das Harle co-produzierte. „In der ersten Hälfte lese ich auf, was nach den Turbulenzen übriggeblieben ist. Im zweiten Teil versuche ich neues Vetrauen zu fassen. In Songs wie „Caroline Shut Up“ kann ich mich dann auch schon wieder lustig machen über mich selbst.“

Erhitzung in den falschen Körperteilen

Der Song mit dem größten Hitpotenzial ist „So Hot You’re Hurting My Feelings“. Er klingt, als hätte eine nicht ganz so forsche Pat Benatar zusammen mit der Schwestern-Band Haim einen Teenage-Song über sexuelles Verlangen aufgenommen. Der alberne Titel (und Refrain) unterläuft dabei die gängigen Erwartungshaltungen in Sachen Song, Sex und Liebe.

Diese Strategie zieht sich auch durch die visuelle Ästhetik. Ähnlich wie Annie Clark von St. Vincent präsentiert sich Caroline Polachek in sexy Outfits und Posen. Die Video-Clips und Fotos senden starke Signale, unterwerfen sich aber nicht dem sogenannten Male Gaze, also der männlichen Auffassung von sexuell ansprechender Darstellung weiblicher Körper. Die Aufnahmen sind in dieser Hinsicht immer slightly off.

Caroline Polachek

Nedda Asfari

Einmal posiert Polachek in einem schwarzen Body mit Schlüsselkette und großem Messer in einem Auto. Das Cover-Foto zu „So Hot You’re Hurting My Feelings” sorgte vor allem unter der männlichen Leserschaft des Musikportals Pitchfork.com für Erhitzung in den falschen Körperteilen. Polachek ist in einem Aerobic-Outfit zu sehen, wie sie die aus dem Yoga bekannte Cow-Stellung andeutet. Der Gesichtsausdruck signalisiert jedoch nicht über den sinnlich geöffneten Mund die Bereitschaft, wie eine Blume gepflückt zu werden. Polachek lächelt so unbeschwert und selbstbewusst, als ob ihr die aufreizende Wirkung der Pose in diesem Moment völlig egal wäre.

„Die expliziteren Selbstdarstellungen von Frauen im Pop sind nur Ausdruck eines größeren Wandels in der Gesellschaft", meint Polachek dazu. "Frauen gewinnen immer mehr Kontrolle über ihre Kunst und auch darüber, wie sie sich präsentieren. Das ist natürlich ein Fortschritt und beschränkt sich nicht auf Symbole. Es ist beeindruckend, wie gut die Jungen mittlerweile auch mit Produktions-Software wie Ableton umgehen können.“

„Pang“ ist ein starkes Album. Um es mit einer modischen Social-Media-Floskel zu sagen: Caroline Polachek hat geliefert. Sympathisch ist, dass die Popveteranin ihren Kunstanspruch nicht versteckt, sondern offen zur Schau stellt. Was auch hilft: Sie kann Hooks, Melodien und Songs. „Pang“ sticht aus der Flut an aktuellen, auf den Streaming-Markt abzielenden Synth-Pop-Veröffentlichungen hervor. Es ist ein Sinnieren, Träumen und Fordern, das sich auch, aber nicht nur auf das Gefühl verlässt. Sollte man haben.

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