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Szene aus "A Dog Called Money"

Stadtkino Filmverleih

Seamus Murphys Doku über PJ Harvey: „A Dog Called Money“

Eine ungewöhnliche Musik-Doku über eine Musikerin, die für ihre Songs um die halbe Welt gereist ist.

Von Susi Ondrušová

7.708 Kilometer liegen zwischen dem englischen Dorset, dem Wohnort von PJ Harvey und Kabul in Afghanistan. Für ihre letzte Albumarbeit hat PJ Harvey ihre gewohnte Umgebung verlassen und sich auf Reisen begeben. „I write every day. Ultimately it is all aimed towards developing a greater degree of skill and knowledge of language!”, erzählt PJ Harvey im FM4 Interview vor acht Jahren.

Damals, 2011, erscheint PJ Harveys Album “Let England Shake” für das sie ihren zweiten Mercury Award verliehen bekommt. Wie Andreas Spechtl von Ja Panik damals so passend schreibt ist die Platte ein „wehmütiges Porträt eines verletzlichen und verwirrten Königreiches, das im Rückblick auf die Kriege, Zerstörungen und Verbrechen des letzten Jahrhunderts die Gegenwart zu verstehen sucht.“ Für die Videos für jeden einzelnen Song auf diesem Album engagiert PJ Harvey damals den irischen Fotografen Seamus Murphy.

„A Dog Called Money“ läuft ab Freitag im Wiener Stadtkino.

Seamus Murphy im FM4 Interview-Podcast. Mehr über ihn und die Dokumentation „A Dog Called Money“ am 18.11.2019 in Connected und der Homebase.

Hier gibt’s mehr über Seamus Murphys Arbeiten.

Eine Reise, ein Buch, eine Doku

Die beiden lernen sich 2008 kennen als PJ Harvey seiner Ausstellung „A Darkness Visible“ in London besucht. Seamus Murphy stellt damals Fotos seiner Afghanistan Reisen aus. Seit Mitte der 90er hat der Fotograf das Land regelmäßig bereist und Land und Leute fotografiert. Neben dem gleichnamigen Fotoband, der PJ Harvey zu Seamus Murphy geführt hat, darf bei dieser Zusammenarbeit auch Murphys Buch „I am the beggar of the world“ nicht unerwähnt bleiben: Murphy reist mit der amerikanischen Journalistin und Autorin Eliza Griswold durch Afghanistan; sie übersetzt „landays“ - Gedichte von afghanischen Frauen - und Murphy liefert die Bilder für das Buch. Ein ähnliches Szenario also auch die Zusammenarbeit mit PJ Harvey: gemeinsame Reise, gemeinsames Buch und nun die Doku „A Dog Called Money“.

Szene aus "A Dog Called Money"

Stadtkino Filmverleih

Seamus Murphy und PJ Harvey reisen zwischen 2011 und 2014 gemeinsam nach Afghanistan, in den Kosovo und besuchen Washington. Das gemeinsame Buch, das diese Reisen dokumentiert erscheint 2015. „The Hollow of the Hand“ zeigt Fotos von Seamus Murphy und Gedichte von PJ Harvey. Fans der Musikerin werden in den Gedichten Fragmente von Songs entdecken, die auf dem neunten Studioalbum „The Hope Six Demolition Project“ verewigt sind.

„Stronger songs“

PJ Harvey sagt 2011 noch etwas Interessantes, nämlich über das Schreiben (nicht: Tippen!) selbst, über das Üben und das Schreiben als eine Kunst, an der man arbeiten muss. „I don’t find writing particularly easy. You know it doesn’t fall into my lap fully formed. I have to work at things a long time and rework and rework and throw away and start again and rework. Over the last seven or eight years I´ve become much more interested in word craft and writing words on a page to begin with. Because I think it does ultimately lead to stronger songs as well. Of course some of these words might remain as poems but others will move into becoming songs and will be stronger for it. It is something that I love doing but it is also something that I need to do and practice every day to get better at doing it.”

Elf Songs finden sich auf PJ Harvey´s Album „Hope Six Demolition Project“. Die Doku „A Dog Called Money“ erzählt die Geschichte vom „Wie“. Was ist der Ursprung der Songs, wie wird aus Inspiration ein fertiges Album? PJ Harvey ist die Stimme aus dem Off, die zu Beginn des Filmes Gedicht-Fragmente aus ihren Reise-Tagebüchern vorliest.

Wir sehen PJ Harvey durch die Straßen Kabuls wandern, sie trifft auf Männer in einem Geschäft und hört ihrer Musik zu. Kinder servieren ihr Tee. Sie wandert durch ein verlassenes Haus und schaut sich das verweste Hab und Gut an. Sie lässt sich von Jugendlichen etwas aus ihrem Leben vorrappen. Ein Mann tanzt mit einem Schnapsglas auf dem Kopf. Eine Frau lässt sich taufen. Ein Schaf riecht am Lauf einer Pistole. Die Doku besteht aus Szenen, die eine lose Erzählstruktur einbringen. Beeindruckend sind die assoziativen Bilder-Collagen, die Seamus Murphy mit einer Liebe für Symmetrie und Bewegung aussucht. Alles fließt und fügt sich in ein Ganzes.

Unbezahlbare Einblicke

Eingebettet in die Reise-Szenen sind Bilder aus dem Studio, allerdings keinem gewöhnlichen Studio: PJ Harvey hat mit ihrer Band für ihr „Hope Six Demolition Project“ Album ein Experiment gewagt und im Londoner Somerset House ein Studio mit verglasten Außenwänden bauen lassen. Während sie mit ihrer Band hinter den Glaswänden also arbeitet, darf das Publikum von außen zuschauen und zuhören. Immer mit dabei: Seamus Murphy der fünf Wochen lang den gesamten Prozess mitgefilmt hat. Es sind unter anderem diese Einblicke die „A Dog Called Money“ für Fans unbezahlbar machen: Man sieht erstmals sowohl die Konzentration der Musiker im Raum als auch die lockere Athmosphäre zwischen den Künstler*innen: Wenn Mick Harvey eine Refrainzeile einsingen soll und die akustische Ähnlichkeit der beiden Wörter can´t und cunt zu Lachkrämpfen führt. Oder wenn PJ Harvey zu ihrem Produzenten Flood meint, sie habe ihm alles beigebracht.

Szene aus "A Dog Called Money"

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Für alle, die mit PJ Harvey als Musikerin nichts anzufangen wissen, könnte die 92-minütige Doku anstrengend sein, oder man könnte hier die eine Bildunterschrift, eine Jahreszahl, eine Ortsangabe, oder die ganz traditionellen Doku-Liebhaber*innen, gar ein talking head vermissen. Wer allerdings Metaebenen liebt, sich der Assoziationskette einer der weltbesten Fotografen hingeben möchte, und eh schon gefühlt sein ganzes Leben darauf gewartet hat, zu sehen und zu hören, wie ein Saxophon-Solo eingespielt wird und was das für Reaktionen auslöst, wenn man dem Song genau den letzten Schliff verpasst hat, den es noch gebraucht hat - diese Menschen werden die „A Dog Called Money“ Doku für das Meisterwerk halten, das es ist.

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