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„Doctor Sleep“: Zurück im berüchtigten Overlook Hotel

Der Horrorthriller „Doctor Sleep“ versucht einen unmöglichen Spagat: Stanley Kubricks Meilenstein „The Shining“ fortzusetzen - und gleichzeitig dem Autor Stephen King gerecht zu werden.

Von Christian Fuchs

Es gibt sehr viele schlechte und ein paar gute Stephen-King-Verfilmungen. Und es gibt das Meisterwerk „The Shining“. Ausnahmeregisseur Stanley Kubrick wagte 1980 etwas Frevelhaftes: Er kümmerte sich nicht um die Intentionen des Autors. Kubrick verzichtete in seiner legendären Leinwandadaption auf jegliche King’sche Kitschansätze. Monster oder sichtbare Spezialeffekte sucht man in „The Shining“ ebenso vergeblich wie besonders rührselige Momente.

Stattdessen schwellen avantgardistische Sounds und Neue-Musik-Stücke auf der Tonspur bedrohlich an. Betört die Symmetrie der Bilder. Überwältigt der Zauber der Architektur. Und irritiert etwa das bewusst eingesetzte Overacting von Jack Nicholson als Angriff auf das psychologische Filmemachen.

„The Shining“ will sich bewusst nicht zwischen Technokratie und Mystizismus entscheiden, es ist der Glücksfall eines Gespensterschockers, der von einem eiskalten Atheisten gedreht wurde. Das moderne Geisterkino à la „The Conjuring“ schrumpft gegen dieses ästhetisch atemberaubende Monument des Grauens auf Miniaturgröße.

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Alkoholikerdrama mit Heilungsaussichten

Der sich als spirituell bezeichnende King fand Kubricks Veränderungen allerdings furchtbar - und distanzierte sich von dem Film. 2013 kehrte der Bestsellerautor dann selber noch einmal ins berüchtigte Overlook Hotel zurück. Beziehungsweise in dessen Ruinen, denn während in der Kinoversion von „The Shining“ das bedrohliche Gebäude im Schnee versinkt, brennt es am Ende des Buchs bis auf die Grundfesten nieder.

Im Romansequel „Doctor Sleep“ führt King die Geschichte weiter und schildert, was aus dem kleinen Danny Torrance geworden ist: Ein schwerer Trinker, der sich von den Traumata der Kindheit und den Attacken des verrückten Vaters nicht zu lösen vermag - und der die eigenen paranormalen Fähigkeiten verdammt.

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Stephen King, der sich selber in einem schwierigen Prozess aus den Fängen des Alkoholismus befreite, erzählt die Geschichte von Dan Torrance als Drama der Heilung und Erlösung. Im Gegensatz zur Finsternis seiner frühen Bücher ist der Glaube an das Licht und an menschliche Empathie zentral in dieser Romanfortsetzung.

Das ist vom humanistischen Standpunkt aus gesehen natürlich sehr fortschrittlich. Leider wird der klaustrophobische Horror des Originals dabei auch mit Fantasyschmalz und übertriebener Sentimentalität aufgeladen. Der strenge Kubrick hätte beim Lesen wohl ununterbrochen den Kopf geschüttelt. Der US-Regisseur Mike Flanagan war dagegen begeistert.

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Peinlichkeiten aus der Videotheken-Wühlkiste

Flanagan, von vielen Genre-Fans unter anderem für seine ambitionierte Streamingserie „The Haunting of Hill House“ geschätzt, will es mit seiner „Doctor Sleep“-Adaption nun allen recht machen. Und macht bedauernswerterweise dabei alles falsch. Der grundsympathische Ewan McGregor trifft als erwachsener Dan Torrance erneut auf das ultimativ Böse.

Dummerweise wird Rose the Hat, die diabolische Dame, die zusammen mit ihrer unsterblichen Bande begabten Kindern die Lebensenergie raubt, von Rebecca Ferguson gespielt. Dass die fehlbesetzte Britin in ihrem Neo-Hippie-Outfit wie die Leiterin eines Esoterikseminars aussieht, senkt den Gruselfaktor vollends unter null. Fergusons peinlicher Auftritt (inklusive leuchtender CGI-Augen) lässt Genre-Veteranen jedenfalls an die Unmengen von grottigen Stephen-King-Verfilmungen denken, die in den 80ern und 90ern in der Videotheken-Wühlkiste vermoderten.

Immer wenn „Doctor Sleep“ diesbezüglich ins Lächerliche abdriftet, zieht Flanagan die Horrornotbremse. Und bedient sich gruseltechnisch bei Kubrick. Hier ein musikalisches Zitat aus dem „Shining“-Soundtrack, dort ein visueller Hinweis auf den Kinomeilenstein. Bis Flanagan am Ende dann gar keinen Genierer mehr kennt. Statt sich einen eigenen Zugang zur Welt von King zu erarbeiten, klaut er schamlos bei dessen Erzfeind Kubrick.

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Besuch im „Shining“-Themenpark

Zu den ikonischen Gänsehautklängen des „Dies Irae“-Themas lässt er McGregor, zusammen mit Neuzugang Kyliegh Curran, durch die pingelig nachgestellten Overlook-Hotel-Kulissen taumeln. Ein Showdown, der wie ein postmoderner Besuch in einem „Shining“-Themenpark wirkt, inklusive eines grotesken Jack-Nicholson-Doubles und der berühmt-berüchtigten Zwillingsschwestern aus dem Totenreich.

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Liebhaber*innen des Originalfilms seien gewarnt: „Doctor Sleep“ besitzt in diesen Momenten durchaus das Potenzial, die Erinnerungen an Kubricks Epos zu beschädigen. Der Schreiber dieser Zeilen hat jedenfalls schon lange nicht mehr so zornig eine Pressevorführung verlassen.

Ich wünschte mir danach, dass der Geist von Stanley Kubrick den mäßig begabteren Regiekollegen Mike Flanagan in dessen Träumen heimsuchen möge. Und ihn durch die Gänge des Overlooks jagt. Wird aber wohl nicht passieren. Weil Kubrick, im Gegensatz zu Flanagan und Kitschpapst King, ja nie an Geister glaubte.

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