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Alina Șerban als Ali boxt im Freien allein

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Im Ring ist der Kampf überschaubar

15 Jahre nach Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“ hat jetzt Hüseyin Tabak ein Drama um eine weibliche Boxerin inszeniert: Die Schauspielerin und Menschenrechtsaktivistin Alina Șerban muss als „Gipsy Queen“ 5- und 20-Euro-Scheinen hinterher hasten, um zu überleben.

Von Maria Motter

Alina Șerban hat zwei Jahre vor Drehbeginn mit dem Training begonnen: In Hüseyin Tabaks neuem Spielfilm „Gipsy Queen“ hat sie die Hauptrolle und weniger Text als Tobias Moretti, der mit blondierter und ausgewachsener Igelfrisur einen Kneipenbesitzer und Ex-Boxer in Hamburg spielt. Doch die Ali, die Alina Șerban verkörpert, muss sich durchschlagen: Um die Miete und das Leben für sich, ihre zwei Kinder und die zwar liebenswerte, aber unbeschäftigte Mitbewohnerin zu bestreiten, steigt Ali wieder in den Ring.

Wie ihre Figur Ali ist Alina Șerban Romni. Sie ist 32, Schauspielerin, Regisseur und Künstlerin. Seit Jahren engagiert sie sich gegen die strukturelle Diskrminierung von Roma. Sie ist ohne fließendes Wasser aufgewachsen, der Besuch einer Universität erschien ihr unerreichbar.

Alina Șerban als Boxerin im Ring und Tobias Moretti als Trainer

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Alina Șerban und Tobias Moretti in „Gipsy Queen“

Ein Kampf gegen Rassismus

Doch es ist nicht Șerbans Lebensgeschichte, die Regisseur Hüseyin Tabak zum Drehbuch inspiriert hat, sondern jene seiner Mutter, die als Neunjährige aus der Türkei nach Deutschland gebracht wurde, aber nicht in die Schule durfte, weil sie für ihre jüngeren Geschwistern sorgen sollte. Tabaks Mutter hat sich selbst Lesen und Schreiben beigebracht, eine Firma gegründet.

Die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs ist das zentrale Motiv in „Gipsy Queen“ und zugleich ein Wunschtraum. Ali spricht nur mit ihren Kindern in ganzen Sätzen und dann, wenn es ums Geld geht. Sie putzt, sie hackelt schwarz am Bau - das Geld reicht nie für die Klassenfahrt der Tochter, allgegenwärtig sind nur Vorurteile und offener Rassismus gegen Roma.

In den wenigen Momenten, in denen Ali innehält, sitzt sie an der Elbe, mit dem Rücken zur Kamera. An der Alster sind vermögende Menschen zuhause, einmal wird Ali sich in die feine Gegend wagen und noch vor einer Konfrontation k.o. gehen. Als der Ex-Boxer Tanne (Moretti) ihr sportliches Talent erkennt, steckt Ali kurz darauf in einem Affenkostüm und muss sich im Kneipenkeller im Ring von polternden Männern schlagen lassen. Es ist ein brutales Symbolbild des filmischen „Underdogs“.

Der außergewöhnlichste Box-Film der Kinogeschichte: „Der Boxer und der Tod“

Ein großartig inszenierter und außergewöhnlicher Spielfilm ist „Der Boxer und der Tod“ aus dem Jahr 1967 vom slowakischen Regisseur Peter Solan. Der spätere deutsche Fernsehliebling Manfred Krug verkörpert darin einen SS-Kommandanten eines Konzentrationslagers. In der Freizeit boxt dieser gern, aber ein Gegner fehlt ihm. Als er einen Gefangenen totschlagen will, weicht der gekonnt aus. Fortan muss der Häftling Kominek gegen den Kommandanten antreten. Die Geschichte orientiert sich an der Biografie des polnischen Boxers Tadeusz Pietrzykowski orientiert, der im nationalsozialistischen Vernichtungslager Auschwitz zig Kämpfe absolvierte.

„Darf ich Ihnen den Meister des Lagers, Häftling Kominek vorstellen?“ – „Sollen wir auch noch Beifall spenden?“ – „Sport ist Sport!“

Regisseur Peter Solan ermöglicht den Zuschauer*innen, immer wieder in die Boxtrainings zu fliehen und kurz den Horror der Zwangsarbeit und der Morde zu vergessen. Man fiebert mit Kominek mit. „Der Boxer und der Tod“ endet sehr ungewöhnlich. Und die Kamera ist großartig. Dass der Film in Schwarz-Weiß gedreht ist, vergisst man nach wenigen Minuten.

„Der Boxsport ist für viele junge Männer der einzige Weg, der vom Zeltplatz wegführt und den Teufelskreis durchbricht. Jeder wird ermuntert, zu boxen“, sagte mir der inzwischen verstorbene Künstler Damian Le Bas, der mit seinem Schaffen für die Gleichstellung von Roma und allgemein für die Rechte von Minderheiten eintrat. Das Klischee beruht also auf Erfahrungen. „Aber nur einer von hunderttausend hat eine Chance.“

Alina Șerban hinter einer Bar, sie putzt Gläser

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„Gipsy Queen“ läuft ab 6.12.2019 in den österreichischen Kino.

Im Box-Drama „Gipsy Queen“ ist es der Vater, der die Tochter von klein auf trainiert. Eine Rückblende reicht. Die erwachsene Ali will sich nicht ständig behaupten, sie muss. Es ist nicht Stolz, es ist Selbstachtung, die Ali lang aufrecht hält.

Regisseur Hüseyin Tabak hat mit „Gipsy Queen“ vor allem ein Porträt einer Angehörigen einer diskriminierten Minderheit inszeniert, der er leider selbst nicht zugesteht, das Wort zu ergreifen. Am Ende sprechen Fäuste, der finale Kampf dauert sieben Minuten. Die Szenen im Ring fängt der Kameramann Lukas Gnaiger schön ein, wie alle Szenen, und Alina Șerbans Kontrahentin am Set war eine aktive Profiboxerin.

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