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Gengahr

Jay Whitehead

Nimm dein Schicksal in die Hand

Die Londoner Band Gengahr hat schwierige Zeiten überwunden. Ihr psychedelischer Indie-Dreampop geht gestärkt daraus hervor. Und ihr alter Freund Jack Steadman - von der Band Bombay Bicycle Club - ist auch beteiligt am neuen, dritten Album von Gengahr.

Von Eva Umbauer

Gengahr sind vier Schulfreunde aus Stoke Newington, im zentralen Nordosten von London gelegen, einem Arbeiter- und Migranten-Bezirk, der inzwischen längst gentrifiziert ist. Mit der punkigen Gitarre am neuen Album von Gengahr im Ohr, kann man bei einem Spaziergang durch die Straßen von Stoke Newington aber durchaus darüber sinnieren, wie es hier früher gewesen sein muss, als es noch nicht schick war und es noch Hausbesetzer gab in der Gegend.

Das ist länger her. Aber eine Weile ist ja auch schon wieder das Debütalbum von Gengahr her, fünf Jahre werden es nächsten Juni. Vor ganzen sieben Jahren waren Gengahr noch in der Schule und gründeten ihre Band.

Der Name Gengahr bezieht sich auf Gengar, eines der Fabelwesen aus der japanischen Pokemon-Videospielserie. Das erste Album des Londoner Quartetts hieß „A Dream Outside“ und Gengahr wurden damit im Vereinten Königreich rasch als mögliche Retter des Gitarrenpop gehandelt.

Vor dem Debütalbum von Gengahr gab es ihre erste Single, „Fill My Gums With Blood“. Nach Airplay auf BBC Radio wurden die Jungspunde sogleich zum großen Glastonbury Festival eingeladen, zwar „nur“ auf die „Introducing“-Bühne, aber immerhin.

Wer jetzt denkt, das wog alles schwer auf den Schultern dieser vier Musik-Frischlinge, der oder die irrt eher. Das erste Album fiel Gengahr leicht, wie die Band in Interviews immer wieder betont. Der sanft psychedelische und stets leicht dunkle Indierock schien Felix Bushe, John Victor, Hugh Schulte und Danny Ward wie angeboren zu sein. Tame Impala trifft auf Modest Mouse oder so, mit einem Schuss Blur und ein bisschen britischer Exzentrität. Kein schlechter Anfang, mit Songs wie „She´s A Witch“, „Bathed In Light“, „Heroine“ oder „Lonely As A Shark“.

Das zweite Album von Gengahr war schon komplexer. „Where Wildness Grows“ enthielt Songs wie „Carrion“, „Mallory“ oder „Before Sunrise“, und beim Stück „Is This How You Love“ gab es ein Gastspiel von Ellie Rowsell, der Sängerin von Wolf Alice. Sie kannten Gengahr von einer gemeinsamen Tour, und zwar jener, die Gengahr im Jänner vor fünf Jahren auch in die riesengroße O2-Arena in London führte, als eine der Vorgruppen für Alt-J, die sich zu Gengahr-Fans erklärt hatten.

“After the first record, we felt like we took too long and we never got through that time particularly well," sagt Felix Bushe über die Zeit zwischen den Platten.

„Where Wildness Grows“ war keine leichte Geburt. Ganze drei Monate lang nahmen die Fünf Musik auf, um dann wieder alles zu verwerfen und von vorne zu beginnen. Es klappte aber schließlich, und Gengahr präsentierten sich als sehr ernsthafte, gereifte junge Band. Die Dinge sollten jedoch nicht mehr einfach werden. Kurz nach der Veröffentlichung des zweiten Albums, im Frühjahr 2018, starb die Mutter von Sänger und Gitarrist Felix Bushe. Außerdem hatte seine australische Freundin, die nun seine Frau ist, Aufenthaltsprobleme in England und ging wieder zurück nach Australien - wo sie nach vor lebt. Die beiden führen eine Long-Distance-Beziehung.

Felix Bushe schrieb weiter Songs, als „Where Wildness Grows“ veröffentlicht war, so wie er weiterhin versucht, praktisch jeden Tag zu komponieren. Auch als seine Mutter starb, schrieb er weiter. „Nimm dein Schicksal in die Hand,“ sagten sich Felix Bushe und Gengahr. Lass dich nicht unterkriegen.

Ein Freund war ebenfalls zu Stelle, ein guter Freund, ein verlässlicher Typ namens Jack Steadman. Der Sänger, Gitarrist und einer der Hauptsongschreiber der Londoner Band Bombay Bicycle Club hatte gerade etwas Zeit. Bombay Bicycle Club waren zwar nach einer langen Pause wieder am Anlaufen, aber Jack würde ihr Comeback-Album nicht selbst produzieren, also könnte er die Produktion vom nächsten Gengahr-Album übernehmen.

„Sanctuary“, das neue, dritte Album von Gengahr, wurde also zum Teil von Jack Steadman produziert. Weitläufiger und ehrgeiziger als je zuvor, ist „Sanctuary“ dann auch das wahrscheinlich bisher beste Album der Band. Steadman bringt sinfonischen Glanz in den mehrschichtigen Sound von Gengahr, der diesmal auch recht poppig ausgefallen ist. Aber auch dunkle Trip-Hop Spuren à la Massive Attack kommen einem unter beim Hören der neuen Gengahr-Songs, genauso wie Funk, Glam-Rock und Disco.

„Your smile, given by your mother..."
("Icarus“, Gengahr)

Gengahr "Sanctuary" Albumcover

Liberator/Indigo

„Sanctuary“ von Gengahr ist am 31.1.2020 bei Liberator/Indigo erschienen.

Aufgenommen in einem neuen Tonstudio namens The Propagation House in Cornwall, an der südwestenglischen Küste, lässt „Sanctuary“ aber auch die Magie der alten Schulfreunde Felix Bushe, John Victor, Hugh Schulte und Danny Ward aufleben. Im Propagation House entstand auch zum Teil das neue Album von Bombay Bicycle Club. Das Wort „sanctuary“ bedeutet Zufluchtsort, Unterschlupf oder Schutzgebiet, aber auch kann es einen „heiligen“ Platz bezeichnen.

Der Song „You´re No Fun“ erinnert an „Carrion“ vom ersten Gengahr-Album, aber auch an die englische Band The Maccabees und daran, dass um ebendiese ewig schade ist. Das Stück „Never A Low“ lässt immer wieder Trauer in der Stimme von Felix Bushe zu, ansonsten hören wir in seiner Falsettstimme aber nicht den ganz großen Schmerz. Das Leben muss schließlich weitergehen.

Der Bass ist bei den neuen Songs von Gengahr meist präsenter als die Gitarren. Das Schlagzeug ist toll gespielt, die Keyboards klingen bisweilen außerirdisch schön. Dazu passen Songtitel wie „Atlas Please“ oder „Icarus“, das mit seinem insistierenden Beat und dem Ohrwurm-Refrain direkt am ersten Album von Gengahr fortsetzt. „Moonlight“, der Album-Closer, hat eine zarte Akustikgitarre und eine wundervolle Wärme. Das Mondlicht scheint herab und umhüllt einen sanft. Shine on, you crazy diamonds namens Gengahr!

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