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Kübra Gümüşay

Paula Winkler

Kübra Gümüşay denkt die Sprache neu

Wie können wir gleichberechtigt sprechen? Ein Manifest über die Möglichkeiten und Grenzen der Sprache ist Kübra Gümüşays Buch „Sprache und Sein“.

Von Gersin Livia Paya

Nicht jeder Mensch kann in der Sprache, die er spricht, sein. Nicht etwa, weil er die Sprache nicht ausreichend beherrscht, sondern weil die Sprache nicht ausreicht. So erzählt es die deutsch-türkische Autorin Kübra Gümüşay in ihrem ersten Buch „Sprache und Sein“.

Sehr energisch trägt sie die Lücken der Sprache vor und so auch die Lücken der Welt. Es gibt Worte in der einen Sprache, die Zustände oder Gefühle beschreiben, für die es in einer anderen Sprache keinen Begriff gibt. Oft erzählen Worte etwas Bestimmtes über Kultur, Gesellschaft oder Politik, denn jedes Wort ist geprägt - und prägt. Kübra Gümüşay bewegt sich selbst in vier verschiedenen Sprachen.

„Türkisch ist für mich die Sprache der Liebe und Melancholie. Arabisch eine mystische, spirituelle Melodie. Deutsch die Sprache des Intellekts und der Sehnsucht. Englisch die Sprache der Freiheit.“

Rot-blaues Buchcover mit verschiedenen Farbflächen, die sich überlagern

Hanser Verlag

„Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay ist im Hanser Verlag erschienen.

Die Netz-Aktivistin Kübra Gümüşay ist als Kind türkischer Eltern in Hamburg aufgewachsen und hat in London Politikwissenschaft studiert. Auf mehr als 200 Seiten schreibt die 31-Jährige der identitätspolitischen Generation aus der Seele. Auf Twitter bejubeln viele junge Menschen mit ähnlichem Background ihr Buch.

In „Sprache und Sein“ schreibt Gümüşay über das gesellschaftlich anerkannte Ziel, dass die eigenen Kinder in internationalen Schulen Französisch oder Englisch lernen sollen, während Sprachen wie Türkisch keine Beachtung finden. Gümüşay schreibt über diese Ausgrenzung, über Stereotypen, Xenophobie, Rassismus, Feminismus, Geschichte und über Feindbilder:

„Die jüdische Frau. Der schwarze Mann. Die Frau mit Behinderung. Der Mann mit Migrationshintergrund. Die muslimische Frau. Der Geflüchtete. Die Homosexuelle. Die Transfrau. Der Gastarbeiter.“

Alles Zuschreibungen für Menschen, die Kübra Gümüşay als die „Benannten“ definiert, die eingesperrt sind in Definitionen. Sie werden ständig mit Attributen belegt. Ihr selbst wird eine Identität zugeschrieben, als Kopftuch tragende Muslima wird ihr Individualität abgesprochen, nie kann sie sich frei von Stigmata bewegen. Sie möchte als Mensch gesehen werden, nicht als ein Beispiel oder als Repräsentatin für muslimische Frauen.

Wenn ich, eine sichtbare Muslimin, bei Rot über die Straße gehe, gehen mit mir 1,9 Milliarden Muslim*innen bei Rot über die Straße.

Mit aufwühlenden Zitaten vieler großer Denker*innen, wie etwa Rosa Luxemburg, Kurt Tuchoslky oder Ludwig Wittgenstein, stellt sie sich der zentralen Frage: Welche Macht hat Sprache und wie lässt uns Sprache unsere Welt sehen?

„Schwimmen zwei junge Fische des Weges und treffen zufällig einen älteren Fisch, der in die Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt ihnen zu und sagt: ‚Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?‘ Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter, und schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu und sagt: ‚Was zum Teufel ist Wasser?‘“

„Sprache und Sein“ bringt neue Denkanstöße aus postmigrantischer Sicht, in einer Zeit von Hashtags und Shitstorms ein mehr als notwendiges Debattenbuch. Geschrieben mit arabischer Sanftheit, türkischer Tiefe und deutscher Klarheit. So beeindruckend und herzlich verfasst, dass ich mich dafür in meiner Zweitsprache bedanke: خیلی ممنون.

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