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Leerer U-Bahn-Steig in Wien

Pixabay / CC0

Blumenaus 20er-Journal

Österreich in a nutshell

Oder: Wie schlechte Kommunikation nur Verlierer und das Gefühl nicht verstanden zu werden erzeugt.

Von Martin Blumenau

Gestern zur Stoßzeit in einer nicht übermäßig vollbesetzten Wiener U-Bahn. Der Zug verweilt ein wenig länger als sonst in der Station. Dann meldet sich der Fahrer über die Lautsprecher-Ansage, weist darauf hin, dass das Mitführen von Fahrädern erst ab 18:30 erlaubt sei, und ersucht die Fahrrad-Halter auszusteigen - erst dann werde der Zug seine Fahrt fortsetzen. Die Leute schauen neugierig.

Dann tut sich etwas: Zwei Frauen ohne Rad und zwei Kinder mit einem kleinen und einem großen Kinderfahrrad sind ausgestiegen. Die eine Frau ruft Worte des Protests in Richtung Fahrerkabine, Tenor: Wie soll ich jetzt mit den Kindern heimkommen? Das kleinere Kind kennt sich nicht aus, die große Tochter ruft zur Mutter gewandt sie solle aufhören herumzurufen (Subtext: alles ist ihr voll peinlich), die Mutter versucht die zweite Frau, die wohl nur englisch versteht, upzudaten. Von vorne schreit der Zugführer etwas in Richtung der Protest-Karawane, man versteht nur Wortfetzen wie „eh nicht das Kinderrad“. Die Menschen beginnen zu murren: Kinderräder sind von der Regelung ja ausgenommen, zumindest wird das seit jeher so gehandelt. Das Gezeter am Bahnsteig ist durch Hall und zu große Distanz für alle Beteiligten unverständlich. Dann schließen sich die Türen und die U-Bahn fährt weiter.

Ich bin recht weit hinten im Zug und mache mich auf den Weg nach vorne, steige bei der nächstmöglichen Station aus und will ans Fahrerfenster klopfen, als ich merke, dass er eh damit gerechnet hat, dass ihn jemand mit dem gerade Geschehenen konfrontiert. Ich sage: „Sie wissen eh, dass auch das Größere ein Kinderfahrrad war?“ Der Fahrer schreit (und er schreit, weil er so aufgewühlt ist), dass er das eh wisse und das er ja gar nicht die Frauen und die Kinder gemeint hatte, sondern eine andere Frau mit einem roten Erwachsenen-Rad. Ich frage ihn warum er das dann nicht gesagt hat. Hat er doch, schreit er. Ich sage, dass das zumindest die Betroffenen nicht gehört haben, weil er wohl unverständlich war. „Ich war also unverständlich,“ ruft der Zugführer sarkastisch und will damit sagen, dass er eh alles getan habe, um sich mitzuteilen. Und er ist so in seiner Aufgewühltheit und in seinem Selbstmitleid gefangen, dass er meinen Nachsatz gar nicht mehr hören kann. Ich frage: „Warum haben sie denn keine zweite Durchsage gemacht, das hätten dann wohl alle verstanden.“

Erst als der Zug weitergefahren ist, fällt mir ein, dass er in dieser Ansage ja dann auch die tatsächlich gemeinte Person noch einmal gezielt ansprechen hätte können, ja müssen. Da er ja seine Weiterfahrt ultimativ an das Aussteigen aller Fahrrad-Besitzer geknüpft hatte. Das Argument wäre aber in diesem verfahrenen Dialog ohnehin nicht mehr angekommen.

Es ist eine Alltags-Situation, die ausschließlich Verlierer kennt: der Zugführer hat’s verkackt und fühlt sich unverstanden; die Frauen und Fahrrad-Kinder, vor allem das präpubertäre Mädchen, fühlen sich zurecht gedemütigt; die restlichen Mitfahrenden, vor allem jene, die die Geschichte nicht aufgelöst bekommen haben, haben einer widerlichen Szene beigewohnt; alle sind auf ihre Art von der Schlechtigkeit der Welt überzeugt worden, vielleicht zum wiederholten Male. Womöglich schämt sich sogar die Frau mit dem roten Fahrrad für ihre duckende Feigheit.

Dabei hat nicht viel gefehlt: Die Wiederholung der Durchsage, die klar macht, dass die, die sich betroffen gefühlt haben, gar nicht gemeint waren; samt Hinweis auf die tatsächlich Betroffene.

Und genau das ist so Österreich.

Da entschließt sich ein Verantwortungsträger, etwas hierzulande Unübliches zu tun, nämlich eine (durchaus sinnvolle) Regel auch durchzusetzen, wird dann aber von der emotionalsierenden Konsequenz seiner Handlung derart überfordert, dass er wieder österreichert, also alles nur mehr halbherzig einzurenken versucht. Und gar nicht mehr auf die Idee kommt, dass er seinen kleinen gordischen Kommunikations-Knoten mit dem gleichen Mittel durchschlagen könnte, mit dem er die Sache ausgelöst hat. Stattdessen folgt der typisch österreichische Schlichtungs-Versuch durch die gezielte persönliche Ansprache an der erklärenden Information für alle vorbei. Und weil die unverständlich ist, weil das Missverständnis als solches nicht schnell genug ausgeräumt werden kann, ist der Ballawatsch auch schon passiert. Und weil es keine Konflikt-Kultur wie etwa beim deutschen Nachbarn gibt, also auch niemand Widerrede aushält, alle sofort einschnappen, und sich vor der direkten Ansage sträuben, fehlt letztlich der Wille zur Aufklärung.

Das produziert, wie schon gesagt, nur Verlierer. Verlierer, die sich selber als unverstanden begreifen.
Nun ist der Unverstandene in Österreich aber eine mythische Figur, überlebensgroß. Sie bietet den Persilschein für patziges Verhalten, für das beleidigte Schnoferl und das Leben im Konjunktiv - wie es wäre, wenn die anderen nicht so verständnislose Trottel wären; ich sehe etwa gerade Jörg Haider in seiner Paraderolle vorm geistigen Auge. Das ist nun kein österreichisches Alleinstellungs-Merkmal, aber in der Kombination mit faulem Fatalismus, grantiger Flucht in die Menschenverachtung und dem Minderwertigkeits-Komplex des zu kleinen Landes schon etwas sehr Spezifisches. Und augenscheinlich auch in den kleinen Episoden des Alltags nicht lösbar.

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