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AnnenMayKantereit

Radio FM4 / Christian Stipkovits

AnnenMayKantereits Wien-Konzert

Die Kölner Band ist in den ganz großen Hallen angekommen. Der gestrige Abend in der Wiener Stadthalle war keine große Bühnen-Show, aber Stimme und Texte des Henning May reichen vollkommen für ein beeindruckendes Konzert.

Von Felix Diewald

Christopher Annen, Henning May, Severin Kantereit und Malte Huck betreten die Bühne. „Eigentlich sagen wir vorm ersten Song nie was", gesteht Sänger Henning May, "aber das heute ist das größte Konzert, das wir je in einer Halle gespielt haben.“ Bumm. Und dann singen sehr viele der knapp 16.000 Menschen in der Wiener Stadthalle die ersten Zeilen des AnnenMareyKantereit-Hits „Marie“.

„Die Vögel scheißen vom Himmel. Und ich schau dabei zu. Und ich bin hier und alleine. Marie, wo bist du? Marie, wo bist du?“

Kurzer Outfit-Check: Diese vier Typen sind so spektakulär unspektakulär angezogen. Sänger May in T-Shirt und Jeans. Da hat keiner extra ein Bühnenoutfit angelegt. Zumindest scheint es so. „Sie wirken so echt einfach.“, wird eine junge Besucherin nach dem Konzert sagen.

Kleine Show, großer Auftritt

Überhaupt hat der Auftritt in der Riesenhalle etwas Reduziertes. Es gibt zwar ein fettes Bühnenbild mit von der Decke baumelnden Zetteln und Lichtshow. Aber eigentlich ist das, was AnnenMayKantereit da machen, keine große Show im eigentlichen Sinn. Wenig Große-Bühnen-Gesten, wenig Große-Bühnen-Tanzeinlagen, wenig Große-Bühnen-Action.

Das ist alles Absicht. Denn AnnenMayKantereits Faszination macht zu großen, großen Teilen ihr Sänger, Henning May, der dürre junge Mann mit der Wahnsinns-Stimme, aus, so tief, so rau. Da braucht es nicht viel drumherum. Dass diese May-Intonierung aktuell viele junge männlichen Liedermacher prägt, konnte man etwa gut beim Protestsongcontest-Halbfinale beobachten, wo mehr als einer versucht hat, ihn mehr oder weniger zu imitieren.

Und da sind natürlich die Lied-Texte, die Sänger Henning May unter anderem mit dem Deutschrapper Fabian Döll, aka Döll, und dem Poetry Slammer Felix Römer schreibt. Zeilen wie „Und dann denk’ ich, dass es vielleicht, vielleicht, für immer so bleibt“ wirken in ihrer ganzen Plumpheit und Direktheit entwaffnend und entwickeln dadurch bei vielen, vielen Menschen einen ganz eigenen Sog.

Wer die Songtexte von AnnenMayKantereit nur liest, hat bessere Kalendersprüche vor sich. Vor der Bühne, neben tausenden anderen, haben sie aber etwas ganz Eigenes. Und die meisten Menschen können sich diesem unmittelbaren Bann vor Ort nicht entziehen. Hier zeigt sich eine Regel, welche die Band verinnerlicht hat, als sie noch Straßenmusiker in der Kölner Innenstadt waren:

Die Musik muss dich gleich überzeugen. Jetzt sofort. Sonst gehst du weiter.

Immer wieder wechselt die Band die Aufstellung, mal klassisch als 4er-Indie-Band, dann Sänger May allein am Klavier, dann mit Gast-Bläser. Für „Jenny Jenny“ kommt Schlagzeuger Severin Kantereit mit einer Congo ganz nach vorne auf die Bühne, alle tanzen.

Viele internationale Fans, die kein Deutsch sprechen, sind an diesem Abend in der Stadthalle. Was ihnen an AnnenMareyKantereit gefällt? „I don’t speak German but I memorized all the lyrics“, erzählt ein Fan. “For me, learning German, I like that I can translate it and it’s simple, clean, beautiful lyrics that are also lovely in English.”, ein anderer.

Neue, unveröffentlichte Songs

AnnenMayKantereit haben vergangenen Mai dreimal die Wiener Arena ausverkauft. Die Stadthalle gestern Abend war also der nächste logische Schritt. Wie versucht die Band an diesem Zeitpunkt ihrer Karriere (maximaler Erfolg, die ganz großen Hallen) noch in ungewohnte und neue Situationen zu kommen? „Wir nehmen Songs, die noch nicht fertig sind, gerne mit auf Tour. Beim Soundcheck vor den Konzerten ändern wir die dann immer wieder. So reifen sie.“ sagt Schlagzeuger Severin Kantereit im FM4-Interview vorm Konzert.

Für das neue Material bahnt sich die Band den Weg einmal durch die Masse, auf eine circa ein-Quadratmeter-große Mini-Bühne am anderen Ende der Halle. Und auf dieser kleinen Bühne, da sind sie dann wieder mehr die Normalo-Band, die einfach ein paar Sachen ausprobiert. Zum Beispiel das noch unveröffentlichte Lied „Für Pia“. Ein politischer Song. Sänger Henning May erzählt auf der Bühne, dass jene Pia vor einem italienischen Gericht stand, weil sie als Seenotretterin im Mittelmeer Geflüchtete gerettet hat. Ihr ist das Lied gewidmet. Oder „Orangenlied“:

„Es ist so verrückt wie die Zeit vergeht. Mein Vater denkt immer an früher, wenn er Orangen schält“

Auch Gitarrist Christopher Annen darf jetzt ein Lied singen, er will „Kein Tourist“ sein. Die Band tauscht beim Proben und komponieren mittlerweile immer öfter die Rollen untereinander, wie sie vorab erzählen. (An dieser Stelle im Konzert stellt sich dem Zuschauer die große Frage, wie gleichberechtigt eine Band in sich selbst wirklich sein kann und ob es Sinn macht, wenn jeder alles machen kann).

Es wirkt, als hätte der ein bissl verplant wirkende Henning May nach Wirbeln, die ein rasanter Aufstieg so mit sich bringt (Auf dem Song „Schon krass“ heißt es: „Aber ich glaub’ aufm Weg nach oben, Liegen überall Drogen“) im vierten Jahr nach dem Debüt „Alles nix Konkretes“ seinen eigenen Safe Space in der Öffentlichkeit, im Rampenlicht, auf der Bühne, im Leben gefunden. May bewegt sich mit bewundernswerter normal und authentisch da oben. Er haut immer wieder spontane Ansagen raus. Oder er zeigt, wen er alles von seiner Warte aus durchs Scheinwerferlicht hindurch sieht (den Fotografen, die wild tanzende Gruppe dahinten, die zwei Typen mit dem Shirt).

Dreifache Zugabe

„Pocahontas“ als offizieller Abschluss. Dieser AnnenMayKantereit-Mega-Hit ist ja eigentlich eine „I’m-sorry-I-fucked-up“-Nummer. Aber die Menschen springen und springen. Dreifache Zugabe, zuerst „Barfuß am Klavier“, dann der Song für alle Young Professionals „Ich geh heut nicht mehr tanzen“ mit der wohl besten AMK-Line, die es gibt und die aus dem Nichts eine neue Strophe eröffnet: „Vietnamesisch neben dem Bett, ich hab’ nie was im Kühlschrank.“ Ganz zum Ende natürlich die neue Nummer, die Anti-These zum Daheimbleiben: „Ausgehen.“

„Würdest du heute mit mir ausgehen? Ich würd’ dich auch nach Haus bringen. Ich weiß, du musst früh aufstehen. Würdest du trotzdem mit mir ausgehen?“

Was kann für AMK jetzt noch kommen?

Was, fragt man sich, am Ende dieser der sportlich-ambitionierten Setlist (insgesamt 21 Songs), soll jetzt bitte noch für diese Band in Zukunft kommen? Wo wollen AnnenMayKantereit in Zukunft hin? Sie sagen, sie würden gerne mal in den USA als Vorband spielen, wo sie keiner kennt. Diesen Sommer spielt die Band erst mal Konzerte in Russland und der Türkei. Auch dort gibt es viele Fans, erzählen sie. Allein die beiden Moskau-Termine der deutschsprachigen(!) Band AnnenMayKantereit in 3000er-Hallen waren nach wenigen Tagen ausverkauft.

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