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Simone Hirth und ihr Roman "Das Loch"

Simon Welebil / Radio FM4

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Sarkasmus aus Verzweiflung: Simone Hirths „Das Loch“

Eine junge Schrifstellerin fällt durch die Geburt ihres Sohnes in ein Loch, dem sie nur langsam wieder entkommt. Simone Hirth räumt in ihrem neuen Roman „Das Loch“ mit der Illusion der glücklichen Mutterschaft auf.

Von Simon Welebil

Die Vorstellung, wie es wohl ist, ein Kind zu haben, unterscheidet sich oft recht deutlich von der Realität. Denn der Einschnitt, den ein Kind für das Leben eines Paares, vor allem aber das einer Mutter bringt, kann sehr tief sein.

Das muss auch, Henriette Schöbel erfahren, die Protagonistin in Simone Hirths aktuellem Roman „Das Loch“ und wie sie selbst Schriftstellerin. Seit sie nämlich ihren Sohn zur Welt gebracht hat, ist es mit dem Schreiben vorbei.

Das liegt natürlich erst einmal an ihrem Kind, das sie nicht schlafen lässt und ihre ganze Aufmerksamkeit und Kraft beansprucht, aber auch an der mangelnden Unterstützung. Ihr Mann geht wie allgemein üblich bald wieder arbeiten, viel zu oft und viel zu lang, ihre eigenen Eltern sind weit weg, und die Schwiegereltern bringen sich hauptsächlich mit ungewollten Ratschlägen ein. Aber die fehlende Unterstützung ist natürlich nicht nur eine familiäre Sache, auch von der Gesellschaft und ihren Institutionen kommt zu wenig.

Briefe gegen die Sprachlosigkeit

Die Folge ist eine totale Sprachlosigkeit, eine Schreibblockade, fast schon eine Depression, was Henriette für sich als ein Loch zusammenfasst. Doch sie kämpft dagegen an. An einem einsamen Silvesterabend beginnt sie, Briefe zu schreiben, die sie aus ihrer Situation erlösen sollen, Jammerbriefe und Beschwerdebriefe, an verschiedenste Adressat*innen: an ein Murmeltier, einen Frosch, an Jesus, Mohammed, den Kanzler, die Frauenministerin, an Schneewittchen, Madonna, Britney Spears und viele andere.

Simone Hirth und ihr Roman "Das Loch"

Simon Welebil / Radio FM4

„Das Loch“ von Simone Hirth ist bei Kremayr & Scheriau erschienen

Am Weltfrauentag klagt sie etwa Mohammed folgendermaßen ihr Leid mit einem dauerquengelnden Kind: „Ich sitze hier und denke: Ich kann nicht mehr. Ich liebe mein Kind, aber ich kann gerade nicht mehr. Und ich muss hier trotzdem sitzen und muss können. Weil eine Mutter können muss. Weil die Väter ja nicht müssen. Am Weltfrauentag. Im Jahr 2018. Und dafür würde ich heute auf der Straße eine rote Nelke von der Gewerkschaft und eine rote Rose von der Partei geschenkt bekommen, und 25 Prozent Rabatt beim H&M.“

Verlorene Illusionen

Simone Hirth zerstört romantische Vorstellungen, soviel ist nach ihren drei bisher erschienenen Romanen klar. In “Lied über die geeignete Stelle für eine Notunterkunft“ und „Bananama“ hat sie das Aussteigerleben entzaubert, jetzt räumt sie mit der Mutterschaft und dem Kinderkriegen auf. Beides hat sie gewissermaßen aus Selbsthilfe gemacht, wie sie im Interview erzählt: „Ich glaube nur deshalb beginne ich einen Roman zu schreiben, weil ich ja selber Illusionen verloren hab, und da hilft dann nur schreiben.“

Auch ihrer Protagonistin, die nicht nur den Beruf und die Erfahrung des Kinderkriegens mit ihr teilt, sondern vieles mehr, hilft Schreiben aus ihrer Situation. Die Briefform wählt sie, weil sie einen Weg aus der Isolation, allein in einem kleinen niederösterreichischen Dorf, zu sein scheinen, aber auch, weil Briefe kurz sein können und man sie nach einer Unterbrechung – wie sie durch Kinder ja recht häufig vorkommt – wieder aufnehmen kann.

Dass Jesus und Mohammed die zwei häufigsten Adressaten sind, zwei Religionsgründer, zu denen später auch noch Buddha dazukommt, ist laut Hirth daraus entstanden, dass das Loch auch ein Loch in alles gerissen hat, woran sie geglaubt hat. Daher sei es fast logisch gewesen, sich an Gott oder eben seine Propheten zu wenden. Spannend ist dieser Zugang auch deswegen, weil es Männer sind, und gerade deshalb Reibungspunkte entstehen – und Antworten gibt’s von den Angeschriebenen natürlich nicht, genauso wenig wie von der Frauenministerin, die in Österreich aktuell ja keine Feministin mehr sein will.

Sarkasmus aus Verzweiflung

In Simone Hirths Romanen hat Humor immer eine große Rolle gespielt. Bei den ersten beiden Romanen war es vor allem die Ironie, die treffsicher eingesetzt wurde, in „Das Loch“ kippt es hingegen ins sarkastische, zynische und zornige. Manche Briefe sind wahre Rants geworden. „Eigentlich wäre ich gerne ironisch geblieben“, sagt Simone Hirth, weil sie das als stärker als den Sarkasmus empfindet, diese Entwicklung sei aus Verzweiflung passiert. „Ich würde behaupten, man wird sarkastisch, wenn man verzweifelt ist. Ironisch ist man, wenn man stark ist.“

Und die Verzweiflung entsteht durch verschiedenste Vorkommnisse. Nicht nur durch wunde Brustwarzen oder Schreianfälle des Sohnes in der Öffentlichkeit oder auf langen Reisen, sondern auch durch den fehlenden Kinderbetreuungsplazt für Selbständige oder dass ihr Dasein als Schrifstellerin in dieser Phase der Mutterschaft von ihrem Umfeld doch vielfach eher als Hobby betrachtet wird. Letzteres sieht Hirth generell als Problem von schreibenden Frauen, die Kinder haben. Einem männlichen Autor würde man so etwas wohl nie vorhalten, was in einem Zitat der #dichterdran-Aktion, das dem Buch vorangestellt ist, wohl am besten zum Ausdruck kommt:

„Wenn die Kinder in der Schule, Abwasch und Einkäufe erledigt waren und das Bügeleisen langsam erkaltete, widmete sich Heinrich Böll seinem heimlichen Hobby, dem Schreiben – Simone Meier (#dichterdran)

Die Revolution ist aufgeschoben

„Das Loch“ ist einerseits ein Roman über ein Zurückerobern der Sprache und des eigenen Lebens, ein emanzipatorischer und feministischer Roman, andererseits aber auch ein Buch, das fehlendes Verständnis schaffen will, zwischen Mutter und Vater, aber auch in der Gesellschaft allgemein. Viele Mütter können nicht aussprechen, dass sie manchmal unglücklich sind und dass Muttersein manchmal wirklich dunkle Seiten hat. „Ich hab das mit der Intention geschrieben, zu sagen: He Mütter, ihr könnt doch ehrlich sein. Es ist einfach mal ein Scheißjob oft und nicht nur rosa Wölkchen und Mutterglück, sondern es ist wirklich anstrengend und man muss schauen, wo man selber dabei bleibt. Es ist auch nichts dabei zu sagen ich bin jetzt grade unglücklich, obwohl ich Mutter bin. Es muss raus, glaub ich – und ich glaub auch nicht, dass die Kinder darunter leiden“, sagt Simone Hirth dazu.

Für ihre Protagonistin, die auch Briefe an Rosa Luxemburg und Ulrike Meinhof schreibt, ist die Revolution gestorben, denn „mit einem Baby kann man keine Revolution machen“, so Hirth, sondern Kompromisse. Was ihr bleibt, ist nur mehr die Revolte, für unsere Gesellschaft bleibt noch viel zu tun.

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