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Homeoffice

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Blumenaus 20er-Journal

Ausnahmezustand und Normalität

Kein Fortgehen am Abend, eingeschränkte Besorgungs-Wege, Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung: für einige von euch eine neue Erfahrung, für mich seit Monaten Alltag. Willkommen in meiner Welt!

Von Martin Blumenau

Ihr kennt das jetzt seit ein paar Tagen; ich lebe seit fast einem halben Jahr so: Konzert- oder Kinobesuche kann ich mir aufmalen, Erledigungen krieg ich nur bei gleichzeitiger Ausfahrt mit dem Kinderwagen unter, Texte schreib ich beim Babyschaukeln mit einem Finger oder bei den Ausfahrten am Handy.

Der Unterschied ist: Ich mach’ das freiwillig, im Bewusstsein, dass die Ankunft eines neuen kleinen Menschen diese Einschränkungen eben nach sich ziehen, wenn man nicht komplett irre werden will. Und ich bekomme auch etwas dafür. Einen lieben Blick aus strahlenden Knopfaugen, ein wohliges Keckern aus einem riesigen, weit geöffneten Mäulchen. Das war der Deal.

Seit einigen Tagen ist einer meiner genormten Wege weggefallen, der einzige ohne Kinderwagen, der von daheim auf den Küniglberg, dort darf ich jetzt nur noch ein, zweimal die Woche hin, zu Zeiten wo sonst keiner da ist. Und es ist etwas dazugekommen: der Ältere, frische Volksschüler, lungert daheim herum und erprobt sich gerade im frei fließenden Raum zwischen Wunsch nach Struktur/Vorgaben und völliger Selbstbestimmtheit. Alles andere ist gleichgeblieben. Ich treffe bei meinen „Schlaf jetzt!“-Ausflügen jetzt halt weniger Menschen, und halte brav Abstand.

Wie viele von euch weiß ich, dass das alles auch ein Ablaufdatum hat, im Gegensatz zu vielen von euch weiß ich aber, dass ich länger in dieser partiellen Abgeschottetheit existieren werde: bis zum Kindergarten ist es noch ein knappes Jahr. Für euch ist es vielleicht schon in zwei Monaten vorbei. Trotzdem befürchte ich, dass viele von euch in eine Sinnkrise taumeln werden. Noch nicht in Woche 1, auch nicht nächste oder übernächste, aber dann.
Weil: ihr habt diesen Deal nicht, ihr wisst nicht wofür ihr’s macht, Stichwort Knopfaugen, Keckern. Ihr habt abstrakte Schablonen: für die Eltern/Großeltern-Generation, für den Zusammenhalt, die Gemeinschaft. Das ist alles richtig und wichtig, aber unkonkret, emotional gesehen.

Ich glaube deshalb, dass ihr was braucht. Also nicht die, die noch richtig arbeiten, ohne home davor. Und nicht die, die Sorgen haben, wegen prekärer Verhältnisse oder neuer Arbeitslosigkeit oder anderer drohenden Einschnitte. Und nicht die, für die zu Hause eher eine Drohung ist denn ein Schutz. Ich meine nur euch, ihr neuen Homeoffice-Menschen, die ihr abgeschnitten seid von euren gewohnten Freiheiten, was Bewegung betrifft und potentielle kleine Geheimnisse, Ausschweifungen, guilty pleasures etc, die jetzt alle wegfallen.

Sucht euch was, irgendein Äquivalent, eine Belohnung, ein „dafür nehm’ ich das gern auf mich“. Ich glaube es kann den Emotionshaushalt enorm stabilisieren, und das wird sehr notwendig sein in der nächsten Zeit. Und nein, ich meine damit nicht, dass ihr jetzt sofort Babies machen sollt, wegen den keckernden Knopfaugen - die würden erst die nächste Pandemie im nächsten Frühling sinnstiftender gestalten.

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