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Rina Sawayama

Rina Sawayama

Zwischen Hommage und Experimentierfreudigkeit: Das Debütalbum von Rina Sawayama

Rina Sawayama, im japanischen Niigata geboren und in London aufgewachsen, denkt den Popbegriff auf ihrem Debütalbum „Sawayama“ groß, kommt aber nicht komplett von ihren musikalischen Einflüssen weg.

Von Christoph Sepin

Das erste Mal las ich den Namen Rina Sawayama vor ein paar Monaten im britischen Guardian: „There’s a lot to be angry about“, nannte sich der Artikel, der sich mit einer neuen Generation weiblicher Popstars befasste, die sich Genrekonzepten des alten Nu-Metal bedienten, um damit ihre eigenen Geschichten zu erzählen.

Sawayama wurde da im Zusammenhang mit Musikerinnen wie Grimes oder Poppy genannt, die in ihren wütenden Tracks nicht, wie früher Bands wie Limp Bizkit oder Papa Roach, aus einer Position der frustrierten Adoleszenz herausbrüllen, sondern sich komplexeren Themen annehmen.

Bei Grimes sind das Lieder über künstliche Intelligenz und den Klimawandel, bei Poppy Gedanken über Isolation und Paranoia, und bei Rina Sawayama und ihrem fabelhaften Track „STFU!“ ist das eine klare Message gegen Fetischisierung und ein Anprangern toxischer Beziehungen.

Rina Sawayama wurde in Japan geboren und wuchs in London auf, früher war sie mal mit Theo Ellis von Wolf Alice in einer Band, dann begann sie zu modeln und als Schauspielerin zu arbeiten - zuletzt etwa in der Idris Elba-Show „Turn Up Charlie“. Letztes Jahr tourte sie gemeinsam mit Charlie XCX durch Europa, bevor jetzt, vor wenigen Tagen, ihr Debütalbum „Sawayama“ erschien, wofür ihr der NME auch sein aktuelles Cover widmet.

Auf ihrem Debüt zeigt sich Sawayama von vielen Facetten und besonders experimentierfreudig - mit allem was so dazugehört. „STFU!“, ihr perfekter Nu-Metal-Sturm ist da genauso drauf, wie verschiedene Interpretationen diverser Phasen der Popmusik, textlich untermalt mit unterschiedlichsten autobiographischen Momenten - ein Album, wie ein Tagebuch, das wird beim ersten Hören klar.

Es lohnt sich, zuzuhören

Familie und Gemeinsamkeit, das sind große Themen auf „Sawayama“ - egal ob das jetzt eine Familie ist, in die man hineingeboren wurde oder die man sich aussucht. „I’m a dynasty, the pain in my vein is hereditary“, singt sie schon am Eröffnungslied namens „Dynasty“, während dramatisch im Hintergrund die Instrumentierung aufgebaut wird - ein Lied über „intergenerational pain“, so beschreibt sie diesen Track.

Albumcover Sawayama

Rina Sawayama

„Sawayama“ von Rina Sawayama ist auf Dirty Hit erschienen.

Nicht nur bei diesem, ersten, sondern bei allen Liedern zahlt es sich aus, der Musikerin zuzuhören. Rina Sawayama geht hier auf große Selbstfindung und betrachtet sich zumeist selbst aus verschiedenen Perspektiven. Da ist die Dankbarkeit für ihre „Chosen Family“ am gleichnamigen Track, „my LGBTQ sisters and brothers“, wie sie sagt. Dann aber auch Momente des Selbstzweifels: In „Bad Friend“ bereut sie, nicht immer für ihre Freund*innen dagewesen zu sein („Guess we fell out, what was that all about?“), in „Fuck This World“ distanziert und wendet sie sich von der Welt und all ihren Ungerechtigkeiten ab („Sick of what you people taking, from the bottom to feed the top“).

Dann geht es in Rina Sawayamas Reise durch ihre Gedanken um das große Thema Identitätsfindung, im Speziellen ihre japanische Herkunft und ihr Aufwachsen in Großbritannien. „Akasaka Sad“ ist ein Lied darüber sich irgendwie nirgendwo zuhause zu fühlen („I guess I’ll be sad, forever and ever and ever, wherever I go, forever“), während sie in „Tokyo Love Hotel“ wiederum Tourist*innen anprangert, die Japan wie einen Vergnügungspark behandeln („They don’t know you like I know you, use you for one night and then away they go“).

Experimentierfreudigkeit in fast jedem Lied

Es ist ein Spaß, sich durch dieses Album zu hören, wenn dank Sawayamas Experimentierfreudigkeit in fast jedem Lied, auch wenn das manchmal unter Ebenen von Instrumenten versteckt ist, neue Überraschungen warten. Aber wie das eben so ist mit Experimenten, bringt ihr Zugang auch allerlei Risiken mit sich. Und so ist nicht jeder Track voll mit wunderbaren, großen Momenten und Hooks. Sawayamas Einflüsse, der Pop der frühen 2000er, sind deutlich hörbar und nicht immer schafft sie es, ihre eigene Stimme darin zu finden.

Das liegt wohl vor allem an der Dissonanz, die entsteht, wenn richtig große Tracks, wie die Nu-Metal-Übersteuerung „STFU!“ oder der schönste Hit auf dieser Platte, der herrlich nostalgische Dancetrack „Comme Des Garçons“ andere Lieder zur Mittelmäßigkeit degradieren. Da ist es dann letzten Endes auch interessant, dass es die mutigsten, ungewöhnlichsten Songs sind, die am meisten aus dem klassischen Popkorsett ausbrechen und am schönsten in Erinnerung bleiben.

Vielleicht ist „Sawayama“, zumindest was die Instrumentierung betrifft, damit auch nicht unbedingt ein Album im klassischen Sinn, das unbedingt von Anfang bis Ende durchgehört werden muss. Dafür aber eine erzählerisch stimmige Reise durch die Gedankenwelt der Musikerin und ein erster, ganz fundamentaler Schritt für eine zukünftig große und unkonventionelle Popkarriere.

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