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The Last Black Man in San Francisco

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The Last Black Man In San Francisco

Ein Film über Gentrifizierung, über Rassismus, über das Rückerobern von Raum und vor allem über Freundschaft.

Von Christian Pausch

Die Geschichte, wie sich Hauptdarsteller Jimmie Fails und Regisseur Joe Talbot kennengelernt haben, könnte als Vorgeschichte zu ihrem gemeinsamen Film - und Talbots Spielfilmdebüt - „The Last Black Man In San Francisco“ gelesen werden. Der weiße Regisseur und der Schwarze Schauspieler haben sich nämlich in einem Park in San Francisco kennengelernt, der ihre beiden Nachbarschaften trennt bzw. verbindet.

Dass es in San Francisco, der viertgrößten Stadt Kaliforniens, Viertel gibt, die fast ausschließlich weiß sind, ist zu einer vermeintlichen Normalität geworden. Dass es in dieser Stadt auch Mietpreise gibt, die man sich in Europa (trotz London und Paris) kaum vorstellen kann, und dass das die Segregation, die hier demografisch stattfindet, weiter vorantreibt, ist kein Geheimnis.

If you leave, it’s not your loss, it’s San Francisco’s

Genau in diese Kerbe schlägt „The Last Black Man In San Francisco“ und erzählt gleichzeitig auch die wahre Lebensgeschichte von Jimmie Fails. Denn auch der ist, wie seine gleichnamige Figur im Film, die ersten Jahre seines Lebens im alten, herrschaftlichen Haus seines Großvaters, in einem der nun gänzlich weißen Viertel aufgewachsen. Dort, wo es die schönen Hügel gibt, die kunstvoll verzierten Blockhäuser, die gezeigt werden, wenn San Francisco beworben wird.

Was nicht gezeigt wird, ist, was am Fuße der schönen Hügel und dahinter liegt: die Outskirts, die Vororte, wo das Wasser verseucht ist, und die Fische drei Augen haben. Dort lebt Jimmie jetzt, bei seinem Freund Mont im engen Kämmerchen. Mont - hervorragend verkörpert von Jonathan Majors - malt Porträts, schreibt Theaterstücke und ist ein Schwarzer Mann, wie man ihn selten auf der Leinwand sieht: zerbrechlich, künstlerisch, introvertiert und vor allem ein unentbehrlicher loyaler Freund für Jimmie, denn die beiden hecken zusammen einen Plan für das alte Haus von Jimmies Großvater aus.

The Last Black Man in San Francisco

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Als die weißen Besitzer*innen des Hauses ausziehen, beschließen die beiden Freunde, es zu besetzen und mit den noch vorhandenen alten Möbeln auszustatten. Ein Vintage-Traum, nicht nur für Innenarchitektur-Interessierte. Und überhaupt ist der Film etwas für Ästhet*innen, denn jede Einstellung sieht wie ein Gemälde aus: Wenn die Straßengang vor Monts Haus homophobe Sprüche klopft, dann sind sie nicht zufällig in den Farben des Regenbogens gekleidet. Wenn Mont und Jimmie die Familie besuchen, dann gehen sie nicht zufällig durch ein blühendes Feld, wie dereinst Celie in „Die Farbe Lila“ (1985).

Der Film ist voller solcher Zitate und versteckter Hinweise, was vor allem dazu anregt, ihn nicht nur einmal zu schauen. Nebenbei wirkt auch jede Szene wie ein in sich geschlossenes Kammerspiel mit grandioser Songauswahl: Als Jimmie auf ein Cablecar wartet, wird ein Mann neben ihm von einer betrunkenen Meute wüst beschimpft, während ein Jefferson-Airplane-Partyremix fast jeden Sound verschluckt. So auch, als die schon erwähnte Gang untereinander zu streiten beginnt, setzt plötzlich Joni Mitchell ein und die Stimme dieser so weißen, so blonden Folksängerin setzt den stärksten Kontrast zum Bild.

Das Haus nimmt im Film natürlich einen wichtigen Platz ein, doch neben dem Offensichtlichen steht es auch für die Traumata von Jimmies Familie, denn in Gesprächen mit seinem Vater stellt sich heraus, dass jede Generation unterschiedlich mit dem Verlust des Gebäudes umgeht. Wenn in einem der emotionalsten Momente im Film herauskommt, dass das Haus von japanischen Einwander*innen erbaut wurde und nicht von Jimmies Großvater, müssen sich plötzlich alle auch ihrer Verantwortung gegenüber anderen Minderheiten bewusst werden.

The Last Black Man in San Francisco

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Gentrifizierung und das Rückerobern von Räumen ist ein komplexes Thema, das in „The Last Black Man In San Francisco“ leichtfüßig und pittoresk behandelt wird, aber auch vor den unbequemen Fragen und Wahrheiten wird hier nicht Halt gemacht. Ein Thema, das aber alles überstrahlt, ist Freundschaft. Mont und Jimmie, die so häuslich miteinander sind und in einer Szene sogar direkt und nur durch einen Kameraschwenk mit einem verheirateten Paar verglichen werden, stehen für eine neue Art der Männerfreundschaft. Eine, die auch emotional und liebevoll sein darf.

Als Mont eines Tages von der Gang gemobbt wird, ist Jimmie aufgebracht und wütend, doch Mont verteidigt die Mobber:

I shouldn’t get to appreciate them, just because they are mean to me? That’s silly.

Ein Satz, wie so viele aus diesem wunderbaren Film, über den ich noch länger nachdenken werde müssen. „The Last Black Man In San Francisco“ überzeugt nicht nur mit seinem Soundtrack, mit seiner ausgetüftelten Farbgebung und seinen popkulturellen Zitaten, sondern auch mit seiner Aktualität.

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