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Hanna Herbst trägt Brille und Nasenring und freut sich

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Der wahrscheinlich beste Vormittag beim Bachmannpreis!

Der zweite Lesetag in Klagenfurt beginnt mit Helga Schubert, die eine ganz eigene Geschichte mit dem Bachmannpreis verbindet. Und: Hanna Herbst hat gleich zwei Texte für die 44. Tage der deutschsprachigen Literatur geschrieben.

Von Maria Motter

Zweiter Lesetag und endlich Auftritt der ersten großen Favoritin: Helga Schubert ist mit Jahrgang 1940 die älteste Autorin, die dieses Jahr um den Bachmannpreis liest. Und die Jury war hellauf begeistert von ihrem intensiven Text „Vom Aufstehen“.

Dabei ist Helga Schuberts Geschichte mit dem Bachmannbewerb eine Geschichte für sich. Schubert war 1980 schon einmal eingeladen zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur. Damals durfte sie nicht aus der DDR ausreisen. 1987 kam sie dann nach Klagenfurt – als Jurorin. Die Erste aus der DDR. Bis 1990 war sie in der Jury. Und jetzt, 30 Jahre später, ist sie die erste große Favoritin für den Ingeborg-Bachmannpreis in diesem Jahr. Sie freut sich, dass sie sich so spät, aber doch am Regime rächen kann.

Helga Schubert sitzt im Garten

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Helga Schubert, die große Favoritin für den Bachmannpreis 2020

Schnörkellos und präzise erzählt Helga Schubert in ihrem Text „Vom Aufstehen“ ausgehend vom Räumen der Wohnung nach dem Tod einer Mutter von einer Tochter-Mutter-Beziehung, in der die Innigkeit vermisst wurde. In Rückblenden tut sich ein Leben, lange in der DDR, auf. „Vom Aufstehen“ ist neben der und gerade durch die Familien- auch Zeitgeschichte, intim und innig erzählt.

„Ich weiß auch genau, von allen Erzählungen, den hunderten Texten, die ich in meinem Leben geschrieben habe, ist es wahrscheinlich der beste“, hatte die Autorin dem NDR vorab schon versichert.

Kolleg*innen streuen ihr Rosen:

Bachmannpreis 2020,
live auf 3Sat und bachmannpreis.orf.at, 17. bis 21. Juni 2020.
Und auch das Publikum kann mitbestimmen, wer ausgezeichnet wird: Das Voting für den Publikumspreis läuft am 20. Juni von 15.00 bis 20.00 Uhr.

Publikumspreis-Voting

Morgen, am Samstag, können wir für unsere jeweiligen Favorit*innen abstimmen. Hanna Herbst hat mehr als einen Fanblock, aber der auf Twitter ist der lauteste. Laut wird Hanna Herbst gegen Rechtsextremismus und das wird gefeiert. So mancher Beobachter des Bachmannbewerbs hätte ihr am liebsten schon vorab den Publikumspreis verliehen.

Hanna Herbst präsentiert ein Requiem in Prosa

Hanna Herbst ist ein Medienprofi. Sie war stellvertretende Chefredakteurin von VICE Österreich, hat das Buch „Feministin sagt man nicht“ (Brandstätter, 2017) geschrieben und wird als Chefin vom Dienst mit Jan Böhmermann an dessen nächster TV-Show arbeiten. Dazwischen also Bachmannpreis und alles ist schön angerichtet in ihrer Wohnung, man sieht Kunst und Leben. Viele Lesende haben bislang ersehnte White Cubes bevorzugt.

Hanna Herbst vor der Bachmannbewerb-Lesung

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Hanna Herbst

Zurück zum Text. Bzw. den Texten, denn Hanna Herbst hat gleich zwei Texte geschrieben: Mit Leon Engler den charmant-entzückenden Song „Herbstmanöver“, dessen Titel auf das gleichnamige Gedicht Ingeborg Bachmanns verweist und mit dem sich Herbst in ihrem Videoporträt vorstellt. Es ist das schönste Lied für den Bachmannpreis, vorläufig für immer. Und dann gibt es den Textbeitrag „Es wird einmal“.

„Es wird einmal“ erzählt ungezählte Geschichten verknappt auf eine Pointe, bei der man nicht lachen, sondern jemanden umarmen möchte. Alanis Morisette wäre sehr beeindruckt. Doch ein Schicksal, wenn man denn so will, ist zentral gesetzt. Es geht um das Festhalten in der Erinnerung an einen Vater, der Maler war. Der Text ist ein Requiem in Prosa.

Jury-Vorsitzender Winkels sagt, es hätte sich wie Gift in ihn eingeschlichen, dass alles gefaket sein könnte. „Das ist das seltsam Schillernde an diesem Text.“ Die große Diskrepanz zwischen großartigen Bildern und Klischees hat Philipp Tingler so bislang beim Bewerb nicht gelesen.
„Wenn das Verlust zeigen soll, kann das nicht eine Pointe nach der anderen haben. Dann muss es mehr Leerstellen haben“, findet Michael Wiederstein. Insa Wilke sieht es ganz anders, sie findet den Text „ganz großartig“.

Im FM4-Interview mit Zita Bereuter hat Hanna Herbst schon gestern erzählt, wie entspannt die Aufnahme der Lesung zuhause für sie ist.

Hanna Herbst bei ihrer Lesung.

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Hanna Herbst ist Chefin vom Dienst bei Jan Böhmermanns neuer Show, die im Herbst starten soll.

Humanismus für Dummys

Nach Egon Christian Leitners Lesung meldet sich endlich die neue Jurorin Brigitte Schwens-Harrant richtig zu Wort. Die Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“ fasst Texte inhaltlich kurz, leider kommt sie dabei selbst noch zu kurz.

Die Jury-Diskussionen werden kontinuierlich von Neo-Juror Philipp Tingler sabotiert - um kurz mal in seine Wortwahlliga einzusteigen. „Wenn ich ausnahmsweise über mich selbst sprechen darf: Literatur sollte universell sein und nicht beengend.“ Hat niemand den neuen Kollegen mal begrüßt und ihm erklärt, wie das läuft? Dass man sich erst Notizen macht, wenn jemand anderer spricht, und danach darauf noch Bezug nehmen kann. Erich Christian Leitner erklärt sich für sehr altmodisch und zitiert Platon. Humanismus für Dummys wäre das Buch, das Egon Christian Leitner in seinen sieben Sätzen sprechend vor laufender Kamera damit geschrieben hat.

Die Fronten sind dann schnell ausgemacht. Dass Juror Philipp Tingler sich in den Pausen umzieht und gern sein Repertoire seiner teuren Designerklamotten zeigt, ist nicht zu übersehen. Wenn ein Logo auf der Brust prangt, kommt noch eine Text-Ebene dazu. Klaus Kastberger trug das Manskripte-Logo und erinnerte damit an Alfred Kolleritsch.

Zum Bachmannpreis gehört auch, dass alle Jahrmarkt der Eitelkeiten spielen und „mitgoggern“, wie es Kärnter Freunde sagen. Mach ich auch, machen alle, online und offline im Wohnzimmer vor dem Fernseher noch mehr.

Es gibt aber die Texte, da wird es ruhiger, da schlägt der Feed kaum Wellen und die Nachbesprechung wird auf später, zum Kaffee in die Küche verlegt. Hanna Herbsts Text ist noch präsent, den muss man sich nicht gleich ausdrucken. Helga Schuberts liegt schon da. Leonhard Hieronymis ist von gestern gelieben. Jörg Piringers erfreute.

Die Tage der deutschsprachigen Literatur sind eine Show und das dieses Jahr noch mehr, weil sie diesmal eingekastelt sind auf Screens. Wütend in die Leihradpedale treten und in den Wörthersee springen, um wieder klar zu sehen, ist diesmal nicht. Es werden keine Kasnudeln im kühlenden Schatten eines Innenhofs serviert zum Drüberdiskutieren.

Philipp Tingler erklärt sich in jeder Diskussionsrunde am Nachmittag. Die Lesungen von Matthias Senkel und Levin Westermann verhallen gar zu schnell.

Dieser Nachmittag schlägt keine Feed-Wellen mehr

Matthias Senkel ließ sich für sein Videoporträt von einer Malerin porträtieren. „Warenz“ heißt sein Text, dem man erst ausgedruckt gerecht werden könnte. Die Jury hatte ja die Texte vorab, immerhin haben sie die Autor*innen zum Bachmannpreis-Lesen eingeladen. Senkel entwirft eine vertikale Topografie, fasst Insa Wilke den Aufbau kurz. Philipp Tingler ist „passagenweise fast ins Koma gefallen“ ob der „Plotbrocken und Handlungsfetzen“ der Collage. Klaus Kastberger zeigt, wie die Aufnahmesituation für die Juror*innen aussieht:

Der Freitag-Vorlesetag endet mit Levin Westermann. Er legt in seinem Beitrag um den Bachmannpreis keinen Streichelzoo an, obgleich ungezählte Tierarten vorkommen. Vielmehr werden gleich Katzenbabys „entfernt“. So hat man sich Cat Content durchaus vorgestellt, es geht ihnen klarerweise an den Kragen. Die Jurydiskussion endet mit der Sendezeit.

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