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Hamilton Musical

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„Hamilton“ - historisch gut?

Der größte Musicalerfolg der letzten Jahre ist unumstritten „Hamilton“. Der Broadway-Hit über den amerikanischen Gründungsvater und Kopf auf der 10-Dollar-Note, Alexander Hamilton hat elf Tonys, je einen Pulitzerpreis und Grammy gewonnen und über eine Million Dollar pro Spielwoche eingenommen. Nun ist der Film vom Broadway Stück - verfrüht - erschienen.

Von Dalia Ahmed

Die Tickets für die „Hamilton“-Aufführungen am Broadway und später im Londoner West End waren Monate im Vorraus ausverkauft. „Hamilton“ war so beliebt, dass sogar der US-Vizepresident Mike Pence sich das Spektakel anschauen wollte. Bei seinem Theaterbesuch wurde er vom Publikum ausgebuht und die Schauspieler*innen haben sich am Ende des Stücks spontan - von der Bühne aus - an Mike Pence gewandt, mit den Worten: „Wir hoffen, diese Aufführung hat sie dazu inspiriert (…) für uns alle zu arbeiten“.

Nun ist die vor vier Jahren entstandene Aufzeichnung des Musicals - aufgrund des coronavirusbedingten Shutdowns vom Broadway verfrüht - auf Disney+ erschienen.

Ein Stück, das die Lebensgeschichte Alexander Hamiltons erzählt, der 1776 als „bastard, immigrant, son of a whore“ mit 19 Jahren nach New York kommt, um dort berühmt und mächtig zu werden. Im Big Apple angekommen, schließt sich der junge Waise mit anderen anti-britischen Revolutionären zusammen und erkämpft mit George Washington und Co die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika.

Der amerikanische Traum jetzt für alle?

„Hamilton“ skizziert den Aufstieg Hamiltons vom Nobody zum General und späteren Gründungsvater des US-amerikanischen Bankensystems. Der Ur-American Dream sozusagen.

Geschrieben, komponiert und in der Hauptrolle gespielt wurde „Hamilton“ von Lin-Manuel Miranda. Der nun zum Theater- und Filmsuperstar avancierte Miranda wurde in New York als Sohn puertoricanischer Eltern geboren und begeisterte sich schon in jungen Jahren für das (Musical-)Theater. Sowohl als Schauspieler, als auch als Autor und Komponist.

Mirandas Umfeld in New York City und die Liebe zur Stadt bilden auch das Herzstück „Hamiltons“. Die Inszenierung New Yorks als Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Revolution und eigentlich der ganzen Welt, ist wohl mitunter ein Grund, warum der Broadway und die New Yorker*innen das Musical so herzlich empfangen haben. Denn „Hamilton“ war von Anfang an kein Touristenfalle-Musical, durch das Besucher*innen durchgescheucht werden, um ihnen möglichst einfach, möglichst viel Geld abzunehmen.

Rap dominiert das ganze Musical

Als Musical hat „Hamilton“ auch alles im Angebot, was gefragt ist: Eine lineare „vom Tellerwäscher zum Millionär und dann geht’s wieder bergab“-Storyline, eine Nemesis in Form des Frienemies Aaron Burr und ein frisches Element, um die Arbeit des Marketingteams und der Werbetexter*innen zu erleichtern. In „Hamiltons“ Fall ist das frische Extra die Einbindung von HipHop. Denn neben den klassischen Showtunes und Jazznummern dominiert der Rap das gesamte Musical. Das erste Mal, dass ein „HipHop-Musical“ funktioniert. Ein Jahr zuvor war das Tupac-Musical „Holler If You Hear Me“ mit Saul Williams in der Hauptrolle am Broadway kläglich gescheitert.

Miranda erzählt die historische Geschichte der Gründung der USA, aber nicht nur mit dem Sound einer der wohl größten (afro-)amerikanischen Erfindungen, dem HipHop, sondern auch mit einem mehrheitlich Schwarzen und latinx Cast. Die weißen Gründungsväter werden von den Nachfahren derer gespielt, die von ebenjenen nicht mitgemeint waren, als sie „all men are created equal“ in die Declaration of Independence schrieben.

Hamilton Musical

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An diesem Punkt scheiden sich die Geister im Diskurs um „Hamilton“. Denn Miranda streift nur oberflächlich das Thema der Sklaverei. George Washington, James Madison oder Thomas Jefferson, die alle tragende Rollen in „Hamilton“ einnehmen, werden als heroisch dargestellt, ohne zu thematisieren, dass alle drei dieser Gründungsväter versklavte Menschen besaßen.

„Blackwashing“ der Geschichte?

Stattdessen geht es in „Hamilton“ eher darum, mit der Neubesetzung der US-amerikanischen Geschichte zu sagen, dass der US-amerikanische Melting Pot Erfolg für alle bedeuten kann. Ein quasi „blackwashing“ der Geschichte, das eine Verbundenheit heraufbeschwören soll, bei der alle Probleme unter den Teppich gekehrt werden, um händehaltend und fröhlich in die Zukunft zu schauen. Nicht unähnlich einer „Racism is over, weil es gab ja einen Schwarzen Präsidenten“-Attitüde.

Mirandas zu kurz gegriffener Zugang zur amerikanischen Vergangenheit und Gegenwart irritierte die afro-amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison so sehr, dass sie ein ganzes Theaterstück finanzierte, in dem es um Lin-Manuel Mirandas ideologische Schwammigkeit geht. In „The Haunting of Lin-Manuel Miranda“ wird der Theatermacher à la Dickens’ „A Christmas Carol“ von den Geistern historischer afro-amerikanischer Figuren heimgesucht, die alle in „Hamilton“ übersehen und ignoriert wurden.

Einmal Star und zurück

Mit der Veröffentlichung des Musical-Films auf Disney+ letzten Freitag, hat zum ersten Mal ein breites Publikum, das sich die teuren und raren Musicaltickets nicht leisten konnte, Zugang zum Stück bekommen. Damit wurde nun ähnliche Kritik, wie die von Toni Morrison laut. Das führte dazu, dass Lin-Manuel Miranda seinen drei-Millionen-Follower*innen-Twitteraccount kurzzeitig auf „privat“ stellte.

Wie die (Theater-)Geschichtsschreibung auf „Hamilton - das Musical“ blicken wird, ist jetzt also doch nicht mehr so sicher. Während Alexander Hamilton es vom armen Migranten zum Kopf auf der 10-Dollar-Note schaffte, könnte Lin-Manuel Mirandas Musical - durch den breiten Release - demaskiert, vom gehypten Übererfolg zum seichten „Feel-Good“-Stück des Broadway Establishments schrumpfen.

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