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Glass Animals veröffentlichen ihr neues Album „Dreamland“

„Dreamland“ heißt das neue, dritte Album der britischen Band Glass Animals. Schreiber, Sänger und Produzent Dave Bayley wendet sich inhaltlich erstmals sich selbst und seiner Vergangenheit zu. Oder: Warum es einer bereits erfolgreichen Band erlaubt sein soll, ein mittelprächtiges Album mit sehr gutem Vorsatz zu veröffentlichen.

Von Lisa Schneider

Wenn du nicht nach vorn sehen kannst, dann eben zurück. Große Musiker*innen haben große Songs über vergebene Chancen, Erinnerungen oder überhaupt die gesamte Vergangenheit geschrieben, nicht nur Klassiker wie „Yesterday“ von den Beatles, aber ebenso einflussreiche wie „Caroline, No“ von den Beach Boys.

Es sind auch gerade diese beiden Bands, die Schreiber, Sänger und überhaupt treibender Kopf der Glass Animals, Dave Bayley, als Eckpfeiler seines neuen Albums „Dreamland“ ausweist. Dr. Dre ebenfalls, aber dazu später.

Cover "Dreamland" Glass Animals

Polydor

„Dreamland“ von Glass Animals ist via Polydor erschienen.

Die 2012 in Oxford gegründete Band Glass Animals hat sich bis jetzt - auf ihren ersten beiden Alben „ZABA“ (2014) und „How To Be A Human Being“ (2016) - eine Art kaleidoskopisches Songwriting zu eigen gemacht; für ihr zweites Album haben sie sich selbst inhaltlich komplett ausgenommen. Sie haben Menschen auf der Straße zu ihren Geschichten befragt und diese dann in Glass Animals-typische, quirky R’n’B-Popsongs umgeschrieben. Verrückte Orte, tropische Beats und vorwiegend eine Ananas waren die bestimmenden Ankerpunkte. Diese Außenschau haben Dave Bayley und seine Band so gut bewerkstelligt, dass sich der heimische Erfolg in UK bishin zu einer Mercury-Prize-Nominierung ausgedehnt hat.

Wenn das Leben die Musik ändert

Dann ist etwas Schreckliches passiert. Gerade auf Tour, im Sommer 2018, wurde Schlagzeuger John Seaward bei einem Radausflug von einem Truck angefahren. Er schwebte in Lebensgefahr - ob er je wieder sprechen oder gehen, geschweigedenn würde spielen können, war nicht klar. Mittlerweile hat Joe Seaward sich erholt, es war ein großes Glück, das Dave Bayley noch immer nicht ganz fassen kann. In diesem Zeitraum des Unwissens über die Zukunft seines besten Freundes begannen für ihn die Arbeiten am neuen Album „Dreamland“ - ein Album, das zurückschaut und erstmals sehr persönlich wird:

„When you’re a bit vulnerable in a song, it makes you feel less alone as a listener. When my heroes have written personal songs it made me feel less alone, they’ve been something that I can relate to and felt bad for feeling, that was definitely encouraging.“

Am atmosphärisch-wavigen, titelgebenden Eröffnungssong bereitet Dave Bayley seine Zuhörer*innen darauf vor, was sie auf den folgenden 15 Songs erwarten wird: Versatz- und Erinnerungsstücke aus seiner Kindheit, erste Liebschaften, „girls dressed in drag“ und „boys with guitars“. Er erzählt von Songs, die ihn selbst geöffnet haben, vom Gefühl, Tourist in seinem eigenen Leben zu sein. Und davon, wie Männlichkeitskonzepte hinterfragt werden müssen.

„You float in the pool where the soundtrack is Can
You go ask your questions like what makes a man
Oh, it’s 2020 so it’s time to change that
So you go make an album and call it Dreamland“

Gib den Fans, was sie wollen

Dave Bayley weiß, „Glass Animals gotta sound like Glass Animals“, und genau deshalb hängt er an die weiche Eröffnung gleich eine handvoll erwartungsgemäße, slicke Popnummern an. Gefüttert mit seiner seltsam sympathischen Stimme, Funk, vor allem aber einer immer kräftigen rhythm section. Seine Vorliebe für Beats ist nichts Neues, Dave Bayley betont in vielen Interviews, er wäre „just a blonde, British guy with no swagger whatsoever“, aber er liebe Hiphop wie sonst nichts auf der Welt.

Bevor er als junger Teenager mit seiner Familie nach England gezogen ist, ist er in Massachussets und später in Texas aufgewachsen. Dort hat ein örtlicher Radiosender seine Tage gerettet, indem er ihm die fabelhaften Welten von Dr. Dre, Neptunes oder Missy Elliott eröffnet hat. „I would love to, but I can’t rap“, erzählt er lachend im FM4-Interview. Einer, der’s kann, ist der US-amerikanische Musiker Denzel Curry - und genau mit ihm gab es letzten November die erste, überraschende neue Albumsingle zu hören.

Die Single, die am ehesten noch auf das sehr erfolgreiche, zweite Album der Glass Animals gepasst hätte, heißt „Your Love (Déjà Vu)“. Sprudel-quirlig angelehnt an den R’n’B der späten 90er gehört sie zu den besten Songs, die die Band geschrieben hat. Manche werden auch Songs wie „Hot Sugar“ oder „Tangerine“ dazuzählen.

Traurig ist gut

Die schönsten Momente auf „Dreamland“ sind aber nicht die leichtherzigen, sommerlichen Lieder, sondern die, die wirklich traurig gelingen. „That’s kind of what all great songs do. If you listen to Motown or Northern Soul, it’s all really fucking sad, but then it’ll have this heavy-ass beat. I’ve always liked that juxtaposition“, so Dave Bayley.

„It’s All So Incredibly Loud“ ist genau so ein Song, er ist der beste der Platte. Und das obwohl, oder gerade weil er vom Band-Ouevre so sehr abweicht, wie er nur kann: Stimmlich überrascht Dave Bayley mit einer Ahnlehnung an Thom Yorke oder Arca, sacht über anfangs spärlicher, dann streichergetränkter, opulenter Instrumentierung. In ihren Anfangstagen ist die Musik von Glass Animals einige Male als „Mischung aus alt-J und Hot Chip“ besprochen worden, letzteren erweist Dave Bayley hier alle Ehre („I Feel Better“!).

Neben all der musikalischen Schwere und Schönheit sind es Zeilen wie „heartbreak has never been so loud“, die sich im Kopf immer weiterdrehen. Es ist der Schmerz, es sind diese drei furchtbar stillen Sekunden, die nach dem Erhalt oder dem Überbringen einer zerstörenden Nachricht entstehen. Selten hat jemand eindringlicher Geräusch, Klang, und schließlich Musik über das genaue Gegenteil geschrieben: die Stille.

Zwischen die regulären zwölf Songs schieben sich viermal als „Home Movie“ betitelte Interludes. Zu hören ist da ein Rascheln und Knistern, und dann die Stimme von Dave Bayleys Mutter, alten Homerecordings entnommen. Sie erzählt, welches Jahr wir gerade schreiben (1994), oder einfach nur, wie sie ihre Kinder beim Spielen beobachtet. „She hated it“, erzählt Dave Bayley; er lacht warm bei diesen Worten, sie hat es nicht böse gemeint. Und für ihn war klar, dass ein Album über seine Vergangenheit nicht ohne die wichtigste Person eben dieser auskommen kann.

Wenn es das Wort „aber“ nicht gäbe

Auch anhand dieser Interludes wird einmal mehr klar, dass „Dreamland“ als Paket gedacht ist, das als Ganzes erfahren werden soll. Dass wir in der Generation Playlist- bzw. Singlekonsum leben, ist dabei das große Problem, dem nicht nur Glass Animals gegenüberstehen. Dazu kommt ein weiteres, nicht zu seltenes Konzeptalbum-Phänomen: Manchmal ist die Idee größer als de Musik, und zwischen starke, auch mal herausragende Momente schlüpft die ein- oder andere müde Melodie, so manches nicht ausgeschöpftes Potential.

Man kann es naiv nennen, aber gerade in diesen seltsamen Zeiten darf die Intention auch einmal wichtiger sein als alles andere. Die Schlussworte gehören deshalb Dave Bayley: „We’ve been very lucky to be able to find enough success to making our ideas bigger. As we grow things we can be helpful, fight for the things we really believe in. I guess that’s the ultimate goal – to help people.“

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