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The Lemon Twigs

Michael Hili

The Lemon Twigs und ihre „Songs For The General Public“

Es ist der Stoff für Rockmärchen: Zwei Brüder werden Schauspielstars und erobern später mit der Magie der Vergangenheit den Rock’n’Roll der Gegenwart.

Von Christian Lehner

Es gibt sie doch, die unglaublichen Begebenheiten, die sich sonst nur in Sagen und Märchen zutragen. Oder in Rockopern. Als die Retro-Rock-Nerds von Foxygen 2012 das Licht der Bühne erblickten, nannten sie ihr Debütalbum „Take The Kids Off Broadway“. Einige Jahre später sollte sich der Titel als prophetisch erweisen. Foxygen erhielten Post. Der Inhalt: mit Songskizzen vollgespielte Musikkassetten. Die Urheber: zwei Broadway-Kids. Der Clou: die Teenage-Fans von Foxygen waren noch größere Retro-Rock-Nerds als ihre Idole, die in den Zehnerjahren vorgemacht hatten, wie man auch im digitalen Zeitalter mit Classic Rock reüssieren kann.

Foxygen vermittelten den zwei Schülern einen Plattenvertrag beim renommierten Indie-Label 4AD. Der bei Foxygen für den Sound zuständige Jonathan Rado, der auch aktuell beim neuen Album von The Killer am Mischpult saß, gibt seither den Produzenten dieses Duos, das sich als Band The Lemon Twigs nennt. Foxygen hatten also tatsächlich die Kids vom Broadway geholt. Aber das ist nur ein fantastischer Aspekt in der Bio von The Lemon Twigs.

Von der Musical- auf die Rockbühne

Ein anderer fußt auf einer Mischung aus Schlaraffenland, Musikpädagogik und Kasper-Hauser-Syndrom. Die Brüder Brian und Michael D’Addario wuchsen in Long Island, New York auf. Papa-D’Addario – angeblich ein gescheiterter Rockmusiker – schlug sich als Werbe-, Session-, und Studiomusiker durch. Zum Ausgleich für seine unerfüllten Popstarambitionen verabreichte er seinen Kids eine reichhaltige Diät aus Sixties- und Seventies-Rock. Brian und Michael verbrachten ihre Kindheit mit den Beatles, Stones und Beach Boys, aber auch mit den Ramones, Todd Rundgren und Supertramp.

The Lemon Twigs

Michael Hili

Beim FM4-Interview via Skype erzählt Brian, der aussieht wie das uneheliche Kind von Ron Wood (The Rolling Stones) und Steve Perry (Foreigner), dass er erst mit 12 entdeckte, dass es da draußen auch noch andere Popmusik gäbe. Das war als er sich vom Taschengeld ein altes Radiogerät gekauft hatte. „Michael und ich wuchsen in unserer eigenen Welt auf. Am Spielplatz fragten wir die anderen Kinder, ob sie mit uns „Yellow Submarine“ spielen möchten. Im Sandkasten imitierten wir die Dave Clark Five-Band.“

Wie präzise diese Kindheitserinnerung ist, sei dahingestellt. Die D’Addario-Brüder wuchsen in den Nullerjahren auf und es wird wohl auch in ihrem Haushalt ein Internetanschluss gegeben haben. Doch wenn man hört (und auch sieht), wie selbstverständlich und geübt die beiden noch die feinsten Nuancen der Sixties- und Seventies-Ästhetik feiern, ohne dass dabei – und das ist entscheidend – ein Hauch von nostalgischer Wehmut aufkommt, wird wohl einen wahren funkelnden Kern in dieser Geschichte erkennen.

T-Rex, Rundgren und „Tricky Dick“ Nixon

Bei den Lemon Twigs kommt im Rückspiegel zusammen, was in den Referenzjahrzehnten oft nicht zusammen passte. T-Rex, Chicago, die Rocky Horror Picture Show, Elton John, Toto, The Ramones und immer wieder The Beatles und die Beach Boys. All diese Stile bilden in den Songs der beiden Retro-Brüder eine Allianz, als hätte es zwischen den Spielarten des Rock nie weltanschauliche oder musikalische Differenzen gegeben.

Den Pomp, die Theatralik und das Faible für ausgefallene Kostüme haben Brian und Michael von ihrer Schauspiel-Erfahrung mitgebracht. Die D’Addario-Brothers waren nicht bloß kurzlebige Kinderstars in ein/zwei Bühnen-Produktionen. In der Welt der Darstellungskunst landeten sie über ihre Mutter, die sich in jungen Jahren selbst als Schauspielerin versuchte, aber schlussendlich Psychologin wurde. Brian spielte am Broadway u.a. in „Les Miserables“ und „My Little Mermaid“. Michael saß in der US-Showinstitution “Christmas Spectacular” in der Radio City Music Hall in New York auf dem Schoß von Santa Claus. Er war auch in Fernsehserien und Kinofilmen zu sehen, so zum Beispiel im Schocker „Sinister“ an der Seite von Ethan Hawke.

The Lemon Twigs Album Cover "Songs For The General Public"

Beggars Group

Doch so sehr die Schauspielerei Spaß machte, Brian und Michael wollten doch immer nur Musiker werden. „Wir gingen so weit, dass wir Rollen ablehnten, die im Popgeschäft spielten, da wir uns den Ruf für später nicht ruinieren wollten“, erzählt Brian im Interview. Schon als Kids beherrschten beide Gitarre, Schlagzeug, Bass, Klavier und diverse Blasinstrumente. Als sie die Demotapes an Foxygen schickten, aus denen das Musikkassetten-Album „What We Know“ destilliert wurde, waren die beiden gerade mal 15 und 17 Jahre alt.

Wo aber bleibt die Rebellion, wenn man genau das macht, was Papa gemacht, aber vielleicht nicht zu Ende gebracht hat? „Mein Vater war zwar Rockmusiker, aber er hat doch sehr traditionelle Werte vertreten. Mein Bruder fing an, sich im Stile des Glam-Rock zu schminken. Das passte weder meinem Vater, noch den Bullys auf der Highschool. Ich selbst lief immer bloß in T-Shirts und Jeans herum.“

Auf dem neuen und dritten Album „Songs For The General Public“ frönen The Lemon Twigs nun in Stücken wie „The One“, „Hog“ oder „Live In Favor Of Tomorrow“ vermehrt dem Power-Pop, wie er vor 40 Jahren im AOR-Radio lief. Von ihren Förderern Foxygen haben die D’Addario-Brüder leider die Angewohnheit übernommen, Harmonien und Melodien immer wieder mit wilden Breaks, Schrei- und Grunzattacken und anderem Unfug zu sabotieren. Doch das trübt den Gesamteindruck kaum. „Live In Favor Of Tomorrow“ lässt Sternenstaub durch die Ohren wehen und das ist gut so.

Dass es den Lemon Twigs dennoch nicht nur um Eskapismus geht, zeigt das Video zu „The One“. Brian und Michael fahren wahlwerbend mit einem Van durch eine namenlose Stadt in Amerika. „The One“ prangt in fetten Lettern auf dem Auto. „The One“, so lautete auch der Wahlspruch von Richard Nixon während seiner Präsidentschaftskampagne 1968. Der Republikaner, der sich den Spitznamen „Tricky Dick“ eingehandelt hatte, gilt wegen seiner reaktionären Politik und dem flatterhaften Umgang mit der Wahrheit als Vorbild für den gegenwärtigen Amtsinhaber Donald Trump. Am Ende des Musikvideos landet der Van in der Schrottpresse. Vielleicht erweisen sich dieses Mal die aus der Vergangenheit gefallenen The Lemon Twigs als Propheten einer nahen Zukunft. Bis dahin sollte man sich ihr neues Album vergenwärtigen.

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