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Portraitfoto Pippa

Hilde van Mas

Pop als Mut zur Selbstoffenbarung

Die Wiener Musikerin und Sängerin Pippa lässt uns auf ihrem zweiten Album „Idiotenparadies“ tief in ihre Seele blicken - und hält unserer Gesellschaft damit auch den Spiegel vor. Verpackt wird das alles in experimentierfreudige Popsongs mit Ohrwurmcharakter.

von Andreas Gstettner-Brugger

Es war fast schon eine Vorsehung, dass die Wiener Sängerin und Musikerin Pippa ihr neues Album mit dem Titel „Dystopia“ eröffnet. Der Song und das Video sind lange vor dem Ausbruch der Pandemie entstanden. Aber die düstere Stimmung, die dezent mit Auto-Tune bearbeiteten Vocals, der Indie-Rock-Sound, der die Dinglichkeit der Nummer hervorhebt - das alles passt perfekt in die gegenwärtige Situation. Das hat laut Pippa aber nichts mit einer Vision zu tun. Vielmehr sei es ihre Aufarbeitung gesellschaftspolitischer Themen, die schon lange anstehen. Außerdem liebt Pippa dystopischen Science-Fiction und dementsprechend düstere Fernsehserien, was sich hier deutlich zeigt.

Die Künstlerin Pippa Galli hat uns schon letztes Jahr mit ihrem Debüt „Superland“ überrascht. Darauf zu hören waren Lieder im eher klassischen Songformat mit Texten, die aus Alltagsbeobachtungen tiefgründige Geschichten gemacht haben. Die Liebe zum Texten und zur Beobachtung ist Pippa geblieben. Das neue Album „Idiotenparadies“ geht musikalisch allerdings über einige Grenzen hinaus.

„Es ist eine Mutfrage“

Pippa ist künstlerisch ein getriebener Mensch. Sie ist eigentlich Schauspielerin, die sich zurzeit jedoch sehr auf die Musik konzentriert. Ihr Bedürfnis, Themen anzusprechen, die sie beschäftigen, kanalisiert sie auf „Idiotenparadies“ in sehr abwechslungsreichen Songs. Gemeinsam mit Hans Wagner, Mastermind der Band Neuschnee, hat sie sich dazu entschlossen, dem Experimentieren mehr Raum zu geben.

Pippa: „Ich glaube, die Freude am Experiment war schon immer da. Es ist eher eine Mutfrage gewesen. Viele Menschen haben zu mir gesagt, es muss musikalisch eine ganz klare Entscheidung in eine Richtung sein. Ich bin davon aber abgekommen, weil ich es künstlerisch nicht einsehe. Denn der rote Faden ist immer die eigene Persönlichkeit, die überall hineinfließt. Und es wäre mir sehr langweilig, wenn ich nicht herumspiele und experimentiere.“

Ein Ergebnis dieses Herumspielens ist die Single „Tagada“, deren hüpfende Beats passend zum Song von Hans Wagner produziert worden sind. Ein mutiger Track, der in keine Schublade so richtig hineinpassen will.

Allerdings ist das Experiment hier kein Selbstzweck. Dass bei „Tagada“ die Beats nervös herumspringen, der Text aus lauter hohlen Phrasen und Worthülsen besteht, die sich im Kreis zu drehen scheinen, ist durchaus das Konzept. Pippa wollte schon immer einen Song über Floskeln schreiben. Die Inspiration dazu bekam sie wirklich im Wiener Prater vor dem Tagada, wo sie Gesprächen gelauscht und Dance-Moves von ein paar Jungs auf der drehenden Scheibe bewundert hat.

Pippa: „Die drehende Scheibe ist für mich eine Metapher für das Leben. Manchmal treten wir in die Mitte und performen und haben unseren Moment. Manchmal wird uns schwindlig und wir müssen sitzen und speiben vielleicht in die Ecke. Aber es dreht sich immer weiter - und plötzlich ist es aus.“

Mit „Meine Traurigkeit“, dem Schlüsselsong des Albums, beweist Pippa Mut. Sie lässt uns tief in ihre Seele blicken und zeigt sich von ihrer verletzlichsten Seite. Ein Wagnis, dass Pippa viel Zuspruch gebracht hat. Sich zu überwinden und etwas sehr Persönliches Preis zu geben, hat für die Schauspielerin und Musikerin immer sehr schöne Reaktionen hervorgerufen. Viele ihrer Freunde haben nach dem Hören gemeint, sich in dieser traurigen Ballade genau wiederfinden zu können. So heißt es auch im sphärischen, sehr reduzierten Refrain ich bin nie allein, ein Mantra, das man sich in dunklen Stunden oft selbst sagen sollte, um mit Mut sein Herz zu öffnen, denn es zahlt sich aus.

Es hat alles zwei Seiten

Der Albumtitel „Idiotenparadies“ klingt sehr politisch und gesellschaftskritisch, nach einer Anklage an uns alle, die wir uns wie Idioten aufführen und dieses Paradies, die Erde, ausbeuten, verwüsten und nicht achten. Tatsächlich verspürte Pippa auch eine Portion Frust, als viele Menschen nach dem Lockdown ihre automatisierten Handlungen einfach wieder aufgenommen haben, ohne sie in der erzwungenen Auszeit vielleicht zu hinterfragen. Aber der Albumtitel hat daneben auch eine sehr positiv konnotierte Seite.

Albumcover "Idiotenparadies" von Pippa

Pippa/LasVegas Records

Das dritte Album von Pippa „Idiotenparadies“ erscheint am 28.8. auf Lasvegas Recrods.

Pippa: „Der Titel ist für mich sehr ambivalent. Die negative Seite ist die Idiotie, die immer gleichen Vorgänge zu tun in unserer Überflussgesellschaft. Wie Konsum, viel zu Fliegen, ohne nachzudenken, welche Konsequenzen es hat. Auch einen gewissen Lifestyle, einen Körperkult oder eine neue Ernährungsweise einfach unbewusst mitzumachen, ohne zu wissen, warum man das tut. Im Positiven ist der Idiot diese Narrenfigur, vielleicht auch die Künstlerin oder der Künstler. Bei Shakespeare gibt es oft einen Narr, der dem Staat, der Gesellschaft den Spiegel vorhält und ihnen ihre Unfreiheit dadurch zeigt. Der Idiot ist dann der Gegenentwurf, der freie Narr, der in keine Gesellschaft so richtig hineinpasst.“

Musikalisch ist der Titelsong mit swingendem Schlagzeug, schönem Orgelklang, streicherähnlichen Keyboardsounds und einer kurz dazwischenfunkenden Funky-Bass-Line umgesetzt. Das Ganze erinnert irgendwie an die frühen Eels-Songs und klingt trotzdem sehr zeitgemäß mit großer Ohrwurmqualität.

Der Song aus dem „Idiotenparadies“, der wohl am schwierigsten wieder aus der Erinnerung zu verscheuchen ist, ist die Single „Egal“, die Pippa gemeinsam mit der Wiener Rapperin Nora Mazu aufgenommen hat. Gleich zu Beginn gräbt sich das markante Klavierthema in die Gehirnwindungen, der groovige Beat und die markante Gesangslinie tun ihr Übriges. Inhaltlich ist auch dieser Song kein klares Bekenntnis, weder für noch gegen die Gleichgültigkeit.

Pippa: „Gleichgültigkeit hat mehrere Facetten. Es hat natürlich etwas sehr Negatives, wenn es um Empathielosigkeit geht. Aber es kann auch etwas Ausgewogenes bedeuten - wenn Dinge zum Beispiel die gleiche Gültigkeit haben. Manchmal hat es auch etwas mit Überforderung zu tun. Wenn viele verschiedene Dinge auf mich einprasseln, dann empfinde ich es auch als Rückzugsmoment. Insgesamt ist es ein Thema, dass mich sehr beschäftigt.“

„Idiotenparadies“ von Pippa ist ein mutiges, sehr abwechslungsreiches, nachdenkliches und zugleich lebensbejahendes Album geworden. Es feiert das Scheitern und die Verletzlichkeit, stemmt sich gegen den oft selbst erzeugten Perfektionismus, hinterfragt gesellschaftliche Normvorstellungen und entscheidet sich, in eine alternative Richtung zu denken und zu gehen. Ein Idiotenparadies, in dem wir alle unseren Platz haben können und in dem Raum zur Veränderung ist.

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