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Portrait der Autorin Lena Marie Glaser

(c) Minitta Kandlbauer

Lena Marie Glaser: „Künstliche Konkurrenz“

Wird Künstliche Intelligenz unsere Jobs wegrationalisieren? Oder bietet die KI das Potential für mehr Gerechtigkeit am Arbeitsplatz? Und stellen wir im Hinblick auf die schnelle Entwicklung überhaupt die richtigen Fragen? Darüber schreibt Lena Marie Glaser in ihrem Buch „Künstliche Konkurrenz“.

von Andreas Gstettner-Brugger

Ob es selektive Wahrnehmung ist? Seit ich das Buch „Künstliche Konkurrenz“ von Lena Marie Glaser gelesen habe, begegnet mir das Thema KI und Arbeit auf verschiedenen Ebenen. In einem Zeitungsgeschäft am Bahnhof sehe ich die aktuelle Ausgabe des Magazins „Pragmaticus“, das mit positiven Zukunftsvisionen titelt. Darunter eben auch mit einem Artikel von Markus Hengstschläger, Genetiker und Forscher, der die KI als wertvoll und unverzichtbar in der Humanmedizin ansieht.

Blättert man weiter, finden sich in dem Magazin auch Kommentar-Artikel zum „Verbrenner-Verbot als fataler Fehler“ und andere Texte, meist aus einem männlich und konservativ bestimmten Blickwinkel. Das hat auch die Blattkritik des Falter bei Erscheinen der ersten Ausgabe des Pragmaticus 2021 recherchiert. Denn der „Pragmaticus" war eine Schöpfung von Prinz Michael von Lichtenstein und Red-Bull Milliardär Dietrich Mateschitz.

Wer dominiert den Diskurs?

Wie bei allen Themen, die im öffentlichen Diskus auftauchen, stellt sich eben auch hier die Frage, wer mit welchen Interessen im Hinterkopf spricht. Die Beantwortung dieser Frage wird umso wichtiger, wenn Medien keinen Objektivitätskriterien und Regeln zur journalistischer Sorgfaltspflicht unterliegen. Und wie wird das erst, wenn die KI selbst die Artikel verfasst?

Thomas Schultz-Homberg, CEO der Kölner Stadt-Anzeiger Medien, lässt die KI schon „elf Prozent der Artikel“ schreiben. So titelt das kress pro Magazin für Führungskräfte bei Medien in seiner aktuellen Ausgabe. Die KI ist schon längst im Berufsalltag von vielen Menschen angekommen.

Das weiß auch Lena Marie Glaser, die in Wien lebende Autorin und Juristin, die sich seit 2017 für eine gerechte Arbeitswelt einsetzt. Ihr eben erschienenes Buch „Künstliche Konkurrenz“ versucht einen ganzheitlichen und auch feministischen Blick über soziale und Gender-Grenzen hinaus auf die gegenwärtige Entwicklung auf dem Arbeitssektor zu werfen.

Das größere Bild und persönliche Erfahrungen

Die Stärke des Buchs liegt in der „autoethnographischen Methode“, wie es die Autorin im ersten Kapitel „KI & Ich“ es nennt:

Buchcover "Künstliche Konkurrenz" Lena Marie Glaser

Leykam Verlag

„Künstliche Konkurrenz“ von Lena Marie Glaser ist im Leykam Verlag erschienen.

„Ich rede mit Expert:innen, ich höre in Alltagssituationen Menschen zu, und ich recherchiere und reflektiere meine eigene Situation.“ Denn das Buch „Künstliche Konkurrenz“ soll ein „niederschwelliger Einstieg in ein hochkomplexes Thema“ sein.

So erklärt Lena Marie Glaser im Kapitel „Was ist KI und wie wird sie eingesetzt“ Begriffe wie „generative KI“ und geht auf den Unterschied von „starker“ und „schwacher“ KI ein. Sie macht an diesem Punkt schon deutlich, dass es nicht autonome und in ihrem Verhalten nicht rationale Systeme sind: „Vielmehr hängt die Leistungsfähigkeit und das Einsatzgebiet der Künstlichen Intelligenz von politischen und sozialen Strukturen ab, die wiederum von Menschen gemacht sind.“

In diesem Sinne stellt sich bei der Diskussion über KI immer auch die Machtfrage. So ist es Lena Marie Glaser in ihrem 90 Seiten umfassenden Essay wichtig, die „richtigen“ Fragen zu stellen: Wer profitiert von schnelleren Arbeitsprozessen? Werden Mitarbeiter:innen dadurch entlastet oder erhöht sich vielmehr der Leistungsdruck und die Überwachung? Wer wird eingeschult und wie geht man mit Ungleichheiten um, wenn ältere Mitarbeiter:innen den Anschluss an die schnellen, technologischen Entwicklungen verlieren? Wird das aktuelle System mit all seinen Ungerechtigkeiten erhalten, oder kann die KI zu einer positiven Veränderung auch auf gesellschaftlicher Ebene beitragen?

Zwischen Studien und persönlichen Gesprächen

Mit vielen Bespielen zeigt die Autorin, dass die Entwicklungen in beide Richtungen gehen können. Eben abhängig davon, wer die Macht hat, diese zu steuern. Deshalb fordert Lena Marie Glaser die Politik, die Gewerkschaften und sämtliche Entscheidungsträger der Arbeitswelt dazu auf, Regeln und Leitlinien zu erarbeiten, so wie es für den Bereich Journalismus die APA (Österreichische Presseagentur) in ihren „Leitlinien zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz“ bereits versucht.

Über die Autorin:
Lena Marie Glaser, 1984 geboren, lebt in Wien als Autorin und Juristin. 2017 gründete sie das Zukunftslabor der Arbeit, basically innovative und setzt sich für nachhaltige Arbeitsplatzverbesserung und Arbeitsgerechtigkeit ein. 2022 ist ihr Buch „Arbeit auf Augenhöhe. Die New Work Revolution“ bei Kremayr & Scheriau erschienen.

Lena Marie Glaser zitiert aktuelle Studien, Artikel und Bücher zum Thema KI und Arbeitsmarktsituation und gibt einen guten Überblick darüber, welche Berufsgruppen derzeit am meisten von der Entwicklung der künstlichen Intelligenz betroffen sind, welche Arbeitsbereiche einen Aufschwung erleben könnten – wie Handwerke und Pflegeberufe – und sie nimmt die Bedenken und die Ängste der Arbeitnehmer:innen ernst, die sie in persönlichen Gesprächen sammelt. Sie verleiht auch diesen Menschen in ihrem Buch eine Stimme.

Wie ein zitierter Report des Deutschen Gewerkschaftsbundes schon 2016 deutlich macht, geben drei Viertel der Befragten an, keinen oder nur einen geringen Einfluss auf den Digitalisierungsprozess an ihrem Arbeitsplatz zu haben und dass durch die Umstellungen die Arbeitsmenge und die Überwachung und Kontrolle ihrer Arbeitsleistung zugenommen haben. Das war vor acht Jahren.

Wie wollen wir leben?

„Künstliche Konkurrenz“ zeigt aber nicht nur die Gefahren der rasanten, technologischen Entwicklung, sondern versucht auch einen positiven Blick in die Zukunft zu werfen und die Chancen von KI deutlich zu machen. Angefangen von weniger administrativer Arbeit über Erhöhung der Kreativität mithilfe der Technologie, sowie ein möglicher Ausgleich von bestehenden Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz durch Förderung „barrierefreien Zugang“ zu technologischer Entwicklung.

Lena Marie Glasers positiver Blick in die Zukunft speist sich aus der Hoffnung, dass die Diskussionen über KI uns zu einem Bewusstseinsprozess führt. Wir können und müssen darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft arbeiten und leben wollen. Denn selbst, wenn die KI für die Humanmedizin unverzichtbar werden sollte, stellt sich doch die Frage, was wir mit der dadurch möglicherweise gewonnen Lebenszeit anfangen wollen. „Künstliche Konkurrenz“ bietet vordergründig keine Antworten auf diese Fragen, sondern will uns vermitteln, dass wir den Diskurs darüber nicht den derzeit vorherrschenden Machtstrukturen überlassen sollten.

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