„Stilstand“: Ich und mein Schattenmonster

Die dänische interaktive Graphic Novel „Stilstand“ erzählt lebensnah von Stagnation und Sinnsuche - und spricht genau vom jetzigen Moment.

Von Rainer Sigl

Eigentlich will ich gar nicht auf diese Party gehen. Seit Tagen verlasse ich die heiße Wohnung nur mehr zum Zigarettenkaufen, starre an die Decke und fühle, wie mir alles zu viel wird. Meine einzige Gesellschaft ist dieses eigentlich ganz freundliche Schattenwesen, das ich mir aber, mal ehrlich, sicher nur einbilde. Dann geb ich mir einen Ruck: Auf zur Party, zu Freunden und Unbekannten, Alkohol, Nikotin, lauter Musik, allein unter Menschen, immer das Gefühl, hier nicht herzugehören. Dazu kommt die lähmende Angst vor der Zukunft, dem Klimawandel, anderen Menschen, Zurückweisung. Nein, es geht mir eigentlich gar nicht so gut, danke.

In „Stilstand“ begleite ich eine namenlose junge Frau durch ihr Leben und das in Form eines interaktiven Comics. Ich kann die Geschichte schrittweise weiterblättern und darf mich an manchen Stellen entscheiden oder in kleinen Minispielen aktiv werden.

Coronavirus, Klima, Tinder-Stress

„Stilstand“ ist so aktuell, wie kaum ein anderes Videospiel je war: Die psychische Belastung durch Pandemie und Klimawandel spielen darin ebenso eine Rolle wie der Stress, den der Social-Media-Überfluss oder die Überforderung durch Dating-Plattformen in uns auslösen kann.

Die dänische Comic-Autorin Ida Hartmann hat für ihr erstes Spiel aus ihrem eigenen echten Leben geschöpft und zeichnet mit rohen Schwarzweißbildern das Porträt einer einsamen, zwischen schwarzem Humor und Verzweiflung lebenden jungen Frau. Immer wieder erkennt man beim Spielen aber Parallelen zum eigenen Leben und zu Situationen, die man ungeschminkt genauso schon erlebt hat. „Stilstand“ ist ein Werk, das vom jetzigen Moment spricht; zwar persönlich und intim, aber doch auch allgemeingültig. Ja: Man kennt das.

Mehr Comic als Spiel

Selbstzweifel, Lächerlichkeit und Trauer, der Kampf um Liebe und die eigene psychische Stabilität - das alles klingt nach ernster Kost. Zum Glück ist „Stilstand“ vor allem auch ein sehr humorvolles Spiel, das beim Blick auf seine Protagonistin jede Menge Selbstironie und Witz zu bieten hat.

„Stilstand“ ist trotz interaktiver Elemente doch mehr Comic als Spiel, das macht aber nichts. In seiner Mischung aus klassischem Comic und Game erzählt es eine Geschichte, die absolut unter die Haut geht.