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André Heller

Radio FM4 | Elisabeth Scharang

„Ich bin ein manischer Realisierer“

Der Autor, Musiker, Multimediakünstler und Querdenker André Heller zu Gast im FM4 Doppelzimmer am 26. Oktober.

Von Elisabeth Scharang

Es regnet und niemand macht auf. Ich stehe vor André Hellers Büro in der Innenstadt in Wien und keiner ist da. Es braucht eine halbe Stunde, bis das Missverständnis mit den Hausnummern geklärt ist und ich mit deutlicher Verspätung in André Hellers Wohnzimmer sitze. Es ist nicht die optimale Vorbereitung für ein Gespräch dieser Art, auf das ich mich im Normalfall mit gutem Vorlauf einschwinge. Und ich weiß, dass Hellers Terminplan voll ist. Aber auch um diesen Stress kann ich mich jetzt nicht mehr kümmern. Also werfe ich alle Pläne, die vor mir als Notizen auf dem Tisch liegen, über Bord und schau, was passiert.

Wir sind innerhalb von zwei Minuten mitten im Gespräch. André Heller liebt es, Geschichten zu erzählen. Er tut das in tausend unterschiedlichen Formen, in seinen Liedern, seinen Büchern, seinen Kunst- und Multimediaprojekten und mit seinen Paradiesgärten. Heute reden wir über die Geschichten, die seine 102 Jahre alte Mutter ihm zu erzählen hatte und die er aufgeschrieben und in einem kleinen Büchlein veröffentlicht hat.

Ich finde die kurzen Sätze und Gedanken dieser alten Frau bemerkenswert. Sie haben mich in eine Welt geführt, die ich nicht kenne, aber kennenlernen werde, wenn es Zeit ist, sich mit dem Tod anzufreunden. Sie erzählt, wie sie sich selbst eine Führung durch die Räume ihrer Erinnerung gibt, wenn sie alleine im Wohnzimmer, die Augen geschlossen, sich von der Anstrengung des Alters erholt. Sie erzählt, wie schwierig es war, Andrés Mutter zu sein, wie wenig sie ihren Sohn verstanden hatte in dem, was er will und tut. Und wie sie es sich nicht verzeihen kann, dass sie seinen Mut so lange nicht zu schätzen wusste. „Wir haben einander ausgesucht, Mami“, antwortet der Sohn, selbst schon lange grau geworden, selbst schon über die Jahre weniger hart in seinem Widerstand gegen die Mutter.

„Ich habe als Kind jegliches Vertrauen in meine Eltern verloren“, erinnert sich Heller. „Als mein Vater starb, als ich 11 Jahre alt war, ging für mich ein Albtraum zu Ende. Und nachdem meine Mutter mich gegen meinen Willen in das Jesuiten-Internat in Kalksburg steckte, begann der Albtraum gleich wieder. Du bist ein roher Diamant und wir werden dich schleifen, so lautete der Auftrag der Erzieher.“

André Heller

Radio FM4 | Elisabeth Scharang

Sich nicht schleifen zu lassen, das war von da an ein Motor für den Lebensweg, der ohne Matura und Schulabschluss vorerst ins Café Hawelka in Wien führte. Nacht für Nacht habe er dort diskutiert, geschrieben und denen zugehört, die schon eine laute öffentliche Stimme hatten wie Elias Canetti oder Helmut Qualtinger.

Als das ORF Radio 1967 beschloss, mit ö3 einen Jugendsender zu gründen, war André Heller mit dabei. Er moderierte nachmittags eine Stunde lang die legendäre Musicbox. „Ein Jahr lang habe ich Musikgrößen wie Frank Zappa, die Rolling Stones und die Supremes interviewt. Alle waren sie bei uns in der Sendung. Die meisten gerade mal drei, vier Jahre älter als ich. Nach einem Jahr habe ich beschlossen, ich möchte keine Stars mehr interviewen, ich möchte selbst einer sein und nach meiner Meinung gefragt werden.“

Der Rest ist Geschichte: 14 Musikalben und ausverkaufte Tourneen bis 1984, riesige Multimediaprojekte auf der ganzen Welt und in den letzten zwei Jahrzehnten der Aufbau der Paradiesgärten am Gardasee und in Marokko. „Ich bin kein Träumer“, sagt André Heller, „ich bin ein manischer Realisierer. Und ich habe mir versprochen, immer dann weiterzugehen, wenn es nichts mehr zu lernen gibt, wo ich gerade stehe. Daran halte ich mich.“

Die Zeit ist um und wir nicht fertig miteinander. Wir verabreden uns für in drei Tagen. So ein Gespräch stellt man nicht unter „abgehakt“ in den Aktenschrank, wir wollen es in Ruhe zu Ende führen. Und das Ende selbst bestimmen.

André Heller im FM4 Doppelzimmer

Am Montag, 26. Oktober 2020, von 13 bis 15 Uhr, auf Radio FM4, im FM4 Player und als FM4 Interview Podcast

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