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Nothing und ihr Meisterwerk „The Great Dismal“

In Pennsylvania werden nicht nur US-Wahlen entschieden, aus Philadelphia kommen auch ein paar der besten Bands. Wie Nothing zum Beispiel, die mit „The Great Dismal“ das größte Weltschmerz-Album des Jahres veröffentlicht haben.

Von Christoph Sepin

Domenic Palermo weiß nicht erst seit gestern, dass die Welt ein grausamer Ort sein kann. Mit seiner Band Nothing vertont der Musiker aus Philadelphia schon seit einem Jahrzehnt den langsamen Untergang der Zivilisation. Im Jahr 2016, zum Beispiel, veröffentlichten Nothing mit der Platte „Tired of Tomorrow“ eines der besten - und mein persönliches Lieblings-Album des vergangenen Jahrzehnts. Betrachtungen des American Nightmare waren darauf zu finden. Auf „The Great Dismal“ werden die jetzt vier Jahre später fortgeführt. „The Great Dismal“, ein Albumtitel der soviel heißt wie die große Trostlosigkeit.

Nothing im FM4 House of Pain Heute Mittwoch, 18.11., gibt es auch eine ausführliche Listening Session zu „The Great Dismal“ von Nothing ab 22 Uhr im FM4 House of Pain und dann für 7 Tage zum Nachhören im FM4 Player.

Um den Sound von Nothing zu beschreiben, werden gerne Genres wie Shoegaze und Postpunk aufgezählt. Die große Wall of Sound, die Lärmwand der lauten übersteuerten Instrumente und kalte, minimalistische Momente. Aber: Während andere Vokalist*innen über solche Verzerrungen wütend ihre Lyrics brüllen, lamentiert Domenic Palermo sanft und ruhig, traurig, aber abgeklärt. Harte Gitarren, softe Emotionen also.

Nach zehn Jahren und dem mittlerweile vierten Album haben Nothing ihren melancholisch-apathischen Sound perfektioniert - und Domenic Palermo hat sich offensichtlich in seinen Lyrics so intensiv mit der oft seltsamen, sich fremd anfühlenden Welt da draußen beschäftigt, dass er auf „The Great Dismal“ zurückblicken kann - auf Dinge, die man gelernt hat, aus all den Erfahrungen, oder eben nicht.

Und so startet Album Nummer 4 dann auch mit so einem Song: „A Fabricated Life“, was für ein Titel für einen Opening-Track. Andere Bands würden mit so einem Lied ein Album beenden, würden sich solche dramatischen Emotionen für das große, bittersüße Finale aufheben. Nothing beginnen einfach mit diesem Song und beweisen, um was für eine besondere Band es sich hier handelt.

Wer hier nach den ersten Sekunden gespannt zuhört, wenn Palermo das „fabrizierte Leben“ besingt und fragt: „What else can I ask for?“, bleibt für den Rest der Platte. „Did we have it all along? Sing the same old songs, beat the same old tired drum“ lauten Textzeilen, während im Hintergrund genau diese alte, müde Trommel in den Mix kommt. Und da ist sie dann, die Stimmung für die nächsten 45 Minuten, für dieses Meisterwerk zwischen Neugier und Resignation.

Albumcover Nothing The Great Dismal

Nothing

„The Great Dismal“ von Nothing ist auf Relapse Records erschienen.

Mit zehn Liedern nehmen Nothing mit auf eine Reise durch die amerikanische Dystopie, teilen Zukunftsvisionen und Beobachtungen der erschreckenden Gegenwart. Lieder der Systemkritik, gegen Oversharing („Say Less“), Übersättigung und Konsum, Profitekstase und Habgier. Lieder, in denen Domenic Palermo abwechselnd mittendrin ist, als Teil der Zivilisation, dann aber wieder die Menschheit und ihre Wunderlichkeiten als Außenstehender betrachtet. „Isn’t it strange, watching people trying to outrun rain“, wiederholt er da immer wieder in „April Ha Ha“, während im Hintergrund Instrumente krachen, wie anno dazumal im Proto-Shoegaze der großen My Bloody Valentine. Dass hier das Leben in den USA im Jahr 2020 im Fokus steht, machen nicht nur düstere Perspektiven in Palermos Lyrics klar, das lässt sich auch schon an Songtiteln wie „Bernie Sanders“ ablesen.

Trotz all der Resignation, Schwermut und Traurigkeit, „The Great Dismal“ ist auch eine wunderschöne Platte, die nicht auf Harmonien verzichtet und trotz allem auch Hoffnungen und Sehnsüchte vermittelt („In Blueberry Memories“). Schöne Erinnerungen werden in der Vergangenheit gefunden, aber doch auch in der Zukunft gesucht. Wie Domenic Palermo, der mit seinen Lyrics zwischen Gleichmütigkeit und dem Wunsch nach einer besseren, schöneren Welt wechselt, bewegen sich auch Instrumente rundherum von kalt-hämmernder Beschleunigung zu verträumt-verwaschenenen Akkorden. Produziert, wie das bei solchen Wall of Sound-Platten im Idealfall sein soll, wenn man bei jedem Hören neue Melodien hinter den Verzerrungen der Effektpedale entdecken kann.

Nothing haben mit Album Nummer 4 eine Platte des Jahres rausgebracht, eine große, emotionale, traurige, aber trotzdem vorsichtig hoffnungsvolle Sammlung von Liedern. Vor vier Jahren hat die Band eines der besten Rockalben des letzten Jahrzehnts veröffentlicht, haben zusammengefasst, wie sich die Zehnerjahre für viele angefühlt haben, mit „The Great Dismal“ könnte dieses Kunststück in einer neuen Dekade wiederholt werden.

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