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Reihenhäuser einer Vorstadt

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Nell Zink und ihr amüsanter USA-Roman „Das Hohe Lied“

Nell Zink schreibt in „Das Hohe Lied“ witzig und detailliert über ihre alte Heimat. Die US-Autorin lebt seit gut zwei Jahrzehnten in Deutschland, was sie aber nicht davon abhält, weiter eng mit den USA in Verbindung zu sein. Musik, Politik, Familienkonflikte - das sind die Ingredienzien, mit denen uns Nell Zink Amerika erklärt.

Von Eva Umbauer

„Das Hohe Lied“ von Nell Zink ist schon letzten Sommer erschienen, aber es ist ein recht dickes Buch, es könnte also gut sein, dass man monatelang daran liest. Das mag jetzt nicht nach guter Promotion für diesen Roman klingen, soll es aber sein, denn man kann sich über einen längeren Zeitraum wirklich gut darin verlieren oder auch einzelne Abschnitte des Buches immer wieder lesen - die dichten, detaillierten Beschreibungen einer Punkrock-Band etwa - und dabei verschlingen, wie es damals war, auf der Lower East Side von New York, oder an einem Nachmittag im jüdischen Gemeindezentrum von Bethesda, einer kleinen Stadt nahe Washington D.C.:

„Im Sommer vor der zehnten Klasse gründete sie eine eigene Band, die Slinkies. Weil in einer Garage zu proben bedeutet hätte, dass jemand seine Eltern bat, das Auto rauszufahren, blieben sie in ihrem Zimmer. (...) Beim ersten und letzten Auftritt der Slinkies, an einem Sonntagnachmittag im jüdischen Gemeindezentrum, stöpselten sie ihre Instrumente in die Anlage der zuvor aufgetretenen Band. Keiner von ihnen wusste, wozu ein Monitor diente. Sobald das Schlagzeug einsetzte, konnte Pam ihre Gitarre nicht mehr hören. (...) Die Bassistin hockte neben ihrem Verstärker und versuchte, sich selbst zu hören, und das Feedback muss gigantisch gewesen sein.“

Buchcover: Luftaufnahme einer US-amerikanischen Vorstadtsiedlung

Rowohlt Verlag

„Das Hohe Lied“ von Nell Zink ist 2020 bei Rowohlt erschienen, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Tobias Schnettler.

Wir lesen von echten Bands wie Sonic Youth oder Minor Threat, aber wir hören zuallererst von fiktiven Bands wie etwa der, die Pam, Daniel und Joe in New York hatten. Es sind die späten 80er Jahre, die frühen 90er. Underground-Musik wird als Alternative-Rock zum Mainstream. Die Punk-Band von Pam, Daniel und Joe erlangt keine Berühmtheit, dafür wird eines der Bandmitglieder schließlich aber ein Rockstar: Joe. Er ist weiterhin befreundet mit Pam und Daniel, die ein Paar sind und mittlerweile eine kleine Tochter haben: Flora.

Die Zeit bleibt nicht stehen und Flora wird groß. Sie interessiert sich für die Grünen, ja, engagiert sich persönlich für die Partei, was ihren Vater Daniel jedoch irritiert, ist er Republikaner, Punkrock-Vergangenheit hin oder her.

„Wenn sie ihrem Vater von den Grünen erzählte, reagierte er mit surrealen Warnungen vor dem Tag des Zorns. Sie machte Screenshots seiner amüsantesten Nachrichten und zeigte sie ihren Freunden.“

„Das Hohe Lied“ beginnt als Musikroman, wird dann zum Familienroman samt aller Konflikte, die drei Generationen miteinander haben. Pam und Daniel und ihre Tochter Flora, dazu die Eltern von Pam. Auch Daniel hat eine interessante Familiengeschichte.

„Daniel Svoboda war ein Eighties-Hipster. Aber das ist verzeihlich, denn er war der Sohn wiedergeborener Christen, die als Milchbauern in Wisconsin lebten. Der Eighties-Hipster hatte nichts mit dem bärtigen und verweichlichten Konsumjunkie gemein, der im neuen Jahrhundert als ‚Hipster‘ bekannt wurde. Er war auch kein Fifties-Hipster. Der Eighties-Hipster war postsensibel. Weil in Armut aufgewachsen und mit politischer Rechtschaffenheit bestens vertraut, kannte er sich mit Sensibilität aus. Er hatte sie verinnerlicht.“

Joe, den vormals Dritten im Bunde bei der Punkband von Pam und Daniel, lässt die Autorin schon recht bald sterben: Er kommt 2001 bei den Terrorattentaten auf das New Yorker World Trade Center um. Offiziell. Pam und Daniel verschweigen Flora nämlich, dass Joe in Wahrheit an einer Überdosis Drogen gestorben ist.

Nell Zink

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Nell Zink (Foto: CC BY 3.0)

Von Punkrock bis Donald Trump

Nell Zink erklärt uns ihre US-amerikanische Heimat wie niemand sonst. Sie ist eine profunde Kennerin, nicht nur der Musik - auch abseits von Punkrock -, sondern der USA insgesamt, ihrer Gesellschaft, Politik und Geschichte.

Auch um das Scheitern geht es in „Das Hohe Lied“, einem Lieblingsthema der Autorin, die auch selbst in Bands spielte, als Gitarristin, aber mit jeder dieser Bands scheiterte. Geboren in Kalifornien, aufgewachsen in Virginia, auf der anderen Seite der USA, ging sie erst nach Israel, der Liebe wegen, und landete irgendwann schließlich in Deutschland, erst in Tübingen, dann in einem kleinen Ort südlich von Berlin, wo sie heute lebt.

Nell Zink ist promovierte Medienwissenschafterin. Ihre Laufbahn als Schriftstellerin begann erst später in ihrem Leben. Sie schrieb den US-Star Jonathan Franzen an, welchem ihr Schreibstil tatsächlich gefiel und der sich wunderte, dass sie noch nie etwas publiziert hatte. Aber noch immer war es schwierig für Nell Zink, die nun einen ersten Roman fertig hatte: „The Wallcreeper“. Erst als die Agentin von Jonathan Franzen begann, auch sie zu betreuen, lief alles so richtig an für sie als Schriftstellerin.

Es folgten die Romane „Mislaid“ (auf Deutsch „Virginia“) und „Nicotin“, dann kam schon „Doxology“, der Titel ein Wort aus der christlichen Liturgie, das auf Deutsch bedeutet „Das Hohelied“. Das Hohelied oder „Hohe Lied“ steht für Lobgesang, Lobpreisung. Im Alten Testament ist das Hohelied eine Sammlung zärtlicher bis erotischer Liebeslieder.

„Das Hohe Lied“ von Nell Zink ist ihr bisher ambitioniertester Roman, ekstatisch und voller Satire, ein Lobgesang auf Amerika, auch eine Art Liebeslied mit Joes verqueren Lovesongs von damals, und da ist der Hass, der im Amerika des Donald Trump mehr und mehr regiert(e), also braucht es Liebe statt Hass...

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