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Christian Kracht

© Noa Ben-Shalom

Christian Krachts „Eurotrash“: Niedergerungen von Erinnerungen

Nichts zum in die Feuilletonne treten: Christian Kracht betreibt in „Eurotrash“ Selbsterfindung statt Selbstfindung. Die Hauptfigur heißt Christian Kracht, sollte aber nicht mit Christian Kracht verwechselt werden. Mutter und Sohn Kracht unternehmen eine Fahrt durch die Schweiz, begleitet von traumatischen und tragischen Erinnerungen. „Eurotrash“ ist aber vor allem eins: Voll schelmischer Komik.

Von Pia Reiser

Die Verwirrung um die Identität hat ja bei Christian Kracht fast Charlie-Kaufman-Drehbuch-artige Dimensionen. 1995 schreibt Kracht den Roman „Faserland“, die namenlose, schnöselige Hauptfigur wird in damaligen Rezensionen gern mit dem Autor gleichgesetzt. Das ist natürlich Unfug, aber gut, die Versuchung, den endzwanzigjährigen „Tempo“-Redakteur aus reichem Hause mit seiner ersten Romanfigur, einem mittzwanzigjährigem Sohn aus reichem Hause gleichzusetzen, war natürlich groß. In seinem neuen Roman „Eurotrash“ erinnert aber Kracht nochmal daran, dass der Ich-Erzähler in „Faserland“ nicht mit ihm zu verwechseln sei: „Der Ich-Erzähler, also ich, sollte bevorzugt die Eagles hören, das hatte ich mir so bei Bret Easton Ellis abgeschaut. Das hatte mich sehr, sehr beeindruckt damals, weil ich, also das wirkliche Ich, nämlich die Eagles schrecklich fand.“

Die Fortsetzung von „Faserland“

25 Jahre später kündigt der Autor auf Instagram an (schon auch bezeichnend, dass der Autor Kracht Instagram als Sprachrohr an die Kracht-Gemeinde nutzt und nicht Twitter), sein neuer Roman „Eurotrash“ wäre eine Fortsetzung zu „Faserland“. Und was macht Christian Kracht in „Eurotrash“? Selbsterfindung statt Selbstfindung. Ein „Ich“ konstruieren, nicht greifbar sein, sich selbst zur Fiktion machen: Es ist kein Wunder, dass in „Eurotrash“ mehrmals von David Bowie die Rede ist, der das Spiel mit dem Bühnen-Ich jahrzehntelang perfekt betrieben hat.

Der Ich-Erzähler in „Eurotrash“ trägt jetzt im Gegensatz zum jungen Herren in „Faserland“ zwar einen Namen, nämlich den des Autors, doch trotzdem ist Christian Kracht (in „Eurotrash“) nicht Christian Kracht (der Autor) nicht Christian Kracht (der Vater von Christian Kracht, der im Buch, wenn auch schon tot, auch eine Rolle spielt, und der, so erzählt Christian Kracht im Interview mit Johanna Adorján im SZ-Magazin seihen Sohn immer „Philipp“ genannt hat).

Das Spiel mit der öffentlichen Wahrnehmung

Das macht jetzt natürlich ganze Feuilleton-Schreibstuben superkirre, weil Kracht, seit er mit „Faserland“ das Literaturparkett betreten hat und seither in verschiedenen Disziplinen (Romane, Reise-Reportagen, ganze Magazine) in Erscheinung getreten ist, mit seiner eigenen Erscheinung nie ganz festzumachen war, weil ihm das Spiel mit der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person (so vermute ich) diebische Freude bereitet. Zur Selbstinszenierung des Christian Kracht werden inzwischen wissenschaftliche Arbeiten verfasst, und in einer von ihnen findet man den schönen Satz von Rainald Goetz, der Kracht eine „überkokett kultivierte Weirdness“ attestiert.

Wem überkokett kultivierte Weirdness noch zu viel Deutungsspielraum freiließ, dem bot Georg Diez 2012 mit seiner Rezension von Krachts Roman „Imperium“ eine einfachere Lösung und rückte Kracht in die Nähe von rechtem Gedankengut (das hätte zumindest die Frisur gut erklärt, aber wir können uns jetzt von den neuen Rechten nicht die paar guten Herrenhaarschnitte wegnehmen lassen). Alle anderen Magazine und Zeitungen rückten ihn dann gleich auch wieder davon weg. Übriggeblieben ist davon, dass man bei allen Gesprächen über Christian Kracht nun die „Imperium“-Skandal-Gedächtnisstrecke nehmen muss. Kracht rechts? Ah nein, eh nicht.

Zur Sicherheit klebt man aber von nun an das Wort umstritten an den Autorennamen dran. Und Kracht selbst? Der nennt sich in der ARD Sendung „Druckfisch“ einen Schriftstellerdarsteller. Gutes Wort, gute Anordnung zur Einordnung, aber natürlich auch: kultivierte Weirdness.

Cover des Romans "Eurotrash"

Kiepenheuer & Witsch

„Eurotrash“ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und sollte gelesen werden.

Er ist auf jeden Fall kein Autor, der hinter dem Werk verschwindet. „Du drehst es immer so, daß es nur um Dich geht, weil Du ein Egomonster bist“, sagt auch seine Mama (Betonung auf der ersten Silbe, so leitet „Eurotrash“ an) im neu erschienenen Roman zu ihrem Sohn. Dabei hat sich der Sohn ganz un-egomonsterig zu ihr nach Zürich begeben, also dorthin, wo „Faserland“ geendet hat, weil seine über-80-jährige, kranke Mutter ihn gebeten hatte, rasch zu kommen.

„Eurotrash“ wird zu einer Überlandpartie durch die Schweiz, am Rücksitz eines Taxis nehmen Mutter und Sohn Platz, ein pittoreskes, liebevoll-seltsames und gegensätzliches Paar - und das nicht nur weil der Sohn Verstopfung und Mama einen künstlichen Darmausgang hat.

Die tiefen Abgründe der Familiengeschichte

Unverdaut hingegen sind Erinnerungen aus der Familiengeschichte der Krachts, die Abgründe seiner Familie nennt die Hauptfigur „tief“ und „abgründig“ und wie er es geschafft habe, sich aus der „Misere und Geisteskrankheit seiner Familie herauszuziehen“, das sei ihm selbst ein Rätsel. Da ist einerseits der Großvater mütterlicherseits, Untersturmbannführer bei der SS und Inhaber eines Schranks voller sadomasochistischer Utensilien im Gästezimmer.

Und da ist der sexuelle Missbrauch. Die Mutter der Hauptfigur wurde im Alter von elf Jahren vergewaltigt und die Hauptfigur – und hier deckt sie sich mit der echten Person Christian Kracht – wurde im kanadischen Internat sexuell missbraucht. Dass er seine alkohol- und medikamentenabhängige und wortgewandte Mama einpackt und mit ihr losfährt, raus aus Zürich, ist der Versuch auszubrechen, „aus dem Kreis des Missbrauchs, aus dem großen Feuerrad, aus dem sich drehenden Hakenkreuz“.

Unversehrt ist hier niemand

Und so taucht „Eurotrash“, während wir mit Mutter und Sohn durch die Gegend fahren, in die Vergangenheit ein: Erinnerungen - aus dem Nichts auftauchende und heraufbeschworene -, an eine Kindheit im Wohlstand, an Schwimmtrainer, die auch den Kindern von Frank Sinatra und Brigitte Bardot das Schwimmen beigebracht haben, an Villen, wertvolle Gemälde. An Geld, Geheimnisse und Rätsel.

Ein nostalgisches Idyll sind diese Erinnerungen aber nicht, im Schwimmbecken schlägt sich die Hauptfigur als Kind die Zähne aus, bei einem Autounfall wird er nach vorne geschleudert, an einer Scherbe schneidet er sich und läuft blutend durch den Wald. Mit einem Ziegelstein versucht er sich die Zähne so zu ramponieren, dass er aussieht wie David Bowie, Mama zieht Papa Kracht eine Pfanne über, so dass dessen Trommelfell platzt. Unversehrt ist hier niemand.

Während in den Erinnerungen von Tragik und Trauma und dem ewigen Schweigen in den Familien über das Tragische und Traumatische erzählt wird, so ist die Gegenwart in „Eurotrash“ durchwegs komisch und schelmenhaft, vor allem, weil Mama durch den Ausbruch aus dem Alltag, dem Alleinsein in der Wohnung, zumindest verbal aufblüht und ihren Sohn nicht schont mit ihren Ansichten – über ihn. Seine Bücher seien horrender Stuß, belangloser Unsinn, den keiner lesen will, so Mama. Der Stuß schreibt sich bei Kracht eben mit „ß“ und nicht nur die Rechtschreibung ist altmodisch-großväterlich, auch manche Worte – moribund, Parvenu, ginstergelb - schimmern in Erinnerung an eine vergangene Zeit und sind einer der Gründe für das Knistern und Funkeln von Krachts Texten. Schön auch die Komik, die sich oft in ganz kleinen Ausbremsungen schwerer Adjektive findet, also etwas war „relativ traumatisch" oder in spitze platzierten, übertreibenden Beschreibungen: "... das ganze erbarmungslose Reaktorunglück ihres Lebens...“

Schrulligkeit im Meta-Dasein

Auch eine gewisse Schrulligkeit zieht sich durch „Eurotrash“, bildungsbürgerliche Referenzen (ein Bataille hier, ein Debord da – aber auch wirklich spitze, dass ein paar Seiten nachdem der Name fallen gelassen worden ist, die Hauptfigur zugibt, eigentlich noch nie von Debord gehört zu haben) pflastern den Weg des strauchelnden Duos. Kracht nimmt mit „Eurotrash“ den Umweg über die Fiktion, um sich Auszügen seiner Familiengeschichte zu widmen und greift hin und wieder zur Parodie, um vielleicht weniger von sich selbst, als von der Wahrnehmung, die man von ihm hat, zu erzählen. Immer wieder erinnert der Autor in „Eurotrash“ daran, dass wir uns in einer Geschichte befinden, liebäugelt mit dem Meta-Dasein, wenn Mama ihren Sohn fragt, ob er denn eh wisse, dass sie Figuren in einem Roman sind.

Man könnte „Eurotrash“ auf der Suche nach biografischen Kracht-Fakten, Referenzen zu „Faserland“ und Verbindungen zu anderen Werken Krachts durchwühlen und zergooglen. Das Geheimnis, das Nicht-Wissen, das nur Erahnen wo vielleicht der echte Kracht durchschimmert, das ist Reiz und Triebfeder dieser großartigen, zerfransten Reise, auf die einen „Eurotrash“ mitnimmt. Der Serviervorschlag und die Verzehrempfehlung zum Roman finden sich auf Seite 74. Da bittet Mama ihren Sohn um eine Geschichte und auf die Frage „Wahrheit oder Fiktion“ antwortet sie „Das ist mir egal“. Das ist auch zunächst die beste Lese-Herangehensweise an den Spitzenroman „Eurotrash“.

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