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Simon Hegenberg

Auf „Hinüber“ von Mine gibt’s Popmusik zum Nachdenken

Die deutsche Songwriterin Mine überzeugt mit optimierten Produktionsskills und setzt sich mit der politischen Weltsituation auseinander. Außerdem hat sie sich für die Platte sogar einen unverhofften Feature-Gast aus Österreich geholt.

Von Alica Ouschan

Mine Hinüber Cover

Simon Hegenberg/Caroline

Hinüber ist heute bei Caroline/Universal Music erschienen.

Viele Musiker*innen haben das vergangene Pandemie-Jahr genutzt, um neue Musik zu schreiben und aufzunehmen. Mine hat sich 2020 vor allem Zeit genommen, um ihre Produktionsskills zu verbessern. Heute erscheint mit „Hinüber“ ihr fünftes Studioalbum, dessen doppeldeutiger Titel das große Thema des Albums abbildet: „Es bedeutet zum einen, dass etwas zu Ende geht, dass etwas verrottet und vorbei ist. So hat sich das manchmal angefühlt, wenn man auf die gesamte Weltsituation guckt. Auf der anderen Seite kann es aber auch heißen, dass man über etwas hinüber geht. Deswegen hab’ ich auf dem Cover auch ein schimmliges Gesicht“, erzählt Mine im FM4 Interview.

Schimmel im Gesicht

Mit „Hinüber“ knüpft Mine nahtlos an ihr Vorgängeralbum „Klebstoff“ aus 2019 an. Bereits der ähnliche Stil des Covers deutet darauf hin, dass hier der zweite Teil einer Geschichte erzählt wird. Der Honig, der auf „Klebstoff“ von Mines Gesicht trieft, beginnt auf „Hinüber“ zu verschimmeln und eröffnet ein neues Kapitel. Obwohl der Musik der Pop-Sängerin immer schon eine gewisse Ernsthaftigkeit und Durchdachtheit innegewohnt hat, wird sie auf der neuen Platte so nachdenklich wie noch nie. Im Gegensatz zu bisherigen Alben ist „Hinüber“ aber weniger introspektiv und richtet den Blick nach außen. Songs wie „Unfall“ oder auch der Titelsong „Hinüber“ richten ihr kritisches Auge auf die politische Weltsituation.

„Die Zustände an den europäischen Grenzen, der Klimawandel, was in Polen passiert und Diskriminierung im Allgemeinen, das macht mich einfach emotional fertig“, erzählt Mine. Die Musik ist für sie wie für viele andere Ventil, um ihren Weltschmerz zu verarbeiten. Dass sie mit ihrer Musik zusätzlich auf eine zugängliche Art hochpolitische Messages verpackt, ist für sie mehr Bonus als Absicht. Untermalt sind die Songs, die fast ausschließlich im Pandemiejahr 2020 entstanden sind, mit ausgezeichneten Elektro-Pop-Produktionen, die sich stellenweise zu massiven Soundbildern aufbauschen und die Bildgewaltigkeit der Texte damit perfekt untermalen.

Einflüsse zahlreicher Musikrichtungen, darunter Folk, Jazz und Hip Hop vermischen sich zu einem spannenden Mix, der zu keinem Zeitpunkt langweilig oder vorhersehbar wird. Dass Mine die konzertlose Zeit genutzt hat, um sich in Hardware und Programme reinzufuchsen und für ihre eigenen Verhältnisse überdurchschnittlich viel Zeit alleine im Studio verbracht hat, ist schwer zu überhören und hat sich ausgezahlt. Dem Sound des neuen Albums wohnt eine gewisse Eigenständigkeit inne, die sich bisher zwar abgezeichnet hat, aber nun erstmals klar hervorsticht.

Drückende Soundbilder und leichtfüßige Popnummern

Neben der heftigen Gesellschaftskritik, finden sich auf der Platte Songs wie „Tier“, „Mein Herz“ oder „KDMH“ - kurz für „Kannst du mich halten“ - die den großen Themenkomplex der zwischenmenschlichen Beziehungen bedienen und als typische Mine-Songs verortet werden können. Textlich wie musikalisch übertrifft Mine, die Jazzgesang studiert hat und großen Wert darauf legt, genau das zu singen, was sie aussagen will, sich wenig überraschend wieder einmal selbst.

„Ich schreibe immer erst den Text, bevor ich mir eine Melodie überlege“, sagt Mine. „Ich finde, dass die deutsche Sprache sehr kryptisch ist und einen eigenen Rhythmus mitbringt. Eigentlich ist sie oft total unrhythmisch und hart, deswegen find ich’s immer besser erst zu texten. Umgekehrt, wenn man den Text an die Melodie anpasst, leidet der Text total drunter. Und mir ist der Text einfach mega wichtig.“

Inspiration schöpft Mine aus spontanen Ideen, oft brütet sie aber auch lange über einzelnen Zeilen. Und manchmal findet sie ein einzelnes Wortbild so spannend, dass sie ganze Songs darüber schreibt: „Ich wollte immer schon mal einen Song über den Elefant im Raum schreiben. Das ist so ein schönes Sprichwort, das Bild ist so plakativ - das würd’ ich gern richtig ausschlachten!“, sagt Mine über die Entstehung des Songs „Elefant“.

Das Gewicht des nachdenklichen Hinterfragens von Beziehungen, dem Weltschmerz und den Anklagen an ebendiese, in Kombination mit den mächtigen, fast schon epischen Soundbildern, scheint einen stellenweise fast zu erdrücken. Dem schafft Mine ganz locker Abhilfe, indem sie leichtfüßige Popnummern mit catchy Melodien wie „Bitte Bleib“ oder „Eiscreme“ einstreut: „Nachdem man sich monatelang in deepen Depressionssongs verkriecht, was ja auch voll anstrengend ist, war das so befreiend, nochmal so einen Song wie ‚Eiscreme‘ zu schreiben“, meint Mine. „Ich mach das schon auch absichtlich, weil ich Alben mag, die abwechslungsreich sind und die sich nicht wiederholen.“

Ein königliches Feature aus Österreich

Den Anspruch der Abwechslung hat Mine auf ihrem neuen Album auf jeden Fall erfüllt. Besonders die wohlüberlegten und vielfältigen Feature-Gäste auf „Hinüber“ bringen noch einmal einiges an Bewegung rein. Von der Schweizerin Sophie Hunger über lustige kleine Snippets von den Fetten Broten bis hin zu Mines langjährigem Freund und Kollegen, dem Rapper Dexter. Nicht zuletzt überrascht und punktet deren gemeinsamer Song „Audiot“ - ein schelmischer Song über Menschen mit schlechtem Musikgeschmack - zusätzlich mit dem österreichischen Rapper Crack Ignaz als unvorhergesehenes Spoken Word Feature.

Mine habe den König der Alpen über Twitter kennengelernt, das Feature sei kurz vorm Mastering des Songs entstanden. Eine unerwartete Kombo, die dafür umso besser zusammenpasst. Insgesamt ist „Hinüber“ trotz seiner Vielfältigkeit ein rundes Album inklusive rotem Faden und thematischen Hoch- und Tiefpunkten. Qualitativ überbietet Mine ihre bisherige musikalische Messlatte aber konsequent und durchgängig.

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