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"Falling" von und mit Viggo Mortensen Filmstills & Dreharbeiten

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„Wir müssen anderen zuhören“: Viggo Mortensen im FM4 Interview

Mit dem Generationendrama „Falling“ feiert der einstige „Herr der Ringe“ Star sein Debüt als Regisseur. Im Gespräch betont Viggo Mortensen die Bedeutung von Kunst und Kommunikation in schwierigen Zeiten.

Von Christian Fuchs

Ein Schauspieler schlüpft in die Rolle eines demenzkranken Vaters, das war heuer ein Thema bei der Oscar-Verleihung. Anthony Hopkins wurde für seine beklemmende Performance in „The Father“ zurecht ausgezeichnet. Bevor dieser britische Film bei uns anläuft, gibt es ein Familiendrama aus den USA zu sehen, in dem Demenz und Alzheimer ebenfalls auf berührende Weise im Mittelpunkt stehen.

Genrefilm-Veteran Lance Henriksen, der sein markantes Gesicht unzähligen Actionthrillern und Sci-Fi-Schockern geliehen hat, schaltet in „Falling“ auf einen hochseriösen Modus um. Er spielt Willis, einen alten Mann, der von Demenzschüben gezeichnet wirkt. Für seine Umgebung ist der Rentner der reinste Horror, denn im Alter kommt alles Reaktionäre ungefiltert raus: Frauenhass, Rassismus, Homophobie. Willis läuft ständig verbal Amok, wird handgreiflich, vergisst in der nächsten Minute sein halbes Leben.

Besonders John leidet unter den Anfällen seines Vaters. Debütregisseur Viggo Mortensen verkörpert selbst den Sohn des manischen Willis, einen schwulen Intellektuellen mit linksliberalen Ansichten, was das Konfliktpotential steigert. Die Geschichte über Verantwortung und Verfall mutiert dadurch auch zu einer Reflexion über die Spaltung der Gesellschaft.

Und auch wenn das alles vielleicht ein bisschen konstruiert klingt: „Falling“ funktioniert ziemlich gut und zwar gleich auf mehrfacher Ebene. Als Wechselspiel aus heftigen Konfrontationen und Warmherzigkeit, als Demenzdrama ohne kitschige Sentimentalität, als Plädoyer für Kommunikation, auch wenn es schwerfällt. Vor allem punktet der Film aber als Duell großartiger Schauspieler.

"Falling" von und mit Viggo Mortensen Filmstills & Dreharbeiten

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Christian Fuchs: Wie sind Sie auf die Idee zu „Falling“ gekommen? Gibt es darin autobiographische Elemente oder ist die Geschichte komplett fiktiv?

Viggo Mortensen: Es gibt einige Gesprächsfragmente und einige Momente, die meinen subjektiven Erinnerungen an meine Kindheit entnommen sind. Und in der jüngeren Vergangenheit meine Erfahrungen mit Demenz bei meiner Mutter, meinem Vater, meinen Großeltern, meinem Stiefvater. Viele Leute in meiner Familie hatten es, auf beiden Seiten. Das sind also Erfahrungen, aus denen ich direkt geschöpft habe, aber es ist hauptsächlich Fiktion.

Der Grund, warum ich mit dem Schreiben angefangen habe, ist, denke ich, dass ich mich einfach an Gefühle rund um meine Mutter und meinen Vater erinnern wollte - und an das, was sie mir beigebracht haben. Und ich glaube, dass Erinnerungen hauptsächlich aus Gefühlen bestehen, nicht aus Fakten. Wissen Sie, die Dinge, an die wir uns erinnern, sind nicht genau so gewesen wie wir denken, dass sie waren.

C.F: Ja, man kann dem Gedächtnis nicht trauen...

V.M: Man muss nur ein Gespräch mit jemandem führen, mit dem man vor einer Woche oder vor Jahren ein Ereignis oder ein Gespräch geteilt hat, und dann sagt man, man erinnere sich daran, und dann sagt die andere Person - nein, das war nicht so - oder nein, es war Winter, nicht Sommer. Und für eine Person mit Demenz ist oft die Gegenwart die Vergangenheit. Es ist völlig real für sie.

Demenzkranke sind nicht so, wie man es in den meisten Filmen über dieses Thema sieht. Ich dachte es wäre interessant, all diese Dinge zu erforschen, weil sie so viel mit den Problemen zu tun haben, die wir als menschliche Wesen mit der Kommunikation untereinander haben können.

C.F.: Glauben Sie, dass Lance Henricksens Charakter eine typische Vaterfigur für eine bestimmte Generation ist?

V.M.: Ja, definitiv. Ich denke, Willis ist ein extremer Fall von Intoleranz, aber er ist im Allgemeinen nicht so ungewöhnlich. Ich meine, Männer, die in den 1930er Jahren geboren wurden, sagen wir, oder in den 1940er Jahren, die wurden in dem Glauben erzogen, dass der Vater in einer typischen, klassischen, heterosexuellen Kernfamilie der Boss ist. Er ist der König. Er mag ein netter Mensch sein, aber er wird sich nicht an andere Menschen anpassen und daran, wie sie sich verändern oder an die sich verändernden Zeiten um sie herum und ihre Umgebung. Alle anderen müssen sich innerhalb der Familie an den Vater anpassen. Seine Entscheidungen sind endgültig und deshalb wird sich diese Person nicht so leicht in Beziehungen weiterentwickeln - das ist typisch.

Bei Willis und seinem Sohn John ist es ein Extremfall. Das Kind wird zu einer Person, die der Vater nicht erwartet. Anstatt das interessant zu finden, empfindet er es als Bedrohung seiner Autorität, seines Kontrolldrangs und seiner patriarchalischen Position.

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C.F.: Das klingt in gewisser Weise fast politisch. Denn es beschreibt auch eine bestimmte politische Denkweise, mit der wir es gerade zu tun haben.

V.M.: Ich denke, das passiert leider überall, nicht nur in den Vereinigten Staaten, wo die Geschichte spielt. Ich sehe es in ganz Europa - und wirklich überall auf der Welt und sogar in den eher gut funktionierenden Demokratien. Man hat diese Polarisierung, wo die Leute einfach nicht miteinander reden. Und es gibt eine gewisse Intoleranz, so sehr, dass ich sagen würde, das ist fast eine andere Art von Pandemie. Es ist wie ein Virus. Im Moment denke ich, dass das Kommunikationsproblem explodiert ist, es ist im Moment eine Pandemie. Und die Art und Weise, wie wir es beheben müssen, ist, indem wir etwas tun, was nicht einfach ist.

C.F: Wieder miteinander zu reden...

V.M: Wissen Sie, es ist viel einfacher, Menschen zu verurteilen oder abzutun, als über sie nachzudenken und zu versuchen, sie zu verstehen - das ist mehr Arbeit. Aber wir müssen diese Arbeit machen - versuchen, den Leuten zuzuhören, nicht nur um eine Antwort oder einen Angriff vorzubereiten, sondern ihnen zuzuhören, um ehrlich zu versuchen, sie zu verstehen: Warum denken sie anders? Warum mögen sie mich nicht? Warum verhalten sie sich auf eine Weise, die ich nicht gutheiße oder nicht verstehe? Und das ist die Aufgabe, die wir als Menschen jetzt haben, meiner Meinung nach.

C.F.: Und was ist mit dem Sohn, Ihrer Figur im Film?

V.M.: Beide Männer sind stur, auf unterschiedliche Weise. Der Sohn ist sehr stur, wenn es darum geht, zu kommunizieren - so stur wie der Vater, wenn er anscheinend nicht kommunizieren will. Aber beide haben ein gemeinsames Problem: Sie wollen, dass die andere Person ihren Vorstellungen entspricht. Aber ich denke, wenn man jemanden dazu bringen will, dass er seinen Geist ein bisschen öffnet, muss man damit beginnen, zu akzeptieren, was er ist. Und das auch wirklich verstehen, bevor man es eilig hat, ihn zu verändern. Dieses Problem haben beide Figuren.

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C.F.: Sie haben jetzt lange Zeit sehr persönliche und künstlerische Filme gemacht, nun führen sie auch noch bei einem solchen Film Regie - haben Sie manchmal das Verlangen, als Schauspieler zu Blockbustern oder Superheldenfilmen zurückzukehren?

V.M.: Ich denke, ehrlich gesagt, nicht über das Genre, das Budget oder die Nationalität bei einem Film nach. Ich suche einfach nach Geschichten. Das ist sehr subjektiv, aber ich versuche, Geschichten zu finden, die ich miterzählen oder an denen ich als Zuseher teilhaben möchte. Manchmal sind das große Filme, es kommt darauf an, wie gut sie gemacht sind oder wie originell der Erzählstil ist. Was ich nicht mag - egal ob es ein Low-Budget-Film oder ein Big-Budget-Film ist - sind Geschichten, in denen der Regisseur mir diktiert, was ich zu denken und fühlen habe. Oder der Komponist oder sonst jemand.

CF: Sie suchen also nach einer bestimmten Art von Geschichte...

V.M: Ich mag Geschichten, die mich fesseln. Ich mag Geschichten, die mich als Publikum respektieren. Wissen Sie, ich werde dieses Jahr ein paar Jobs als Schauspieler machen. Einer davon ist echt ein Big-Budget-Film. Und dann gibt es noch einen, der ein Film mit sehr kleinem Budget ist, aber ich mag sie beide, ich denke, die Charaktere sind interessant, eine Herausforderung ist für mich da.

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C.F.: Sie sind Schauspieler, Regisseur, Musiker, Dichter - Kunst ist offensichtlich sehr wichtig für Sie. Glauben Sie, dass in Zeiten der Pandemie die Kunst in gewisser Weise gefährdet war und ist?

V.M.: Überhaupt nicht. Ich glaube, die Menschen haben geniale Wege gefunden, über und mit Kunst zu kommunizieren, auch wenn sie eingesperrt waren. Ich meine nicht nur Künstler - ich meine alle Menschen. Kunst ist Kommunikation. Kunst bedeutet, zu interpretieren, was um einen herum passiert und auszudrücken, wie man sich dabei fühlt. Wissen Sie, kleine Kinder, wenn sie vier oder fünf Jahre alt sind, unterscheiden nicht zwischen Künstlern und Nicht-Künstlern - und ich denke, Erwachsene müssen das auch nicht.

CF: Sie sind also sehr optimistisch, was die Zukunft der Kunst angeht?

V.M: Die Menschen sind sehr erfinderisch und sie werden immer einen Weg finden. Und ich glaube auch nicht, dass die Kinos ganz verschwinden werden - auch wenn das Streaming wichtiger geworden ist. Für die Leinwand wird es immer einen Platz geben. Ich und viele andere Leute werden immer die Erfahrung mögen, in einen Raum zu gehen, in dem die Lichter ausgehen und man mit Fremden zusammensitzt und zu hoffen beginnt.

Es ist ja ein Ritual, bei dem man hofft, dass man mit einem anderen Gefühl aus dem Kino kommt als man hineingegangen ist. Dass Sie auf eine breitere Art und Weise über sich selbst und Ihren Platz in Ihrer Umgebung und in Ihrer Zeit nachdenken. Und vielleicht dauert es nur zehn Minuten, oder fünf Stunden - aber man denkt vielleicht auch am nächsten Tag noch darüber nach. Ich denke, diese Erfahrung wird nie verschwinden und sie kann nicht dadurch ersetzt werden, dass man sich zu Hause Filme ansieht. Das ist nicht das Gleiche.

C.F.: Ein sehr schönes Fazit am Ende, ich wünsche Ihnen viel Glück mit Ihrem Film.

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