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Spaltet unser Konsumverhalten die Gesellschaft?

Das Buch „Fair gehandelt?“ der Soziologin Elizabeth Currid-Halkett analysiert das Konsumverhalten der neuen „aufstrebenden“ Wissenselite in den USA. Sie sieht eine gesellschaftlichen Kluft entstehen, befeuert durch die gefühlte moralische Überlegenheit der Lifestyle-Elite.

Von Paul Pant

Bio kaufen, bewusst ernähren, Fahrradfahren, Podcast hören, einmal in der Woche zum Yoga gehen, und natürlich eine gute Uni besuchen. Menschen, die diese Lifestyle-Bubble pflegen, findet man in allen urbanen Zentren der Welt. Eine neue soziale Klasse hat sich gebildet, sagt Soziologin Elizabeth Currid-Halkett in ihrem Buch „Fair gehandelt“. Eine selbstbewusste Elite, deren Konsumverhalten sich stark gewandelt hat.

Wer gehört eigentlich zur Mittelschicht, Oberschicht und wer zu den Abgehängten moderner Gesellschaften? Eine Frage, die Soziolog*innen und Ökonom*innen traditionell über Einkommen und Besitz zu beantworten versuchen. Mit zunehmender Einkommensungleichheit gibt es aber eine neue, eine wachsende soziale Klasse, in der Geld weniger eine Rolle spielt, sagt die Soziologin Elizabeth Currid-Halkett. Diese soziale Klasse nennt sie Aspirational Class – in der deutschen Übersetzung: die „Aufstrebende Klasse“. Über die schreibt Elizabeth Currid-Halkett:

„Was die Mitglieder dieser neuen elitären, kulturellen Gruppierung miteinander vereint, ist ihr Streben nach und ihre Wertschätzung von Wissen und nicht ihr Einkommensniveau. […] Das Wissen beziehungsweise das kulturelle Kapital wird dazu verwendet, informierte Entscheidungen darüber zu treffen, was man essen, wie man mit der Umwelt umgehen sollte und wie man zu besseren Eltern, produktiveren Arbeitern und besser informierten Konsumenten wird.“

Cover "Fair gehandelt?" Elizabeth Currid-Halkett

btb / Penguin Random House

„Fair gehandelt?“ von Elizabeth Currid-Halkett ist am 14.6.2021 beim btb Verlag erschienen

Die Professorin der University of Southern California hat sich das Konsumverhalten dieser Aspirational Class in den USA genau angesehen. Mit zahlreichen Statistiken und vielen Zahlen, angereichert durch Interviews, zeichnet sie detailreich ein pointiertes Bild dieser neuen kulturellen Elite.

„Es gibt wohlhabende Mitglieder - vielleicht Partner in einer Anwaltskanzlei -, die ein Vermögen für Kindermädchen, für das Studium an einer der amerikanischen Eliteuniversitäten und Bioerdbeeren ausgeben. Andere Mitglieder dieser Klasse, wie der arbeitslose Drehbuchautor oder die Künstlerin, die die Rhode Island School of Design (RISD) besucht hat, sind finanziell kaum dazu in der Lage, da mitzuhalten, aber nutzen ihre dürftigen Mittel trotzdem dazu, ihre Zugehörigkeit kundzutun. Auch der Drehbuchautor liest New York Times, [...] kauft ebenso die Bio-Erdbeeren. Er trägt einen Jutebeutel mit sich herum, auf dem ein politischer oder literarischer Slogan abgedruckt ist - ein weiteres Zeichen seiner kulturellen Gewandtheit und der Auseinandersetzung mit den intelektuellen Strömungen seiner Gegenwart.“

Die Aspirational Class knüpft an das Elitenbewusstsein des gehobene Bürgertums des 19. und 20. Jahrhunderts an, beschreibt Currid-Halkett. Allerdings sind Produktivität und die richtigen moralischen Entscheidungen der Kompass der Klassenzugehörigkeit, nicht mehr demonstrativer Konsum oder Nichtstun.

Als „Fair gehandelt?“ 2018 - am Höhepunkt der Trump Ära - in den USA veröffentlicht wurde, gab es eine breite Debatte über die Spaltung der US-Gesellschaft. Der Untertitel des Buchs „Wie unser Konsumverhalten die Gesellschaft spaltet“, war da natürlich ein gefundenes Fressen für rechte Kommentator*innen, die in dem Buch einen Beleg für die wahrer Spalter*innen der Gesellschaft sehen: Eine selbstbewusste, links-liberale Lifestyle-Elite, die sich mit ihrer selbstempfundenen moralische Überlegenheit von der US-Mittelschicht entfernt habe, lautet ihr Vorwurf.

Die These von der Spaltung der Gesellschaft durch das Konsumverhalten begründet Elizabeth Currid-Halkett allerdings weit differenzierter. Sie zeichnet ein Bild einer US-Mittelschicht deren Vermögen und Einkommen seit der Finanzkrise erodiert ist. Gleichzeitig wird der Zugang zu Wissen und Schulbildung kostspieliger und elitärer. Die Aspirational Class hat durch vererbte Bildungschancen oder Vermögen Zugang zum Konsum dieser „Wissensleistungen“ und vererbt diese an ihre Kinder weiter. Dadurch entstünde eine weniger durchlässige Gesellschaft, die die Abgehängten weiter abhängt, erklärt Currid-Halkett.

„Fair gehandelt?“ ist nicht nur eine Kritik an einer selbstbewussten Wissenselite, sondern auch ein Plädoyer für die Notwendigkeit, Einkommensunterschiede zu verringern, Bildung für alle zugänglich zu machen die gesellschaftliche Durchlässigkeit zu fördern. Elizabeth Currid-Halkett ortet einen blinden Fleck der Aspirational Class bei Klassenbewusstsein und gesamtgesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein. Ihre Forderung ist ein Blick über den Tellerrand der eigenen Konsumentscheidungen, für ein faires Miteinander und Zusammenleben.

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