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Billie Eilish

Kelia Anne MacCluskey

Billie Eilish ist „Happier Than Ever“

Billie Eilish gelingt mit ihrem zweiten Album das Unerwartete: Sie bleibt weiterhin Innovatorin der Popmusik.

Von Christoph Sepin

Weißt du, was du vor zwei Jahren gemacht hast? Was du gefühlt und an was du geglaubt hast? Billie Eilish kann, um das für sich herauszufinden, einfach eine Onlinesuche machen. Spätestens seit dem Release ihres 2019er Debütalbums „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ kartografierte die Öffentlichkeit das Leben der Kalifornierin. Von ihrer Rolle als Retterin der Popmusik bis zu Diskussionen über ihre Authentizität, über ihr Alter und ihr Aussehen. Von Medien, die mehr an der Celebrity Billie Eilish interessiert sind als an der Musikerin, bis zu einer gesamten Industrie von Männern mit weißen Hemden und goldenen Uhren, die am Erfolg der Künstlerin mitverdienen wollten.

Zwei Jahre der angekündigten und dann wieder abgebrochenen Touren, von veröffentlichten Songs, James-Bond-Soundtracks, Awards, Rekorden, politischem Aktivismus und einer überraschend offenen Doku - und jetzt, der Nachfolger zu einem der erfolgreichsten Alben aller Zeiten. Kann „Happier Than Ever“ dem Hype also standhalten? Nope, denn diese Platte ignoriert absurde Erwartungen einfach. Billie Eilish und ihr Bruder Finneas sind klug und haben ein kluges, vielseitiges und vor allem in seiner kompletten Ruhe und Distanzierung von irgendwelchen Trends und Meinungen fast schon provokantes Album geschrieben.

Alleine der Albumtitel „Happier Than Ever“ ist der Mittelfinger in Richtung irgendwelcher Normalos, die uns erzählen, wir sollen doch „öfter mal lachen und nicht so traurig schauen“. „Happier Than Ever“ ist ein ernstes Album, lacht der Absurdität der Welt dann aber doch ab und zu ins Gesicht. Nur macht es das eben mit heruntergezogenen Mundwinkeln.

„When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ war noch ein Album wie der Versuch der Beschreibung eines unruhigen Traums und eine Introspektion, „Happier Than Ever“ ist nun der Blick nach außen und Interpretation der Welt im 21. Jahrhundert. Aber nicht nur: „I’m getting older, I think I’m aging well“, das ist die wichtige erste Zeile, die Billie Eilish in gewohnt ruhiger Stimme, ganz nah am Mikrofon singt. „I wish someone had told me I’d be doing this by myself.“

„Getting Older“ als Opener des Albums ist ein Lied, das sich um Machtmissbrauch dreht, um Übergriffe, um den Umgang mit einer toxischen Welt: „It wasn’t my decision to be abused“ und „I’ve had some trauma, did things I didn’t wanna“, sind Lyrics in diesem Song, aber auch: „For anybody asking, I promise I’ll be fine“.

Was Billie Eilish und Finneas am letzten Album noch hauptsächlich durch Instrumentierung und Produktion ausdrückten, fließt auf der zweiten Platte deutlicher in die Songtexte ein: Billie-Eilish-Songs haben immer schon geklungen, als ob sie sich allein in einem kleinen Studio, nur mit Mikrofon und wenigen Instrumenten, befinden würde, als ob sie sich aussuchen würde, hier das gesamte Gewicht ihrer Songs zu tragen. Mit Lyrics wie „I’m out of sympathy for you“ („I Didn’t Change My Number“) oder „I’m in love, but not with anybody else, just wanna get to know myself“ („my future“) vermittelt Eilish den Anschein, dass sie ihre Lieder hauptsächlich für eine Person schreibt: für sich selbst.

Das alles bestimmt das Grundkonzept dieser Platte. Hallo, liebe Musikindustrie, ihr wolltet mehr Superhits wie „bad guy“ für eure Heavy Rotation? Gibt’s nicht. Dieses Album kommt fast komplett ohne Hooks aus, folgt kaum aktuellen Poptrends und wirkt nicht interessiert daran, Ohrwürmer zu kreieren. Diese Platte wird dadurch nicht langweiliger, sondern sogar interessanter.

Es zahlt sich also aus, genau hinzuhören. Wenn verträumte Ideen der Liebe geteilt werden („Billie Bossa Nova“), über Naivität und Idealismus inmitten einer eiskalten Industrie erzählt wird („GOLDWING“), über Objektifizierung („Not My Responsibility“ und „OverHeated“) oder schlaflose, verliebte Nächte („Halley’s Comet“). Inmitten dieser Ideensammlungen sind dann auch wahre Diamanten zu finden: „Oxytocin“ ist ein düsterer, old-school Billie-Song mit minimalistisch wummerndem elektronischem Soundbett und Songzeilen wie: „If you only pray on Sunday, could you come my way on Monday? Because I like to do things God doesn’t approve of if She saw us.“

Und dann, tatsächlich, widmet sich auch Billie Eilish in diesem Sommer der Rückkehr der verzerrten Gitarren endlich ihren eigenen Emo-Rock-Ideen: Der Titeltrack „Happier Than Ever“ startet als Ablenkungsmanöver, mit Ukulele und softer Stimme, bevor dann plötzlich nach zwei Minuten riesige Gitarrenwände und pure Distortion und Pathos übernehmen. Vielleicht das beste Lied, das Billie Eilish jemals veröffentlicht hat. Zumindest das Beste, um es in späten Nächten mitzugrölen.

Billie Eilish Happier Than Ever Albumcover

Universal Music Group

„Happier Than Ever“ von Billie Eilish ist auf Darkroom/Interscope erschienen.

„Happier Than Ever“ ist eine Platte, deren Existenz verblüffend ist. Man hätte sich darauf eingestellt, dass hier ein berechenbares Follow-up zum supererfolgreichen Debüt rauskommt. Dass hier kalkuliert am Status quo weitergefeilt wird und dass am Unternehmen Billie Eilish mittlerweile so viele Leute beteiligt sind, dass keine Risiken eingegangen werden können. Aber dann biegt das alles irgendwo ab und wird zur vielseitigen Ideensammlung.

Da ist dann nach dem gigantischen Finale vom Titeltrack „Happier Than Ever“ mit „Male Fantasy“ einfach ein Song als Finale drauf, der sich darum dreht, wie sich heteronormatives Körperbild von Menschen bestimmen lässt, die zu viele Pornos schauen. Andere Künstler*innen könnten solche Themen nicht so gut verpacken, wie das Billie Eilish macht, hier geht sich das alles mühelos aus.

So viel gibt es auf „Happier Than Ever“ zu entdecken, dass dieses Album eigentlich überladen ist. Da sind so viele Skizzen, Versuche und Gedanken drauf zu finden, dass man sich zuerst einmal orientieren muss, sich vielleicht einmal nonlinear durch das Album hören sollte oder nur gewisse Songs immer und immer wieder. Falls „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ das Konzeptalbum war, dann ist „Happier Than Ever“ pure kreative Freiheit, wie sie wohl nur wenige Leute in der Mainstream-Popwelt ausdrücken können - oder dürfen. Damit ist Billie Eilish das Unerwartete gelungen: Sie bleibt weiterhin Innovatorin der Popwelt und hat das, was noch viel beeindruckender ist, mit „Happier Than Ever“ scheinbar mühelos aus dem Ärmel geschüttelt.

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