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A Sucker for the Pain: Snail Mails „Valentine“

Mit „Valentine“ präsentiert Indie-Rock-Liebling Snail Mail ihr zweites Album, das The War on Drugs schon als beste Platte des Jahres feiern. Im FM4 Interview spricht Snail Mail über Liebeskummer und Erwartungsdruck, das beste Kompliment ihres Lebens und über Unabhängigkeit.

Von Michaela Pichler

„Dieses Album hat einiges in meinem Leben verändert. Während dem Albumprozess habe ich viel über mich selbst gelernt!“, erzählt Snail Mail im FM4-Interview via Zoom. Während sich bei uns schon langsam die Herbstsonne verabschiedet, ist Lindsay Jordan alias Snail Mail im vormittäglichen New York City gerade erst aufgestanden. Mit einem Kaffee in der Hand sitzt sie in ihrem ersten, eigenen Appartement, der Schlaf klebt ihr noch in den Augen, es war eine lange Nacht am Vorabend. Eine ihrer besten Freundinnen, Katie Crutchfield aka Waxahatchee, ist in einem Club in Brooklyn aufgetreten, nicht ohne die junge Indie-Rockerin selbst mit auf die Bühne zu holen. Gemeinsam coverten Snail Mail und Waxahatchee den Sheryl Crow Song „Strong Enough“.

„True love & shit“

Auch „Valentine“ hat etwas mit Stärke zu tun - glaubt man zumindest der lateinischen Übersetzung des Namens, der für „gesund sein“ und „stark sein“ steht. Snail Mail lacht, als sie diese Übersetzung hört, sie hat mit diesem mystischen Namen ganz andere Assoziationen: „Dieses Unschuldige, was wir auch immer mit ‚true love and shit‘ assoziieren - das fand ich als Albumtitel einfach total ironisch und traurig zugleich. Es war also perfekt!“ „True love and shit“ - das war wohl das Motto auf Snail Mails Debütalbum „Lush“ vor drei Jahren. Damals hat die US-amerikanische Teenagerin über ihre ersten queeren Liebesbeziehungen gesungen, gefühlige Achterbahnfahrten im grungigen Indie-Rock-Mantel, die in der ganzen Welt auf Presse-Lob stoßen. Nach dem ersten Erfolg und ein paar Jahren mehr Lebenserfahrung auf dem Buckel kommt mit dem zweiten Album „Valentine“ nun der harte Knall auf den Realitätsboden in Sachen Liebe.

Bis zu einem gewissen Grad geht es um alle Stadien der Trauer. Und dieses Wiederauftauchen aus der dieser tiefen Dunkelheit ist auf jeden Fall ein fixer Bestandteil der Platte.“ Auf „Valentine“ beackert Snail Mail alle schmerzhaften Facetten, die nach der großen Liebe durchlitten werden müssen: Die Trauer, das Nicht-wahrhaben-Wollen, die Eifersucht, die Verachtung und zu guter Letzt dann doch ein Funken gesunde Akzeptanz. Bis auf letzteres findet sich auch alles im Titeltrack „Valentine“, dem Opener am Album. Aufgebaut auf einer simplen Synthesizer-Melodie ist der Track entstanden, der sich spätestens im Refrain mit den doch so bekannten Snail-Mail-Gitarren entlädt.

So why do you wanna erase me, darling valentine?

Snail Mail - "Valentine"

Snail Mail

„Valentine“ - ist gerade via Matador Records erschienen. Im Frühjahr präsentiert Snail Mail ihre neue Platte auch in Europa, z.B. in Berlin, München, Hamburg und Zürich.

Wie sehr einem ein Heartbreak zusetzen kann, das musste Lindsey Jordan zwischen ausverkauften Konzerten und Tour-Wahnsinn erfahren. Erholung fand sie erst wieder in einer Entzugs-Klinik in Arizona, in der sie sich ganz auf ihre psychische Gesundheit konzentrieren musste. Ohne Handy, ohne Kontakt zu Freund*innen, ohne Ablenkung hat sie dort 45 Tage mit sich selbst verbracht. Da die Songs von Snail Mail auch immer sehr ehrlich sind, ist auch diese Zeit am Album verewigt und kein Tabuthema für die Songschreiberin. Im Track „Ben Franklin“ beschreibt sie die Taubheit nach der Rehab-Zeit, inklusive heulendem Rock-Riff und einem breiten Stimmenspektrum, mit dem das Gegenüber als melodramatischer „sucker for the pain“ beschimpft wird. Als Mental-Health-Gallionsfigur sieht sich Snail Mail aber trotzdem nicht. „Das Aushängeschild für die Awareness von psychischer Gesundheit zu werden, steht definitiv nicht auf meiner To-Do-List“, lacht Snail Mail durch die Zoom-Linse.

Kurt Cobain, Hunde und das Internet

Wenn man sich die Kommentarspalten unter den Musikvideos auf Youtube anschaut, dann tummeln sich dort die schon lange wartenden Snail-Mail-Fans. Ein User schreibt, dass „Valentine“ ein „ganz besonderes Album werden wird - denn alles was die Künstlerin angreift, wird zu Gold“. Die Wahrscheinlichkeit, dass Snail Mail solche Kommentare auch erreichen, ist sehr gering. „Ich versuche das so gut es geht zu vermeiden, weil ich einfach viel zu viel Schiss vor gemeinen Kommentaren habe. Aber einmal habe ich etwas gelesen, da wurde ich mit Kurt Cobain verglichen! Natürlich würd ich das nie über mich behaupten, aber für mich war das das ärgste Kompliment, das mir jemand machen konnte. Ich verehre ihn auf so eine obsessive und nervige Art. Danach dachte ich, oh nein, jetzt darf ich nie mit Rock aufhören, ich darf diese Leute doch nicht enttäuschen!? (lacht)“. Wenn Snail Mail dann einmal doch im Internet agiert, kürt sie die Top 10 der am besten verkleideten Halloween-Hunde (pures Youtube-Gold „Snail Mail Rates Your Dogs“).

Unabhängigkeit ist ein Wort, das Snail Mail im Interview immer wieder benützt. Während den Recording-Sessions zu „Valentine“ hat sie nicht nur an ihrer Selbstreflexion gearbeitet, sondern auch ihre künstlerische Selbstbestimmtheit ausgenutzt. Wie sehr ihr die kreative Arbeit abgehen kann, hat Snail Mail während ihrer zweijährigen Welttournee erlebt. Deshalb wollte sie sich auf ihrem zweiten Album noch mehr einbringen, als auf ihrem Debüt. Zum Beispiel als Co-Produzentin an der Seite von Brad Cook, der auch schon für Bon Iver, Waxahatchee, Kevin Morby, Whitney und mehr produziert hat. „[Im Vergleich zu ‚Lush‘] hatte ich dieses mal eher eine Hands-On-Mentalität. Ich wollte an der Produktion beteiligt sein und meine Visionen umsetzen. Und ich dachte, ich kann doch mehr als nur Gitarre spielen und singen!“

Besonders stolz ist Snail Mail auf den Song „Automate“, von dem sie ein genaues Bild im Kopf hatte, das sie auch genauso umsetzen konnte. Jetzt, Monate nach den Recording-Aufnahmen, muss Snail Mail immer noch weinen, wenn sie den Song hört.

Dass Snail Mail nicht nur ein Talent für die E-Gitarre besitzt, hat sie spätestens mit „Valentine“ bewiesen. Erstmals hat die 22-jährige auch zu Synthesizern gegriffen, Streichinstrumente co-arrangiert und die Ideen für ihre Musikvideos entwickelt - samt viktorianischem Kostümbild, Kuchenschlacht und einer giftgelben Python um den Hals. Das Wechselbad der Herzschmerz-Gefühle zieht sich dabei durch die breite Sound-Range am Album: Pop-Rock-Klänge, die an die späten 90er erinnern („Valentine“, „Glory“, „Headlock“) treffen auf balladenhafte Folk-Songs, die Snail Mails bisher weichste Seite zeigen („Mia“, „c. et al.“, „Light Blue“). Ein Album, das ein weiteres Stück Erwachsen-Werden in Snail Mails Leben skizziert - den schmerzhafteren Part dieser Reise. Damit hat Snail Mail auch ihre größte Kritikerin überzeugt. „Meine eigenen Erwartungen sind weit weg von realistisch. Ich kämpfe extrem mit Perfektionismus. Das geht bei mir so weit, dass nichts je fertig wird. Deshalb habe ich für ‚Valentine‘ wohl auch drei Jahre gebraucht. Davor konnte ich einfach nichts fertigstellen, bis es sich perfekt anfühlte. Aber jetzt ist es draußen und für mich ist es perfekt geworden.“

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