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Alexia im Film "Titane"

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„Titane“: Der Skandalfilm mit der Goldenen Palme

Der neue Film „Titane“ von Julia Ducournau zählt wohl zu den ungewöhnlicheren Cannes-Gewinnern: viel Blut, Motoröl und Sex mit Autos. Ein wilder Ritt.

Von Jan Hestmann

Es beginnt mit einem Autounfall. Das Kind Alexia sitzt am Rücksitz, summt, ahmt die Motorgeräusche nach und tritt in den Vordersitz. Vor ihr der Vater am Steuer. Als dem der Geduldsfaden reißt, verliert er die Kontrolle über das Auto und sie krachen in die Leitplanke. Beide überleben den Unfall, Alexia muss aber eine Titanplatte in den Kopf eingesetzt werden. Von nun an ziert sie eine auffällige, große Narbe über ihrem Ohr, die auch auf dem markanten, in Blau-Rot gehaltenen Filmplakat zu sehen ist. Als Alexia das Krankenhaus verlässt, geht sie schnurstracks zum Unfallauto und küsst es.

Der FM4 Filmpodcast, zu hören Montag um Mitternacht auf FM4 und schon ab 22 Uhr überall, wo es Podcasts gibt. Diesmal zu Gast: Florentina Holzinger

In weiterer Folge erzählt Julia Ducournau in ihrem neuen Film „Titane“ von der erwachsenen Alexia (Agathe Rousselle), die mittlerweile als Tänzerin bei Auto-Shows arbeitet. In neongrüner Netzstrumpfhose räkelt sie sich auf der Motorhaube eines von Flammen überzogenen Cadillacs. Im Hintergrund läuft „Doing It To Death“ von The Kills (ein erster Vorbote auf den fantastischen Filmsoundtrack). Eine Symbiose zwischen Mensch und Maschine, die sich nach Dienstschluss noch vertiefen soll, in der bereits vieldiskutierten Sexszene zwischen Alexia und dem Lowrider.

Aber nicht nur die Liebe zu Fahrzeugen prägt Alexias ungewöhnliches Wesen. Sie entpuppt sich auch als eiskalte Killerin, die ihre Opfer mit Vorliebe mit ihrer Haarnadel ersticht. Einer kuriosen Mordserie folgend, muss sie vor der Polizei flüchten, taucht unter und nimmt fortan die Identität des vermissten Sohns des Feuerwehrmanns Vincent (Vincent Lindon) an, der sie bei sich zuhause und seiner Truppe aufnimmt.

Alexia im Film "Titane"

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Mit ihrem Debütfilm „Raw“ hatte die französische Filmemacherin Julia Ducournau vor fünf Jahren einen Film hingelegt, den man als Kannibalen-Coming-of-Age-Drama umschreiben kann. Auch „Titane“ ist darauf ausgelegt zu schocken und geht in die Vollen. Hier trifft haarsträubender Body Horror auf Science-Fiction-Elemente, Familiendrama auf Blut und Motoröl. Dass der Film heuer die Goldene Palme in Cannes gewinnen konnte, beweist eine zunehmende Experimentierfreudigkeit des prestigeträchtigen Filmfestivals, das hier dem Genrekino Zugeständnisse macht.

Das Auto als typisch männliches Statussymbol hat Ducournau nicht zufällig so zentral in ihrem Film platziert. „Titane“ ist nicht nur Schock- und Heavy-Metal-Kino, sondern auch ein Spiel mit sexuellen und Genderidentitäten. Die Transformation von Alexia zu Adrien nimmt ihren Anfang mit einer mehr als schmerzhaften Szene, in der sie sich die Nase bricht - Stichwort Body Horror. Das Abbinden ihrer Brüste wird zur täglichen Tortur. Der sorgende Vater, der sich hartnäckig einredet, in Alexia seinen vermissten Sohn wiedergefunden zu haben, rasiert sie im Gesicht, um ihren Bartwuchs zu fördern.

Dieser unkonventionellen Vater-Kind-Beziehung gegenüber steht eine Gruppe junger, vor Testosteron überschießender Feuerwehrmänner, mal oben ohne grölend beim Rave in der Feuerwehrgarage, mal sinnlich beim Tanzen in der Bar zu den Future Islands. Auch ihnen wird durch das Auftauchen von Alexia/Adrien der Spiegel vorgehalten und deren Alpha-Männchen-Verhalten ad absurdum geführt.

Da bietet „Titane“ dann die Angriffsfläche für Kritik. Denn ein moderner Skandalfilm kann nicht mehr so leicht nur durch zugespitzte Gewaltdarstellung oder nackte, schwitzende Körper punkten, sondern setzt beim Spielen und Verzerren von Identitätskonzepten an. Das gelingt Julia Ducournau mit „Titane“ meisterlich, einem Film, der schockiert, weh tut, bis zur letzten Sekunde fasziniert und wohl noch lange besprochen werden wird. Eine Paradebeispiel dafür, was Kino leisten kann und muss.

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100. FM4 Film Podcast: Florentina Holzinger

Das große Podcast-Jubiläum zelebrieren Pia Reiser und Christian Fuchs mit einem ganz besonderen Gast. Die Wiener Ausnahmechoreografin Florentina Holzinger spricht über den wilden Cannes-Gewinnerfilm „Titane“ von Julia Ducournau, über Body Horror, „Suspiria“ und Tanz im Genrefilm. Und warum sie auch „Grease“ mehrmals gesehen hat.

Der FM4 Filmpodcast, zu hören Montag um Mitternacht auf FM4 und schon ab 22 Uhr überall, wo es Podcasts gibt.

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