FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Szenenbild aus dem Film "Last Night in Soho"

UPI

film

„Last Night in Soho“: Ein Monster namens Nostalgie

Bei „Last Night in Soho“ verzichtet Edgar Wright auf seine (visuelle) Trademark-Komik, hyperaktive Inszenierung und männliche Hauptfiguren. Mit Anya Taylor Joy und Thomasin McKenzie in den Hauptrollen legt er einen psychologischen Thriller mit einem Monstrum namens Nostalgie vor.

Von Pia Reiser

Zombies, Aliens, mordende KleinstadtbewohnerInnen, sieben böse Ex-Freunde und Gangsterbosse waren bisher die Antagonisten in den Filmen von Edgar Wright. In seinem neuen Film „Last Night in Soho“ sind beide weiblichen Hauptfiguren gequält von Erinnerungen, Visionen und von Sexismus. Das vielleicht Bemerkenswerteste an „Last Night in Soho“ ist aber das schöne Monstrum namens Nostalgie. Das sehnsuchtsvolle Anhimmeln einer idealisierten Vergangenheit, aber auch das Potential von dekadenalter Popkultur als Baustein der eigenen Identität. Wie hat es Don Draper in „Mad Men“ formuliert? „Nostalgia (...) It’s a twinge in your heart far more powerful than memory alone.“

Zunächst sind die Sixties nur als Poster und in Form von Musik vorhanden: Wir treffen die angehende Modestudentin Eloise (Thomasin McKenzie) in der Gegenwart, ihre „Beats by Dre“-Kopfhörer sind ein deutlicher Hinweis dafür, in welcher Zeit, der Film spielt. Doch Eloise liebt ein anderes Jahrzehnt, als das, in dem sie lebt.

Gleich zu Beginn lässt Wright die junge Frau zu „A World without Love“ von Peter & Gordon durch ihr Zimmer tanzen, in einem selbstgemachten Abendkleid aus Zeitungen. An den Wänden ihres Zimmers hängen Filmplakate von „Sweet Charity“ und „Breakfast at Tiffany’s“, ein Bild von Twiggy und für alle, denen das noch nicht genug Sixties-Referenzen sind, wird die Oma von Eloise von Rita Tushingham gespielt, einer Ikone des britischen Kinos der 1960er-Jahre. Hach, seufzen da nicht nur Old Souls und seufzen gleich nochmal, wenn Eloise - in London angekommen, um Mode zu studieren - ein Zimmer zur Untermiete bei einer Frau bezieht, die von Diana Rigg in ihrer letzten Rolle gespielt wird, noch eine britische Schauspiellegende.

Szenenbild aus dem Film "Last Night in Soho"

UPI

Zurück in die 1960er-Jahre

Das Zimmer, das Eloise hier bezieht, ist nicht ganz günstig, doch zunächst scheint es für Eloise eine wahre Okkasion zu sein, denn kaum ist sie in ihrem Bett eingeschlafen, landet sie - und es ist großartig, dass Wright hier auf Erklärungen, wie das genau funktioniert, verzichtet - auf den Straßen und in den Lokalen des Swinging London in Soho.

Die Autos sind Designwunder, die Menschen elegant gekleidet, geraucht wird an jeder Ecke. Plakate kündigen „Thunderball“ an, es ist also, falls man der Ausstattung nächtlicher Zeitreisen/Visionen trauen kann, das Jahr 1966. Dieser erste Trip von Eloise von unter der Tuchent rein in die surrende, flirrende, aufregende Londoner Nacht gehört mit zu den besten Kinomomenten des Jahres. Eine verspiegelte Treppe führt schließlich hinunter in einen Club, wo Cilla Black auftritt und eine Frau - in eine Kleinigkeit aus apricotfarbenem Chiffon gekleidet - von einer Karriere als Sängerin träumt.

FM4 Podcast Film Podcast (Filmpodcast)

Radio FM4

Am Montag, 15.11. widmet sich der FM4 Filmpodcast „Last Night in Soho“ und den früheren Filmen von Edgar Wright. Ab Mitternacht auf FM4 - und überall, wo es Podcasts gibt.

Fasziniert folgt Eloise dieser Frau namens Sandy, eine Rolle für die sich Anya Taylor Joy nach der Serie „The Queen’s Gambit“ zum zweiten Mal in die exzellente 60er-Jahre-Panier schmeißt. Mit dem Läuten des Weckers ist Eloise wieder in der Gegenwart, doch die Faszination für Sandy hält an. Die junge Studentin lässt sich die Haare färben, um ihr zu ähneln und gibt in einem Second-Hand-Store ein kleines Vermögen für einen weißen Mantel aus, so wie Sandy ihn getragen hat.

Die Darstellung der Faszination für eine vergangene Epoche bzw. deren in der Popkultur weitergetragene Hochstilisierung, gehört zu den schönsten Momenten von „Last Night in Soho“. Das Tempo passt Wright dem Thema - und dem Genre - an. Die Hyperaktivität, die neben vielen anderen Dingen seine Filme bisher geprägt hat, ist hier nicht zu finden. Auch nicht der ganz eigene Humor, der von „Shaun of the Dead“ bis „Scott Pilgrim vs the World“ ein Markenzeichen der Wright-Filme war - und auch in „Baby Driver“ wenn auch zarter dosiert, noch vorhanden war.

Aber während eben Gangstergeschichten, Zombie-Apokalypsen und Alieninvasionen auch mit Komik zu erzählen sind, ist dafür in einem psychologischen Thriller, der gegen Ende mit dem Horror liebäugelt, kein Platz. Und zu dem wird „Last Night in Soho“, nachdem der Beginn fast ein „Coming of Age“-Szenario antäuscht, spätestens dann, wenn Eloise’ nächtlichen Ausflüge in die Vergangenheit alles andere als das Erfüllen einer nostalgischen Sehnsucht sind. Der Sexismus der 60er-Jahre, der auch bei der exzellenten Serie „Mad Men“ die stylische und anziehende Oberfläche stets gebrochen hat, zeigt auch in „Last Night in Soho“ seine hässliche Fratze. Und der Horror wartet nicht nur nachts auf Eloise, auch untertags plagen sie Visionen von Morden und unheimlichen Männern.

Szenenbild aus dem Film "Last Night in Soho"

UPI

Die dunklere Seite der Sixties, die man zugunsten der eleganten und auf allen Ebenen stilsicheren Seite dieses Jahrzehnts gern vergisst, auf die verweist Wright schon in der ersten Szene. Das Plakat von „Breakast at Tiffany’s“ im Zimmer von Eloise beschwört die zeitlose Eleganz von Audrey Hepburn in dem Film aus dem Jahr 1964, kaum jemand denkt bei dem Film daran, dass Hepburns Figur Holly Golightly ein Call Girl ist und weder sie noch der Film in die Valentinstag-Repräsentationsrolle passen, in die sie gerne gepackt werden.

Von Polanski bis Clouzot

Wenn die Bedrohung so greifbar, aber nur für Eloise sichtbar ist, wenn das Zuhause keine Sicherheit mehr bietet, dann wird der Film sichtbar, den Wright als einen der größten Einflüsse auf „Last Night in Soho“ nennt: Roman Polanskis „Repulsion“ mit Catherine Deneuve, die von einem Trauma innerhalb eines Wochenendes in den Wahnsinn getrieben wird. Die vielleicht visuell schönste Referenz ist eine in rotes und blaues Licht getauchte Anya Taylor Joy mit einem glitzernden Gesicht, so wie Romy Schneider in „L’Enfer“.

Das Verquirlen von Referenzen, hypnotischen Sequenzen, exzellenten Songs und einer immer größer werdenden Düsternis gelingt Edgar Wright vor allem in der ersten Stunde ganz grandios, der zweiten Hälfte fehlt ein wenig die atemlos machende Dichte, die Wrights Filme sonst von der ersten bis zur letzten Sekunde ausmachen.

Szenenbild aus dem Film "Last Night in Soho"

UPI

Großes Pop-Kino

Dennoch ist „Last Night in Soho“ großes Pop-Kino voll leuchtender Leinwand-Momente, das seine Abrechnung mit blinder Nostalgie passenderweise mit einem unwiderstehlichen Soundtrack ausstattet und neben Tushingham und Rigg spaziert auch noch Terence Stamp durch die Straßen von London. Schon während des Films weiß man, dass man in dem Moment, wo sich das Mysteriöse auflösen wird, wo das interessante Geheimnis von zwei mittelguten Twists und einem reichlich überladenen Showdown abgelöst wird, ein bisschen enttäuscht sein wird. Dann reicht aber eine eigene kleine Zeitreise im Kopf zurück zu den hypnotischen Szenen des Films oder zu dem Moment, in dem Anya Taylor Joy „Downtown“ singt und alles ist vergeben und vergessen. Weil wie hat es Douglas Coupland so schön formuliert: Nostalgia is a weapon.

„Last Night in Soho“ startet am 11.11.2021 in den österreichischen Kinos

mehr Film:

Aktuell: