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Liebe hinter Mauern: Das überzeugende Gefängnisdrama „Große Freiheit“

Am 19. November startet „Große Freiheit“ in den österreichischen Kinos. Das vielfach ausgezeichnete Gefängnisdrama des Regisseurs Sebastian Meise erzählt die Biografie eines schwulen Mannes im Nachkriegsdeutschland. Seine Homosexualität bringt ihn immer wieder ins Gefängnis.

Von Philipp Emberger

Häftlingsnummer: 177245. Vom KZ der Nazis wird Hans Hoffmann (Franz Rogowski) von den Alliierten direkt ins Gefängnis gesteckt. Der junge Mann muss seine Reststrafe absitzen. Sein Verbrechen: Homosexualität. Es bleibt im Laufe der 116 Filmminuten aber nicht Hans einziger Gefängnisaufenthalt.

In drei Zeitebenen nähert sich „Große Freiheit“ dem Leben des schwulen Mannes. Die Konstante dabei ist das Gefängnis. Die Entscheidung, Hans’ Biografie anhand seiner Gefängnisaufenthalte zu erzählen, erscheint logisch. Im FM4-Interview erzählt Regisseur Sebastian Meise, dass es zwar erste Drehbuchversionen gab, die mehr außerhalb der Gefängnismauern gespielt haben, aber „wir sind dann immer mehr draufgekommen, dass das Leben unserer Hauptfigur Hans eigentlich mehr oder weniger das Gefängnis ist. Es steht halt für das Verboten-Sein, weil es ja auch so abstrus an seinem Dasein ist, dass in dem Moment, wo er seine Strafe abgesessen hat, ist er eigentlich schon wieder verfolgt. Er kann ja nicht aufhören zu sein, wer er ist. Es wird ihm sozusagen sein Leben verboten.“

Historisch präziser Film

„Große Freiheit“ kommt mit viel Präzision daher. Thomas Reider hat gemeinsam mit Regisseur Sebastian Meise das Drehbuch geschrieben. Bereits in den ersten Filmminuten wird beispielsweise klar, dass Hans kein Neuling im Gefängnisalltag ist. Er kennt die Regeln in der hierarchischen Gefängnisordnung. Er weiß, dass die wegen Homosexualität verurteilten Männer, die „175er“, nur an der Mauer entlang im Hof stehen dürfen, und dass jeder Kontaktversuch zu anderen Häftlingen Konsequenzen hat. Stück für Stück setzt sich so die betroffen machende Geschichte zusammen.

Im FM4-Interview erzählt Regisseur Meise, dass der Ausgangspunkt für den Film Berichte von schwulen Männern waren, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges von den Konzentrationslagern der Nazis direkt ins Gefängnis gebracht wurden, um ihre Reststrafe abzusitzen. Für den Film haben die beiden dann auch mit Betroffenen gesprochen, die in den 60ern noch wegen dem als „Schwulenparagraph 175“ bekannten Gesetzesparagraphen im Gefängnis gelandet sind.

Aus Scham haben die betroffenen Männer ihre tragische Vergangenheit teilweise auch vor ihren Partnern geheim gehalten. Versatzstücke dieser Gespräche finden sich nun in „Große Freiheit“ wieder und machen den Gefängnisfilm zu einem gleichermaßen historisch präzisen und aufwühlenden Werk. „Große Freiheit“ ist nicht nur einer der besten österreichischen Filme des Jahres, sondern auch einer der wichtigsten.

Filmstill "Große Freiheit"

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Hans (Franz Rogowski) und Viktor (Georg Friedrich)

Wichtiges Stück queerer Geschichte

Meise erzählt mit seinem Gefängnisfilm von einem wichtigen Stück queerer Geschichte. Die Paragraphen 175 in der BRD bzw. 129 in Österreich haben über lange Zeit homosexuelle Menschen diskriminiert und verfolgt. Zwar bezog sich §175 auf homo- und bisexuelle Männer, während in Österreich mit §129Ib generell sexuelle Handlungen gleichgeschlechtlicher Personen verfolgt wurden, die gesellschaftliche Stimmung war für homosexuelle Menschen aber überall nicht einfach.

Die staatliche Verfolgung wird auch gleich zu Beginn des Films auf den Punkt gebracht. Zu sehen sind Super-8-Filmaufnahmen, gedreht auf öffentlichen Männertoiletten. Dort haben sich schwule Männer getroffen und sind sich näher gekommen. Der Staat hat sie dabei heimlich bespitzelt, gefilmt und mit den gemachten Filmaufnahmen ins Gefängnis gesteckt.

Plakat zu Große Freiheit

Freibeuter Film

Die Diskriminierung hielt lange an. Erst 1994 wurde der §175 in Deutschland, unter dem auch Hans wegen „widernatürlicher Unzucht“ verurteilt wurde, endgültig abgeschafft. In Österreich wurde der entsprechende Paragraf (129§Ib) in den 1970ern in vier neue Bestimmungen aufgeteilt, Teile davon galten bis ins Jahr 2002. Es ist ein Leid, das für Viele in unserer Gesellschaft noch sehr nahe liegt.

Brillanter Cast

Bereits im Vorfeld gab es viele Auszeichnungen für „Große Freiheit“. Der Film gewann bei den Filmfestspielen in Cannes den Jurypreis in der Kategorie Un Certain Regard, ist Österreichs Oscar-Kandidat bei der anstehenden Preisverleihung im Februar und hat beim Europäischen Filmpreis bereits die ersten Preise abgeräumt, darunter für die Beste Kamera und die Beste Filmmusik. Franz Rogowski darf noch auf eine Auszeichnung als bester Hauptdarsteller hoffen, die Preise werden am 11. Dezember verliehen.

Zwischen der diskriminierenden Justiz geht es in dem Gefängnisdrama aber auch um Freundschaft, Liebe und Hoffnung an einem hoffnungslosen Ort. Bei jedem Gefängnisaufenthalt trifft Hans immer wieder auf Viktor (Georg Friedrich). Von der ersten Schlägerei weg entwickelt sich zwischen den Männern eine schön anzusehende Beziehung. Franz Rogowski als Hans und Georg Friedrich als Viktor funktionieren als Spielduo hervorragend.

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Thomas Prenn (Oscar) und Franz Rogowski (Hans) in „Große Freiheit“

Rogowskis Figur setzt sich vor allem durch die Beziehungen zu anderen zusammen. Zwar sind es vor allem Rogowski und Friedrich, die dem Film ihren Stempel aufdrücken, aber auch der Shootingstar und Filmpreisträger Thomas Prenn und der deutsche Schauspieler Anton von Lucke sind in dem Film zu sehen. Sie geben in den jeweiligen Zeitebenen die Liebespartner von Hans und ergänzen den Cast auf hervorragende und intime Weise.

„Große Freiheit“ startet am 19. November in den österreichischen Kinos, wird aber aufgrund des anstehenden Lockdowns ab 22. November nur kurz über die große Leinwand flimmern. Eine After-Lockdown-Notiz für den Film lohnt sich in jedem Fall.

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