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Die Aufdrängung

Suhrcamp

Sehr strange, sehr gut: „Die Aufdrängung“ von Ariane Koch

„Gast und Fisch bleiben kaum drei Tage frisch“, sagt ein Sprichwort. Wenn ein Gast also zu lange bleibt, kann der unangenehm werden. So auch im Ronan-Debüt „Die Aufdrängung“ von Ariane Koch. Eines der besten von 2021.

Von Zita Bereuter

Ein kleines feines Büchlein, das leicht und gut in der Hand liegt. Auf dem Schutzumschlag streicht eine Hand über Haar oder ein Fell. Tatsächlich wird in diesem Büchlein oft gegen das Fell gestrichen und die Ich-Erzählerin ist widerspenstig und böse.

„In der Kleinstadt kenne ich alle, aber tue meistens so, als kenne ich keinen.“ Die Ich-Erzählerin lebt in einem zu großen Haus in einer zu kleinen Stadt neben einem pyramidenförmigen Berg. Schon längst hat sie wegziehen wollen, bleibt aber aus Protest. „Ich bin das allerälteste Fossil und hasse diese Kleinstadt so sehr, dass ich mich an ihr rächen werde, indem ich nie wirklich von hier weggehe, auch wenn ich ständig so tue, als ginge ich weg.“

Abwechslung bringt da ein unerwarteter Gast. Seine Ankunft fasziniert die Ich-Erzählerin anfangs. Bald aber nervt er. „Seit des Gastes Ankunft arbeite ich an einem Song namens Du musst jetzt gehen, dabei kann ich weder singen noch ein sonstiges Instrument außer Blockflöte.“

Die Aufdrängung

Suhrkamp

„Die Aufdrängung“ von Ariane Koch ist 2021 in der edition suhrkamp erschienen.

Der Gast scheint sie nicht zu verstehen. Er spricht nicht ihre Sprache, hat eine schwierige Geschichte und kann es der Gastgeberin nie recht machen. Die hegt zwischen Angst und Selbsthass dunkle und böse Gedanken. „Ich bin zunehmend der Meinung, dass es dem Gast am besten geht, wenn er von harter Hand geführt wird und also an den Strukturen entlang in die Höhe wachsen kann.“

Dabei weiß die Ich-Erzählerin sehr wohl, was Gastfreundschaft bedeuten würde und was von ihr erwartet wird.

Von der britisch-indischen Autorin Priya Basil erschien 2019 der feine Band „Gastfreundschaft“. Darin schreibt sie u.a. von Gastfreundschaft in unterschiedlichen Kulturen und angelehnt an Derrida von der Herausforderung bedingungsloser Gastfreundschaft. Die Ich-Erzählerin bei Ariane Koch ist das Gegenteil: viele Bedingungen, lose Gastfreundschaft.

Mit den gesellschaftlichen Erwartungen ringt die Ich-Erzählerin ebenso wie mit sich und ihrer Familiengeschichte. Und auch wenn der Gast nie selbst spricht, lernt man ihn ebenso wie die Gastgeberin mit ihren Problemen und Ängsten kennen. Schräg, merkwürdig und einsam sind sie beide – der Gast und die Gastgeberin. Und wären nicht immer kleine Hinweise auf die Schweiz (wie etwa Faserpelz = Fleece), so könnte diese Aufdrängung auch gut im Umfeld von Twin Peaks passieren oder in der Nähe von Kafka. Jedenfalls weit weg von jeder Komfortzone. Der Inhalt ist irgendwie unangenehm, er reibt und verstört. Aber der lässige Ton, mit dem die Gastgeberin sprachlich versiert locker über Abgründe hinwegerzählt, ist beeindruckend.

Ariane Koch, geboren 1988 in Basel, studierte unter anderen Bildende Kunst und Interdisziplinarität. Mehrfach hat sie im Kunstraum Niederösterreich ausgestellt. Sie schreibt – auch in Kollaboration – Theater- und Performancetexte, Hörspiele und Prosa. Die entstandenen Texte wurden vielfach aufgeführt (etwa auch im Schauspielhaus Wien) und ausgezeichnet.

Die Aufdrängung ist ihr Debütroman und überzeugt mit einer eigenwilligen Sprache, mit überraschenden Wendungen und mit gutem Witz. Ariane Koch erinnert an Ferdinand Schmalz’: „Mein Lieblingstier heißt Winter“. Beide kommen sie vom Theater, beide schreiben in einer eigenen Sprache und beide versehen ihre schrägen Figuren mit gutem Humor.

„Die Aufdrängung“ von Ariane Koch ist eines der besten Debüts von 2021: Sehr strange. Sehr komisch. Sehr gut.

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