FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Ronja von Rönne

Mehran Djojan

Ronja von Rönnes Roman „Ende in Sicht“ ist ein Mental-Health-Roadtrip

Von den einen gehypt, von den anderen gehasst: Ronja von Rönne hat in ihrer siebenjährigen Karriere als Autorin, Journalistin und Moderatorin immer wieder provoziert. Mit „Ende in Sicht“ hat die Berlinerin nun ihren zweiten Roman veröffentlicht - Suizid und Depression stehen dabei im Mittelpunkt.

von Michaela Pichler

Als Ronja von Rönne 2015 einen Artikel für die Welt schreibt, erntet sie einen riesigen Shitstorm. In „Warum mich der Feminismus anekelt“ hat sich Rönne damals mit ihren 23 Jahren als Anti-Feministin inszeniert, sich gegen eine Quote ausgesprochen und behauptet, „Frausein“ noch nie als Nachteil erlebt zu haben (Nina-Proll-Vibes incoming). Von Solidarität, Privilegien und intersektionalem Feminismus dürfte Rönne damals noch nichts verstanden haben. Sie bekam Beifall von rechten Kreisen und legte sich mit Kolleginnen wie Stefanie Sargnagel oder Margarete Stokowski an. Seitdem wurde Ronja von Rönne in der deutschsprachigen Literaturszene immer wieder als „It-Girl“ verkauft. Doch nicht aufgrund ihrer Literatur, wie ihres mittelmäßigen ersten Romans „Wir Kommen“. Sondern vor allem wegen ihrer Persona, die aneckt und provoziert, in Wandas Musikvideo zu „Bussi Baby“ mitspielt, beim Bachmannpreis liest und tausende Follower auf Social Media anzieht.

Genau dort, in den Sozialen Netzwerken, verschwimmen die Grenzen zwischen Privatperson Rönne und Hype-Persona immer wieder. Auf ihrer Instagram-Seite sudelheft schreibt sie zum Beispiel über ihre psychische Gesundheit. Denn irgendwann konnte Ronja von Rönne ihre Lesungen und Medientermine nicht mehr einhalten und hat sich selbst in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Ihren neuen Roman „Ende in Sicht“ habe sie nicht nur über Depressionen geschrieben, sondern vor allem trotz ihrer eigenen Erkrankung.

Ronja von Rönne - "Ende in Sicht"

dtv - Ronja von Rönne

Ronja von Rönnes zweiter Roman „Ende in Sicht“ ist gerade bei dtv erschienen.

Letzte Reisen auf der Autobahn

Hella und Juli haben in „Ende in Sicht“ beide dasselbe Ziel: Am Ende ihrer Pläne sollten sie sich endgültig vom Leben verabschiedet haben und nicht mehr aufwachen. Die fünfzehnjährige Juli hat sich dafür eine Autobahnbrücke ausgesucht. Wie es der Zufall will, führt diese Brücke genau über die Straße, auf der die 69-jährige Hella gerade am Weg in die Schweiz ist.

„Das Beste, dachte sie so leise wie möglich, denn der Gedanke war ihr vor ihr selbst peinlich, das Beste war, dass sie in der Schweiz zwei Termine hatte: einen zum Sterben und einen einige Stunden davor: zum Schminken und Frisieren.“

Während Hella ihrem Sterbehilfetermin entgegen fährt, springt Juli von der viel zu niedrigen Brücke und landet – natürlich – vor Hellas bremsenden Wagen. Der Suizidversuch misslingt und die Teenagerin prellt sich stattdessen das Knie. Nun beginnt in „Ende in Sicht“ ein ungeplanter Roadtrip, der Juli und Hella durch die deutsche Provinz führt.

„Auf sonderbare Weise hatte das Schicksal sie aneinander gekettet, und so einfach kamen sie nicht voneinander los.“

Die Angst in der Brust und das Schneckenhaus in der Jackentasche

Die beiden Protagonistinnen geraten während ihrer Reise immer wieder aneinander. Nur die Einsamkeit scheint ein verbindender, gemeinsamer Nenner zu sein. Hella ist eine gescheiterte Schlagersängerin, die ihrem einzigen Hit vor Jahrzehnten nachtrauert. Julis Teenager-Alltag gestaltet sich hingegen aus Panikattacken, Hilflosigkeit und Depression. Da helfen sogar die Tipps der Schulpsychologin nicht mehr. Julis alleinerziehender Vater ist auch keine Unterstützung und die Mutter ist schon lange abwesend. Als Juli noch ein kleines Kind war, verlässt sie die Familie. Nun taucht die Mutter nur noch in den erfundenen Geschichten des Vaters auf – darin arbeitet sie als reisende Schneckenforscherin, die in den entlegensten Orten dieser Welt nach den schleimigen Weichtieren sucht. Das glaubt ihm mittlerweile nicht mal mehr Juli, die trotzdem immer ein Schneckenhaus bei sich trägt.

„Die Panik war eine altbekannte Feindin und Julis Waffenarsenal gegen sie mit den Jahren immer größer geworden. Früher hatte es geholfen, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die gut waren. Ihre Noten. Die neue Englischlehrerin. Das Ende des Schuljahres. Aber auch die Panik hatte im Laufe der Zeit immer weiter aufgerüstet, war irgendwann immun geworden gegen Tatsachen oder positives Denken. Stattdessen hatte sie sich schwer bewaffnete Alliierte gesucht. Und so gesellten sich zur Panik irgendwann Selbsthass, Verzweiflung, Machtlosigkeit.“

Ronja von Rönne greift in „Ende in Sicht“ ein wichtiges Thema auf: Laut einer UNICEF-Studie leidet knapp ein Fünftel aller Jugendlichen in Österreich unter psychischen Belastungen. In Europa ist Suizid die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen zwischen 10 und 19 Jahren. Die Corona-Pandemie hat diese Problematik noch verschlimmert.

„Alles erfunden, aber alles empfunden.“

Diesen Satz hat sich Ronja von Rönne von einem (Literatur)-Freund geliehen, Benedict Wells. Und mit diesem Zitat geht sie in der Danksagung des Romans auf ihren ganz persönlichen Zugang zur Thematik ein. Und auch schon früher hat die Autorin und Journalistin über ihre eigene Depression und gegen ein gesellschaftliches Stigma auf Social Media angeschrieben. In ihrer Zeit-Kolumne appellierte sie zuletzt außerdem an die Gesellschaft, Depressionen nicht als Künstler*innen-Krankheit zu romantisieren.

Wer akut Hilfe braucht, kann direkt bei folgenden Hotlines anrufen:

Österreichweit:

Für Studierende:

Burgenland:

Kärnten:

Niederösterreich:

Oberösterreich:

Salzburg:

Steiermark:

Tirol:

Vorarlberg:

Wien:

Von provokativ zu platt?

Literarisch hat sich Ronja von Rönne mit dem Tod auch schon in ihrem ersten Roman „Wir Kommen“ auseinandergesetzt. Damals stand die Trauer der Hinterbliebenen im Zentrum der Geschichte. Ihr Erstlingswerk beginnt sogar mit dem fast gleichen Satz - „Maja ist nicht tot“, „Ende in Sicht“ startet mit „Juli war nicht tot“. Im neuen Roman kommen nun zwei suizidale Protagonistinnen selbst zu Wort. Trotz der schweren Thematik versucht Ronja von Rönne, aus Julis und Hellas gemeinsamer Geschichte eine Komödie zu spinnen. Das ist an manchen Stellen zwar unterhaltsam, viel öfter aber wirkt das eher platt und pathetisch. Die Mischung aus Roadtrip und Generationenkonflikt kennt man in der aktuellen deutschsprachigen Literatur auch schon – während zum Beispiel Gertraud Klemms „Hippocampus“ in dieser Konstellation noch überrascht hat, wirken Rönnes Roman und ihre Figuren (besonders die ältere Protagonistin Hella als gefallenes Popsternchen-Klischee) viel konstruierter. Da ist das Ende von „Ende in Sicht“ schon nach den ersten Kapiteln vorhersehbar.

mehr Buch:

Aktuell: