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„Belfast“: Kenneth Branagh erzählt von seiner Kindheit

Wer sich nach dem enttäuschenden „Death on the Nile“ mit Regisseur Kenneth Branagh versöhnen will, sollte sich „Belfast“ anschauen. Branagh erzählt hier von seiner Kindheit vor dem Hintergrund des beginnenden Nordirlandkonflikts. Jamie Dornan sieht man hier in 50 shades of grey, vulgo: schwarz-weiß.

Von Pia Reiser

Eine seltsame Kleinigkeit haben die beiden recht unterschiedlichen Filme von Kenneth Branagh, die momentan in den Kinos laufen, doch gemeinsam. Wo in „Death on the Nile“ Ägypten stellenweise so eingefangen wird, als wäre man in einem Spot von Egyptair, so beginnt auch „Belfast“ mit erstaunlich generischen Aufnahmen der titelgebenden Stadt. Nach den Bestrebungen, den nordirischen Städte-Tourismus anzukurbeln, schwebt die Kamera aber dann über eine Mauer, die Bilder werden schwarz-weiß und wir befinden uns im Jahr 1969. In einer ruhigen Straße spielen Kinder, ältere Herren radeln vorbei, man grüßt sich, man winkt einander zu, man kennt sich. Das fast „Wimmelbuch“-artige Idyll wird jäh unterbrochen. Vermummte Menschen rennen mit Fackeln durch die Straße, werfen mit Steinen, ein Auto wird in Flammen gesetzt. Mit großen Augen starrt der sommersprossige 9-jährige, den alle Buddy nennen, auf den Ausbruch von Gewalt vor seiner Haustür, bevor ihn seine Mutter ins Haus holt.

Es ist der Beginn der sogenannten „Troubles“, ein recht euphemistischer Name für den Nordirlandkonflikt. Buddy lebt mit seinen Eltern, seinem Bruder und den Großeltern in einem weitgehend protestantischen Viertel, die Gewalt an diesem Nachmittag hat sich gegen die katholischen Familien gerichtet. Für über 30 Jahre tobt der blutige Konflikt, in „Belfast“ ist er im Grunde nur ein lautes Hintergrundrauschen. Denn – wie schon die Szene der Gewalteskalation in der kleinen Straße andeutet – in der wir Buddys groß aufgerissene Augen sehen, ist dies eine Geschichte, die aus dem Blickwinkel eines Kindes erzählt wird. Kenneth Branagh, der bisher gerne Shakespeare-Stücke, Marvel-Comics und Agatha Christie-Romane verfilmt hat, hat hier auch das Drehbuch geschrieben und erzäht eine autobiografisch gefärbte Geschichte vom Aufwachsen in Belfast Ende der 1960er Jahre. (Und so sah Branagh damals aus).

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Mit Verwunderung erlebt Buddy nun, wie manchmal Panzer durch die Straße rollen und Barrikaden errichtet werden und wie in den Fernsehnachrichten von weiteren Eskalationen berichtet wird, aber im Kindheitsalltag nimmt der schwelende Konflikt immer nur punktuell eine wichtige Stellung ein. Weitaus wichtiger für Buddy ist, sich endlich mit dem Mädchen mit den langen Haaren aus seiner Klasse anzufreunden, Western im Fernsehen anzuschauen, Comics zu lesen – und mit Granny und Pop Zeit zu verbringen. Judi Dench und Ciaran Hinds spielen das charmant-schrullige Großelternpaar – und beide sind mit einer Oscarnominierung bedacht worden.

Sechsmal ist „Belfast“ insgesamt oscarnominiert, und weil Subtilität nicht des Kenneth Branaghs Stärke ist, schreit einem „Belfast“ auch in nicht wenigen Momenten entgegen, dass es ein Oscarfilm ist. Die Kombination aus den Erinnerungen eines Regisseurs an seine Kindheit mit dem Spielort als Titel, die in schwarz-weiß auf die Leinwand gebracht werden, lässt zunächst an Alfonso Cuarons „Roma“ denken, doch „Roma“ ist sowohl erzählerisch als auch visuell der komplexere und ungewöhnlichere Film.

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„Belfast“ ist konventionell, aber nicht ohne Charme. Dass Branagh lieber unterstreicht und Rufzeichen setzt, als etwas nur andeutet kann man als seine Schwäche oder eben seinen Stil sehen. Im Gegensatz zu Branaghs anderen Arbeiten als Regisseur – „Death on the Nile“, „Cinderella“, „Thor“, „Much ado about Nothing“ – ist „Belfast“ ohnehin sehr viel ruhiger, geerdeter und ohne Ausschweifungen. Opulent ist hier im Grunde nur die Putzigkeit, mit der Branagh sein Kindheits-Alter Ego Buddy (Jude Hill) inszeniert, da schrammt er oft nur knapp an der rotbäckigen und sirup-klebrigen Niedlichkeit von Zwieback-Werbungen aus den 1950er Jahren vorbei. Branagh, bei dem der Vorwurf der Eitelkeit auch gern im Raum steht, zieht hier dezent den Hut vor dem eigenen Ego, wenn Buddy ein „Thor“-Comic liest und so das Kinopublikum an seine Marvel-Verfilmung erinnert. Comics, Fernsehen und vor allem Kinobesuche sind große Glücksmomente in dieser Kindheit. Die ganze Familie sitzt gebannt vor der großen Leinwand und schaut sich „One Million Years B.C.“ und „Chitty Chitty Bang Bang“ an.

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Eventuell könnte man es Branagh auch als Eitelkeit auslegen, dass er als Eltern von Buddy irrsinnig attraktive SchauspielerInnen gecastet hat: Caitriona Balfe und Jamie Dornan sind quasi die Beckhams des protestantischen Arbeiterviertels, aber viel wichtiger, die beiden sind grandios als Paar, das versucht, unter dem Nordirlandkonflikt, Steuerschulden, Krankheit in der Familie und der im Raum stehenden Frage, warum man nicht einfach das Land verlässt, nicht zu zerbrechen. Es sind der großartige Cast und die wunderschöne Kameraarbeit von Branaghs langjährigem Kameramann Haris Zambarloukos, die einen ähnlich staunend vor der Leinwand sitzen lassen, wie Buddy.

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„Belfast“ startet am 24. Februar 2022 in den österreichischen Kinos

Sentimental, aber ohne Pathos pinselt Branagh eine sehr zärtliche Familiengeschichte auf die Leinwand und beantwortet nebenbei auch die Frage, wieviele Songs von Van Morrisson zuviel für einen Film sind. Die Antwort: 11. Ganze zehn Stück hat Branagh in „Belfast“ untergebracht. In den Ohren hat man beim Verlassen des Kinosaals dann allerdings den Song „Everlasting Love“, den Jamie Dornan im Film zum Besten gibt.

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