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Filmstill aus "Morbius"

2021 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

„Morbius“ leidet an Morbus Marvel

Einer der Gegenspieler von Spiderman bekommt jetzt seinen eigenen Film: Ex-Joker Jared Leto wechselt vom DC- ins Marvel-Universum und porträtiert „Morbius“, das Comic-Pendant zu Dr. Jekyll & Mr. Hyde.

Von Jenny Blochberger

Gefühle in dem*der Betrachter*in auszulösen ist das vorrangige Ziel von Kunst. Nun schwören Fans selbst der seichtesten Schlager, dass ihre Lieblingsmusik bei ihnen Gefühle auslöst, egal, wie sehr sie am Reißbrett entworfen wurde. Denn die Gefühle sind ja echt: nur werden sie nicht von der Musik an sich ausgelöst, sondern vom Bedienen bekannter Elemente, die für bestimmte Gefühle stehen und diese triggern. Takt, Melodie und Text brauchen nur einem oft verwendeten Muster zu folgen, schon löst die Kombination Emotionen aus.

Ähnlich verfahren oft - nicht immer! - Comic-Verfilmungen. Comic-Universen haben noch dazu den Vorteil, dass es zu ihren Figuren so viel Backstory gibt, dass allein dadurch gefühlte Tiefe entsteht - tatsächlich handelt es sich dabei aber eher um Nerdwissen darüber, welche Figur in welcher Weise schon einmal auf eine andere Figur getroffen ist. Morbus Marvel sozusagen - was nicht ganz fair ist, weil das DC-Universum mindestens so stark an dieser Krankheit leidet. Aber Alliterationen sind nun mal in der Comicwelt Trumpf - Pech gehabt, Marvel.

Vom todkranken Genie zum Supervampir

Der alliterative Dr. Michael Morbius ist im Marvel-Universum ein Gegenspieler Spidermans, letzterer kommt aber in „Morbius“ erst mal nicht vor. Jared Leto spielt Morbius als romantisch-tragischen Helden in der Tradition von Lord Byron: lange dunkle Haare umrahmen sein hübsches, leichenblasses Gesicht, wegen seiner seltenen Blutkrankheit kann er sich nur mühsam mit Krücken fortbewegen. Doch ein brillanter Geist lebt in diesem verfallenden Körper: Soeben hat er den Nobelpreis für Medizin für seine Erfindung des künstlichen Blutes verliehen bekommen (die Vampire in „True Blood“ bedanken sich herzlich); unermüdlich forscht er weiter an einem Heilmittel für seine Krankheit.

Filmbilder zu "Morbius"

2021 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

„Morbius“ (Regie: Daniel Espinosa ) läuft ab 01.04.2022 im Kino.

Der Durchbruch kommt aber nicht ohne bitteren Preis: Ausgerechnet ein aus Fledermäusen gewonnenes Serum stellt den Doktor körperlich wieder komplett her, dafür muss er aber in regelmäßigen Abständen Blut zu sich nehmen - und zwar von lebenden Menschen (Blutkonserven erfüllen leider nicht den gleichen Zweck, sonst hätten wir keine Story). Nun ist Morbius hin- und hergerissen zwischen seinem Blutdurst und dem Versprechen eines Lebens als nicht nur gesunder, sondern sogar mit Superkräften ausgestatteter Mensch - der sich vielleicht sogar ein Liebesleben gönnen dürfte.

Die allerhöchsten aller Gefühle

Man würde mehr mit Morbius und seinem inneren Zwiespalt mitfühlen, wenn seine Beziehungen mit echter Bedeutung aufgeladen wären. Doch sie sind reine Abziehbilder echter menschlicher Beziehungen. Morbius’ lebenslanger bester Freund Milo etwa (ein spielfreudiger Matt Smith) wirft binnen Sekunden ihre innige Freundschaft über Bord, um den Plot schneller voranzubringen. Die schöne Kollegin Martine (Adria Arjona) hat überhaupt kein eigenes Charakterprofil außer „love interest“ und Stichwortgeberin. Der allein lebenden Wissenschaftlerin eine Katze als Haustier zu verpassen, mag als schwacher Versuch der Charakterisierung gedacht sein, ist aber ein dermaßen müdes Klischee, dass es eher das Gegenteil bewirkt.

Und so drängt uns „Morbius“ großes Gefühlskino auf, ohne die Gefühle tatsächlich zu liefern. Die Düsterkeit der Stadt - der Großteil des Films spielt sich nachts ab - steht für die Hoffnungslosigkeit der menschlichen Existe... jaja eh wie immer *gähn*.

Filmstill aus "Morbius"

2021 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Dass dabei in-universe-Regeln immer wieder gebrochen werden, ist da auch schon wurscht. Kann man die Superkräfte nun nach Belieben ein- und ausschalten oder nicht? Lange werden wir mit dem tragischen Umstand konfrontiert, dass Morbius sich nicht unter Kontrolle hat, wenn er sich verwandelt - Milo aber kann von Anfang an jederzeit zwischen Mensch und Monster changieren, wie es ihm beliebt. Und ob es nun tödlich ausgeht, von einem dieser „Living Vampires“ attackiert zu werden oder nicht, sollte nicht davon abhängen, wie wichtig das Opfer für den Plot ist.

Wo bleibt der Marvel-Humor?

Die Comicverfilmungen von Marvel und DC sind - jedenfalls in der letzten Dekade - durch eine einfache Faustregel grob zu unterscheiden: dunkel und viel Regen = DC, bunt und viel Wortwitz = Marvel. „Morbius“ fühlt sich ob seines Bierernsts mehr wie ein DC-Film an. Die Figur des FBI-Agenten Rodriguez sprüht anfangs ein paar Humor-Funken, die aber bald verglühen. Ein paar Anspielungen wie etwa ein sehr schöner „The Usual Suspects“-Moment müssen als Ersatz für den arg vermissten Wortwitz herhalten, aber dafür gibt es zumindest unfreiwillig komische Momente wie den, als Morbius sagt „I’ve developed a form of echolocation - ‚Bat Radar‘ for the uninitiated.“

Filmstill aus "Morbius"

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Jared Leto gibt eine tadellose Performance, die genau das liefert, was das Drehbuch von ihm will: die Behauptung von Tiefe. Matt Smiths Figur könnte die noch interessantere sein, wird aber auf campy Bösewicht reduziert. Insgesamt ist „Morbius“ ein Fast Film zum zwischendurch snacken, der optisch gut aussieht, aber nicht so richtig satt macht.

Kleines Schmankerl (und Minispoiler) für Marvel-Fans: Ein weiterer Spiderman-Gegenspieler hat in einer von 2 Mid-Credit-Scenes einen Auftritt. Ein Teaser auf das nächste Spinoff, das einen Spiderman-Bösewicht in den Mittelpunkt eines eigenen Films stellt? Man wird sehen.

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