Retrogaming in den 20er Jahren
Wir durchleben eine Zeit, in der es für unsere Psyche absolut notwendig ist, sich zwischendurch aktiv Zeitfenster für Entspannung und Ablenkung freizuhalten. Es ist wohl auch eine Zeit, in der der Blick zurück wohlige Gefühle evoziert: an die eigene Jugend vielleicht oder eine - wenn auch oft nur vermeintliche - harmonische, unschuldigere Epoche.
Computer- und Videospiele sind ein wichtiger Teil dieser Zerstreuung. Vor allem Retrogaming gewinnt seit zwei Jahren zunehmend an Bedeutung, also das Spielen und Wiederentdecken alter Computer- und Videospiele. Das gibt es als Subkultur schon seit den späten 90er Jahren, wo man zum ersten Mal nostalgisch zu den damals ja noch gar nicht weit entfernten, frühen 80er-Jahre-Games zurückgeblickt hat. Seither ist Retrogaming einer von vielen Bereichen der digitalen Spielkultur.
Es ist natürlich nicht nur die Sehnsucht nach einfachen, unmittelbaren Spielerlebnissen, die heute den Reiz ausmachen. Retrogaming hat in Zeiten von Pandemie, Krieg und Klimawandel aus naheliegenden Gründen mehr Relevanz als in den Jahren davor. Früher war zwar nicht alles besser, aber ein bisschen nostalgische Verklärung ist aktuell wohl wichtiger denn je - zumindest bei verhältnismäßig simplen und harmlosen Dingen wie Computer- und Videospielen.
20 Jahre Retrogaming
Der Aufwind von Retrogaming äußert sich in Wiederveröffentlichungen alter Heimcomputer und Spielkonsolen, aber auch in neuen Spielgeräten, die sich ästhetisch und inhaltlich auf historische Vorbilder beziehen. Interessanterweise werden seit nunmehr rund 20 Jahren beim nostalgischen Games-Blick in die Vergangenheit stets die 8- und 16-Bit-Äras in den Fokus genommen: also alles rund um Konsolen und Computer wie NES, C64, Mega Drive oder Atari VCS.

Robert Glashüttner
Rund ums Jahr 2000 ist Retrogaming auch in Form von Musik angekommen und Chiptunes-Sounds sind zu einer eigenen Ästhetik geworden.
Zwar gibt es eine neue Generation von Retrogaming, die sich vor allem durch die Low-Poly-Bewegung äußert und sich visuell und spielerisch auf die frühen 3D-Spiele der Ära Playstation bezieht. Doch der Mainstream der Retrogames-Kultur ist und bleibt in der Rückschau auf die 80er und frühen 90er Jahre verwurzelt. Das führt auch zu einem Staffelwechsel: Nun ist die Beschäftigung mit (sehr) alten Spielen nicht mehr nur den heute 40-55-Jährigen vorbehalten, die damals Kinder und Jugendliche waren, sondern wird auch von jüngeren Generationen entdeckt.
Egret II Mini statt Playstation 5
Ich selbst gehöre jedoch eindeutig dem klassischen Retrogaming-Typus an: Mit heute 43 Jahren bin ich mit dem Philips Videopac G-7400 aufgewachsen, das grobe Pixelwelten auf den ausgemusterten 70er-Jahre-Röhrenfernseher des Spieledachbodens meiner Familie gezaubert hat. Später kam der Game Boy sowie auch ein sehr ernster Bürocomputer (286er PC), mit dem mein Vater ernste Büroangelegenheiten vollziehen wollte, der aber letztlich quasi ausschließlich von mir zum Spielen verwendet wurde.
Bei so einer kindlich-ludischen Prägung ist Retrogaming natürlich immer wieder Thema. Bei allem professionellen und privaten Interesse für die grandiose Vielfalt von zeitgenössischer Computerspielkultur habe ich mich vor ein paar Wochen dann aber doch mit geschwellter Brust umentschieden: Ich wollte keine Playstation 5 mehr, die ja sowieso ständig ausverkauft ist. Stattdessen habe ich mir einen Videospielautomaten bestellt: Das Egret II Mini, ein Miniatur-Nachbau des Originals, das Mitte und Ende der 90er in vielen Spielhallen in diversen Ländern zu finden war. Das Gerät ist nicht billig, aber dafür natürlich ziemlich cool: Man kann dabei etwa den Bildschirm drehen und spielt auf exotischen Eingabegeräten wie einem Trackball oder einem Drehregler. Da kann ein Gamepad, und sei es technisch noch so ausgefuchst, einfach nicht mithalten.
Playdate oder Pocket?
Ein paar Monate davor hatte ich mir bereits das Playdate gekauft bzw. ebenfalls vorbestellt: Es ist eine Art Game Boy für Hipster*innen, komplett in Gelb und mit einer kleinen Kurbel an der Seite. Das Playdate hat einen monochronem Bildschirm und ist technisch äußerst limitiert, was freilich nichts an seiner Attraktivität ändert. Im Gegenteil: Je kompakter und je einfacher, desto besser.

Panic
Das Playdate bietet zwar ausschließlich neue Indiegames, die mit ihren simplen monochromen Grafiken aber starke Retro-Vibes versprühen. Ebenso natürlich wie das Gerät selbst.
Ähnlich begehrt ist das Analogue Pocket, eine hochmoderne (inoffizielle) Neuauflage des Game Boy, auf der jedoch - im Gegensatz zum Playdate - keine neuen Games gespielt, sondern die Klassiker in höchstmöglicher technischer Raffinesse wiedergegeben werden. Wohl auch deshalb, damit es nicht ganz so schmerzt, wenn man die eigene Nostalgie im Kopf einem Reality Check unterzieht. Das ist nämlich die große Falle des Retrogamings: Die eigenen, oft positiv verzerrten Erinnerungen an frühe Videospielerlebnisse halten einem Praxistest 30 Jahre später oft nicht so recht stand. Ausgefuchste Abspielgeräte wie das Pocket halten hier wiederum etwas dagegen.
Zwei Steckmodule in einer Konsole!
Ebenfalls ziemlich gut ist das Evercade VS., eine neue Konsole mit Steckmodulen, die mit ihrem Look in rot und weiß so tut, als sei sie alt. Ist sie natürlich nicht. Auf einem Evercade-Modul ist nicht nur ein Game drauf, sondern immer eine Sammlung an Spielen. Praktischerweise kann man auch zwei Module gleichzeitig ins Gerät stecken, und manchmal auf diese Weise sogar Sonderspiele oder diverse Geheimnisse aktivieren.
In diesen Tagen erscheint auch der Amiga 500 nochmal, der legendäre Heimcomputer aus den späten 80er und frühen 90er Jahren. Der kleine A500 Mini sieht zwar aus wie das Original, Tasten drücken kann man darauf aber nicht. Macht nichts, denn dafür sind eine originalgetreu nachgebildete Amiga-Maus und ein Gamepad im Oldschool-Look sowie natürlich Spieleklassiker wie „The Chaos Engine“, „Alien Breed“, „Stunt Car Racer“ oder „Kick Off 2“ dabei. Weitere Games kann man via USB-Stick einspielen. Kein Zweifel also: Bis jetzt sind die jungen 20er Jahre die perfekte Zeit fürs Retrogaming!
FM4 Spielekammerl-Show: Retrogaming-Edition
In unserem Livestreaming-Format auf Twitch, der FM4 Spielekammerl-Show (jeden Donnerstag ab 17 Uhr), ist heute (Donnerstag, 7. April) Andreas Zahrl, der Betreiber des Computermuseum Kautzen im nördlichen Niederösterreich (FM4 hat berichtet) Co-Host - gemeinsam mit Robert Glashüttner.

Robert Glashüttner
Gast-Host in der FM4 Spielekammerl-Show: Retrogames-Auskenner Andreas Zahrl
Gezeigt und gespielt werden die Geräte Evercade VS. und der A500 Mini. Gemeinsam im Multiplayer treten die beiden dann mit Hilfe des Tools AmigaLive gegeneinander an. Später werden auch noch zeitgenössische Indiegames im Retrolook gespielt, etwa „Below the Ocean“ oder „B.I.O.T.A“.
Stream verpasst?
Kein Problem. Hier geht es zum Stream von Robert Glashüttner und Andreas Zahrl vom 7. April 2022.
Publiziert am 07.04.2022