FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

collage aus filmszenen

filmcoopi/a24/paramount

FILM PODCAST

Kino-Kontroversen: „Top Gun - Maverick“, „Everything Everywhere All At Once“ und „X“

Im neuen FM4 Film Podcast werden Hypes analysiert und hitzig diskutiert. Dabei geht es auch um das Zahnpastalächeln von Tom Cruise, die Nervigkeit von riesigen Bageln und Horror mit Hirn.

Von Christian Fuchs

FM4 Podcast Film Podcast (Filmpodcast)

Radio FM4

Montag Mitternacht auf FM4 - und überall, wo es Podcasts gibt: FM4 Film Podcast

Es ist also wieder einmal passiert. Kollegin Pia Reiser und ich besuchten Pressevorführungen zu aktuellen Filmen - und verließen das Kino mit sehr eindeutigen Eindrücken. Aber auch wenn sich unsere Meinungen stark überschnitten haben, deckten sie sich doch keineswegs mit dem weltweiten Kritikerecho.

Die Mehrzahl der Rezensent*innen feierte das Actionspektakel „Top Gun: Maverick“ und den exzentrischen Indiefilm „Everything Everywhere All At Once“ nämlich hymnisch ab. Während Pia und vor allem meine Wenigkeit mit vielen Aspekten dieser Filme ernsthaft haderten. Nur bei dem Retro-Horrorthriller „X“ korrelierten unsere Blickwinkel auf positive Weise mit den guten Kritiken im Netz.

So ein Kontrast ist natürlich ein spannender Aufhänger für einen FM4 Film Podcast. Warum wird der neue „Top Gun“ gerade jetzt, in Zeiten eines verstörenden Krieges und einer neuen Aufrüstungswelle, so enthusiastisch gefeiert? Steckt da nur der ewig jung wirkende Tom Cruise und ein gesellschaftlicher Hang zur Nostalgie dahinter? Oder doch viel mehr? Und was macht den wahnwitzigen Multiversums-Trip „Everything Everywhere All At Once“ zum angeblichen Pflichtfilm des Jahres? Verpackt diese Nonstop-Raserei der Bilder und Töne nicht eine extrem banale Botschaft hinter hektischen Schnitten? Diskussionsstoff galore für unsere Podcast-Episode.

Szene aus Top Gun

paramount

Der Film zur Aufrüstungswelle

15 Millionen Dollar betrug seinerzeit das relativ kleine Budget von „Top Gun“. Regisseur Tony Scott wollte trotzdem einen Fliegerfilm präsentieren, der mit nie gesehenem Realismus überzeugen sollte. Die Ambition zahlte sich aus. Mit Hilfe des amerikanischen Verteidigungs-Ministeriums konnte auf der Leinwand punkto Schauwerten geprotzt werden. Der Film spielte weltweit an den Kinokassen um die 356 Millionen Dollar ein.

Was machte den enormen Erfolg aus? „Top Gun“ erzählt die Geschichte eines Underdogs, der hoch hinaus will - im wahrsten Sinn des Wortes. Der junge Tom Cruise verkörpert Lieutenant Pete „Maverick“ Mitchell, einen Piloten der US Navy, der ständig im Clinch mit seinen Vorgesetzten liegt. Ein Rebell im Kampf mit dem System, das drückt Knöpfe. Und eine heiße Liebesgeschichte, dachte sich Produzenten-Mogul Jerry Bruckheimer, zieht auch weibliches Publikum an.

Szene aus Top Gun

paramount

Rückblickend ist der Film weder realistisch noch rebellisch. Tony Scott erzählt eine Männerfantasie in schwülstig überzeichneten Bildern wie aus der damaligen Fernsehwerbung. Ltd. Maverick ist der Posterboy eines Soldatentypus, der sich zwar der Maschinerie unterwirft, aber seinem Chef nicht. Ein verlogenes Propaganda-Epos, schimpften bereits 1986 einige Kritiker*innen.

Viel später meldete sich ein prominenter Fan zu Wort. Quentin Tarantino lieferte in einem Filmauftritt den ultimativen Subtext zu „Top Gun“. In Wahrheit sei der Film ein subversives Meisterwerk, weil es darin in versteckter Weise um Homosexualität gehe. Dazu passt das ewige Gerücht um Tom Cruise, der seine sexuelle Orientierung angeblich verbirgt.

2022 sieht alles nochmal anders aus. „Top Gun: Maverick“, das heißerwartete Sequel, lässt sich nicht mit Gay Porn-Zitaten schönreden. Tom Cruise bringt wieder sein Zahnpastalächeln zum Einsatz, diesmal in einem Film, der so unverhohlen und frei von Brechungen das Soldatentum feiert, dass das Pentagon wohl Beifall klatscht. Perfekt gefilmter Military Porn, passend zu einer neuen Welle der Aufrüstung. Pia Reiser sieht das nicht so streng, wie man im Film Podcast nachhören kann.

Szene aus Everything Everywhere All At Once

filmcoopi

Übersättigung als Prinzip

Multitasking ist nicht gesund, sind sich Arbeitsmediziner einig. Das Leben der Waschsalonbesitzerin Evelyn ist dafür ein besonders gutes, weil schlimmes Beispiel. Nervige Kunden, eine kriselnde Ehe, Konflikte mit der Tochter, ein lästiger Vater, die Frau wird von allen Seiten bedrängt. Und dann muss noch die Steuererklärung dringend abgegeben werden.

Everything Everywhere All At Once” startet mit einem Einblick in den ultrahektischen Alltag von Evelyn Wang. Wir leiden mit der tollen Michelle Yeoh fast körperlich mit. Und dieser Anfang ist noch der entspannendste Teil des Films. Denn aus absurden Gründen wird Evelyn in eine Parallelwelt katapultiert. Und noch eine und noch eine. In diesen Welten wird gekämpft, gerannt, gestritten, im atemlosen Stakkato-Takt.

In einem irren Tempo reist und rast die Protagonistin durch das Multiversum. Der Begriff ist spätestens seit dem neuen „Dr. Strange“ Film in aller Munde. „Everything Everywhere All At Once” toppt punkto Wahnwitz aber locker das gesamte Marvel-Universum.

Die Regisseure Daniel Kwan und Daniel Schreinert, genannt The Daniels, sind für Kino mit Dachschaden bekannt. In ihrem Vorgängerfilm „Swiss Army Man“ spielte Daniel Radcliffe eine furzende Leiche auf Selbstfindungstrip. Jetzt haben sie den für viele bizarrsten Film des Jahres geschaffen. Unzählige Genres kollidieren im Sekundenrhythmus, die visuelle und akustische Übersättigung ist Prinzip.

Schaut so das Kino der Zukunft aus? Kann schon sein. Es ist aber auch gut möglich, diesen fast zweieinhalbstündigen Quatsch unerträglich zu finden, so wie eine Achterbahnfahrt, die nur Übelkeit verursacht. Schließlich läuft der ganze selbstzweckhafte Zirkus auf simpelste Botschaften hinaus: Freunde und Familie sind wichtig, irgendjemand da draußen liebt dich. Geht es noch banaler, liebe Regisseure?

X von Ti West

A24

Hommage an eine subversive Zeit

Ein Film begeistert uns dann doch beide, der ebenso wie „Everything Everywhere All At Once“ vom Hipsterstudio A24 produziert wurde. Ein Film, dessen Szenario aus unzähligen Slashermovies bekannt ist: Eine Gruppe unschuldiger junger Leute gerät in eine einsame Gegend - und bekommt es dort mit einem kaltblütigen Killer zu tun. Auch „X“ vom ziemlich lässigen Indie-Regisseur Ti West läuft auf diesen Showdown hinaus.

Aber in diesem Film ist die Reise das Ziel. Soll heißen: Das große Gemetzel im letzten Drittel ist eigentlich der uninteressanteste Teil - was vorher passiert, sollte man aber als Genrefan gesehen haben. Die supere Mia Goth brilliert in der Hauptrolle als Porno-Starlet, das Drehbuch begeistert mit Dialogen über Promiskuität, das Älterwerden und weibliche Stärke. „X“ verneigt sich letztlich vor der einstigen subversiven Zeit des Horrorkinos - lässig.

mehr Film:

Aktuell: