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Döner (Lizenz via Daniel Grabner)

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Döner - Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte

„Döner – Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“ von Eberhard Seidel erzählt die Erfolgs- und Entstehungsgeschichte des Streetfood-Klassikers nach und die ist eng verbunden mit der Geschichte türkischer Einwanderung in Deutschland.

Von Daniel Grabner

Liebt man Döner und lebt in Österreich, hat man es oft nicht leicht. Vor allem, wenn man schon mal in einer der größeren Städte Deutschlands wie Frankfurt oder natürlich Berlin war und mitbekommen hat, was man dort unter einem Döner versteht.

Zugegebenermaßen gibt es auch in Deutschland ranzige Dönerbuden und ebenso zugegebenermaßen hat sich in Österreich die Döner-Situation in den letzten Jahren verbessert. Aber noch immer bietet die gefühlte Mehrzahl der Kebapstände in (zum Beispiel) Wien kaltes und/oder vertrocknetes Fleisch zu Dumping-Preisen von 3 Euro abwärts an. Man beißt dann oft trotzdem hinein, ein bisschen fühlt man sich schlecht, aber nur ein bisschen und auch nur kurz.

Dieses Guilty Pleasure des Döners gehört irgendwie zu seinem Image. In den letzten Jahren hat es sich zu so etwas wie dem „roughen“ Kontrapunkt zu bewusster und nachhaltiger Ernährung entwickelt, kaum ein anderes Streetfood taugt mehr dazu, von Hipstern mit leicht ironischem Unterton abgefeiert zu werden, wie der Döner Kebap. Das ikonische Döner-Logo, von dem niemand weiß, wer es designt hat, gibt es auf T-Shirts und Stoffbeuteln, der Döner wurde in unzähligen Songs in unzähligen Genres vom Deutsch-Rap bis Schlager bis Oi!-Punk besungen, Food Influcener drehen Dokus mit hunderttausenden Views über die besten Döner ihrer Stadt, hier ein Beispiel aus Wien:

Doch bevor es cool war, Döner zu feiern, war er vor allem eines: eine ausgiebige Mahlzeit für wenig Geld, oder wie es Eberhard Seidel in seinem Buch sagt: „Neu und kreativ ist der Döner Kebap allenfalls für die gehobenen Stände. Für die Ärmeren ist der Döner aufgrund seines sagenhaften Preis-Leistungs-Verhältnisses seit bald 50 Jahren eine fest Säule ihres mühsamen Überlebenskampfes.“

Döner-Liebe auf 250 Seiten

Auch Eberhard Seidel hat ganz viel Döner-Liebe. Schon Ende der Neunziger hat sich der ehemalige TAZ-Journalist, Autor und Soziologe der Geschichte des Döners in einem Buch gewidmet. Und auch in seiner neuen Veröffentlichung erzählt er anekdotisch, anhand vieler Interviews, historischer Quellen, Statistiken und mit dem Wissen aus jahrzehntelanger Recherche informativ und anschaulich die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte des Döner Kebaps nach. Jährlich werden in Deutschland rund eine Milliarde Döner-Sandwiches gegessen. Elon Musk hat den Döner unlängst als sein deutsches Lieblingsgericht bezeichnet und Angela Merkel hat nach dem Mauerfall ihre erste Westmark für den handlichen Snack ausgegeben. Doch wer hat ihn eigentlich erfunden?

Die Entstehung des Döners

Viele Mythen ranken sich um die Entstehungsgeschichte des Döner Kebaps. Alles beginnt mit einer Idee. Nämlich einen Lammbratenspieß nicht wie üblich in der Waagrechten, sondern senkrecht zu braten.

Laut den Recherchen von Seidel sollen zwei türkische Köche im 19. Jahrhundert unabhängig voneinander auf diese Idee gekommen sein: der Koch Hamdi Usta aus Kastamonu um 1830 und Iskender Efendi aus Bursa in den 1860er Jahren. Letzterer verlieh dem Kebap seinen Namen: „Döner Kebap“, was übersetzt so viel heißt wie „sich drehender Braten“. Seidel hält allerdings fest, dass Fleischspieße im osmanischen Reich wohl schon früher und an anderen Orten senkrecht am Drehspieß gebraten wurden, wie zum Beispiel das syrische Schawarma, und berichtet von der Skizze des Universalgelehrten Taqiyaddin aus Damaskus von 1546, die einen mittels Dampfturbine betriebenen Drehspieß zeigt.

Der erste Döner in Berlin

Serviert wurde der Döner Kebap im 19. Jahrhundert als Tellergericht. Bis zum Döner als handliches Streetfood im Brot ist es noch ein langer Weg. Den beschritten türkische Gastarbeiter, die während des sogenannten Wirtschaftswunders im Zuge des Anwerbeabkommens in den Sechzigerjahren nach Deutschland kamen, um in den Fabriken zu arbeiten. Der erste Döner Kebap, so wie wir ihn kennen, wurde, so vermutet Seidel, in Deutschland Anfang der 70er Jahre in Berlin Kreuzberg verkauft. Zu dieser Zeit gab es den Döner zwar schon als Streetfood in Istanbul, er war dort aber nur in Form eines kleinen Snacks für zwischendurch mit wenig Zutaten zu haben.

Typisches Döner-Logo

Unbekannt

Dieses Logo auf den Dönerverpackungen ist Popkultur, wer es designt hat, weiß niemand so genau.

Nach dem Ende des Wirtschaftswunders und mit dem Einsetzen der Rezession Mitte der Siebzigerjahre in Deutschland verloren viele türkische Arbeiter ihre Anstellungen. Aus dieser Notlage heraus wechselten sie in die Selbstständigkeit, viele eröffneten ein Dönergeschäft.

„Der Döner Kebap, wie wir ihn in Deutschland heute kennen, ist eine innovative Kreation, an deren Entwicklung Hunderte von ehemaligen Gastarbeitern aus der ersten, zweiten Generation beteiligt waren. Sie probierten, veränderten und entwickelten etwas weiter, das sie aus ihrer Heimat kannten, und erschufen etwas Neues, etwas Hybrides für den Markt in Deutschland. Nicht von einem einzelnen Menschen, sondern von dieser Gründergeneration des Döner Kebaps ziehe ich meinen Hut. Ihr zolle ich Respekt“, schreibt Eberhard Seidel.

Buchcover mit Döner Kebab

März Verlag

„Döner - Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“ ist im März Verlag erschienen.

Der Döner ist politisch

Eberhard Seidel zeigt anschaulich, wie sehr die restriktive Einwanderungspolitik, beispielsweise der sogenannte „Anwerbestopp“ Anfang der Siebzigerjahre oder der rassistische „Lummer-Erlass“ (1981) und ein in den 80er Jahren zunehmend fremdenfeindliches Klima mehr und mehr Türken in die Selbstständigkeit trieben: „Ohne Subventionen, staatliche Unterstützung und wirtschaftsfördernde Maßnahmen schufen sie in der Bundesrepublik der Achtzigerjahre rund 100.000 Arbeitsplätze.“

Die Erfolgsgeschichte des Döners ist also eng verbunden mit den wirtschaftlichen, sozialpolitischen, gesellschaftlichen und institutionellen Entwicklungen in Deutschland. Lebensmittelverordnungen, Einwanderungsgesetze, Arbeitsrecht, politische Kampagnen, rassistische Ressentiments: All das hat zur Entstehung und Verbreitung des Döner Kebaps, so wie wir ihn kennen, beigetragen. Der Döner war Mahlzeit für die Armen, schneller Imbiss für neue berufstätige Gruppen wie Frauen, ökonomischer Rettungsanker und natürlich ein Katalysator für den transkulturellen Austausch.

Die Hand, die sich zur türkisch-deutschen Verständigung ausstreckte, hielt einen Döner. Eine Hand, die aber auch immer wieder ausgeschlagen wurde. Auch diesen Schattenseiten in der Geschichte des Döner Kebaps widmet sich Eberhard Seidel. So wurde die Mordserie zwischen 2006 und 2011, verübt von den Mitgliedern des NSU an türkischen Gewerbetreibenden, von der Polizei zunächst fälschlicherweise als „Dönermorde“ geframet, und für den „Gammelfleisch-Skandal“ 2005 wollte man fälschlicherweise eine sogenannte Dönermafia verantwortlich machen. Es hat wohl kein anderes Fastfood in Mitteleuropa einen so tiefen gesellschaftspolitischen Background wie der Döner Kebap, das und mehr zeigt Eberhard Seidel in seinem Buch. Lest es und esst Döner.

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