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Beck live in WIen

Andreas Graf

Beck live: Die glücklich machende Hit-Maschine

Das ganze Leben und die ganze Musik an einem Abend: Einer der letzten großen Universalkünstler war in Wien. Und wurde zurecht gefeiert.

Von Christian Fuchs

Hatte ich auch schon lange nicht: Einen Kampf der Ohrwürmer. Auf der Heimfahrt von der Wiener Arena gestern konkurrierten verschiedenste Melodien in meinem Kopf. Eingängige Hooks, catchy Chöre und unterschiedlichste Mitklatsch-Refrains versuchten sich gegenseitig zu übertrumpfen.

Beck Hansen war in der Stadt und entpuppte sich als Hit-Maschine. Über hundert Minuten lang feuerte das kalifornische Multi-Musiktalent ein Best-of aus mehreren Karriere-Dekaden ab. Songs aus den 90ern, Nuller- und Zehnerjahren kollidierten, die ihre Wurzeln teilweise in den 60ern, 70ern und 80ern hatten, im Mash-Up-Modus, im Minutentakt von Spotify-Playlists.

„Man muss das Wort ‚Medley‘ in den Mund nehmen“, meinte ein befreundeter Musiker zu mir danach fasziniert, „eigentlich ein Begriff, der zu altmodischen Schlagerstars passt.“ Das klingt ziemlich berechnend, nach beinharter kommerzieller Kalkulation? So einfach lässt sich das Phänomen Beck nicht fassen.

Beck live in WIen

Andreas Graf

Flash-Becks

Vor dem Konzert denke ich zurück. Zuerst ganz weit, an einen Samstag im September 1995. Ich betrete als FM4-Frischling einen Wohnwagen auf dem Gelände des charmanten Holzstock-Festivals in Ebensee. Mir gegenüber sitzt ein blasser Bursche, der mit seiner Weirdness-Ausstrahlung die anderen Rock’n’Roll-Sonderlinge backstage (immerhin sind die verschrobenen Melvins vor Ort) wie Durchschnittsbürger wirken lässt.

Beck erweist sich als fantastischer Interviewpartner an diesem Nachmittag, aber die fast schon greifbare Nerd-Aura werde ich nicht vergessen. Ein Jahr zuvor stürmte sein Song „Loser“ die globalen Charts, wurde zur Hymne der zynisch-ironischen Generation X hochstilisiert. Im Gespräch will der Bub aus Los Angeles aber nur über die Kraft des Blues und Hip Hop reden. Die Slacker-Bewegung und ihre Verweigerungshaltung ist ihm fremd. Er sei im Gegenteil ein Workaholic, meint Beck grinsend.

Auf der Holzstock-Bühne explodiert der schüchterne junge Mann auf fast schon ekstatische Weise. Er stürzt sich in Breakdance-Moves, spielt Mundharmonika á la Bob Dlyan, mixt Stilrichtungen ohne Ende. Mit dem Crossover-Sound der 90ies hat das aber nichts zu tun. Beck, das Weißbrot aus der Hippie-Künstlerfamilie, verbeugt sich vor der afroamerikanischen Basis jeglicher Popkultur voller Respekt und Demut. Ein Begriff wie Cultural Appropriation kommt einem seinerzeit keine Sekunde in den Sinn. Käsigen Indie-Rockern und dem klischeeverseuchten, hohlen MTV-Universum zeigt Beck subversiv den Mittelfinger.

Beck, der Alleskönner

Weitere Flashbacks. Einmal stehe ich mit Beck (und den Beastie Boys) in einer Getränkeschlange, im obersten Stock des World Trade Centers, zwei Jahre bevor die Türme stürzen. Mein Indie-Paparazzi-Moment für die Ewigkeit. Später mal ein Telefon-Interview, bei dem wir über Disco reden. Ein unfassbares Konzert in Oxford, wo Beck im Vorprogramm von Radiohead alleine auf der Akustikgitarre brilliert. Beck der Folksänger, der lässige Popper, der sexy Schlafzimmer-Crooner, der Alleskönner, der regelmäßig mit eklektischen Soundentwürfen zwischen Blues, Hip Hop, Folk, Disco und Electronica betört.

Und dann der Auftritt beim spanischen Primavera-Festival vor drei Wochen. Eine gewisse Vorabskepsis kann ich nicht ablegen. Mit „Hyperspace“ hat Beck 2019 das einzige wirklich schwache Album seiner Laufbahn vorgelegt, ließ sich von überschätzten Produzenten wie Greg Kurstin einen Gegenwarts-Anstrich verpassen, der knapp an der Anbiederung vorbeischrammt. Dazu peinliche Auftritte in schlechten Filmen wie „The Circle“ oder „The Bubble“.

Hat Beck seinen künstlerischen Antrieb verloren, musste man sich zurecht fragen. Aber es wird eine Megashow in Barcelona, bei der ich tanze, mitsinge, weine. Irrwitzig. Fantastisch. Mitten im Beats-Rap-Tropicalia-Gute-Laune-Wahnsinn folgen dann die Balladen. Das Lied aus dem Film-Meisterwerk „Eternal Sunshine Of The Spotless Mind“ bricht mein Herz. Tränenalarm.

Beck, der Mutant

In Wien gestern, in einer lauen Nacht, die dem längsten Tag des Jahres folgt, beginnt er sein Konzert mit diesen ruhigen Nummern. Für eingefleischte Fans sind die Balladen, von ikonischen Alben wie „Sea Change“ oder „Morning Phase“, die Königsklasse im Beck’schen Schaffen. Bilden sie doch den Gegenpol zur hektischen Funkiness anderer Nummern. Mit unerhörter Leichtigkeit beweist der mittlerweile 52-jährige Sunnyboy in den ersten zwanzig Minuten was Melancholie wirklich bedeutet.

Melancholie ist weder selbstmitleidiges Gejammere noch aalglattes Gesäusel. Melancholie ist eine glühende Kraft, die Wärme spendet. Beck hat Hymnen für Menschen geschrieben, die von der Liebe herumgetrudelt werden oder von der Einsamkeit geschüttelt, ewig gültige Songs für Beziehungsgeschädigte und Freund*innen von Beziehungsgeschädigten. In ihrer Tiefe kommen Lieder wie „Golden Age“, „Morning“ oder „Lost Cause“ (beide später im Set) an Vorbilder wie Big Star, The Velvet Underground oder Serge Gainsbourg heran. Auch einen Song des legendären Underground-Künstlers Daniel Johnston covert er.

„Jetzt war ich aber nur mein eigenes Vorprogramm“, lacht Beck sinngemäß, „die richtige Show geht erst los.“ Die Bühne füllt sich mit einer Band, die im Hintergrund Platz nimmt, mit einem Knalleffekt und der letzten Hitsingle „Hyperspace“ ändert sich alles. Ein Star aus Las Vegas, mindestens, funkelt jetzt im bunten Rampenlicht, der Song, vom erwähnten fragwürdigen letzten Album, mutiert live zum Glücklichmacher. „Mutations“ heißt auch eine Platte von Beck, die beständige Transformation ist sein Antrieb.

Beck live in WIen

Andreas Graf

Beck to the roots

Eine Online-Setlist zählt 38 Stücke auf, ich selber vergesse in dem Rausch aus Stimmungen und Klängen und unfassbaren Stagemoves natürlich auf das Mitzählen. Wir bekommen den Rapper, der bereits in den frühen 90ern kapierte, dass Hip Hop eine weltweite Sprache ist, die wir heute als universelles Esperanto hören. Dabei betet Beck spürbar innerlich zu den afroamerikanischen Gött*innen und weiß auch: Ohne beständige Verschmelzung und Annäherung wurde nicht einmal ein Mikro-Bruchteil jener Musik existieren, die etwa auf FM4 läuft.

Wir bekommen neben dem postmodernen Elvis (der seine eigenen Referenzen und Arbeitsbedingungen ständig mitreflektiert) auch den Disco-Einpeitscher im weißen Anzug, mit Schlaghosen, perfekt sitzend. Immer wieder klatscht er das leidenschaftliche Publikum ein, man kennt das aus 1001 oftmals vulgären Liveshows, bei Beck denkt man dabei aber an Gospelmessen und die Call-and-Response-Rituale des Rhythm and Blues. Und immer wieder Brüche, hallo Melancholia, bonjour Tristesse.

Als man dann glaubt, es fehlt eigentlich nur ausgerechnet klassischer Rock im Style-Kosmos des Herrn Hansen, marschiert er zum Zugabenblock im schwarzen, hautengen Leder-Outfit auf die Bühne. „E-Pro“, auf Platte eine süße Grunge-Parodie, planiert kreischend noisig und laut das Arena-Gelände. Okay, klassische Musik, Volksmusik und Reggae wurden von Beck nicht zitiert, sonst war das eine Pop-Achterbahnfahrt Deluxe. Mit den Beatles, Beach Boys, Prince, A Tribe Called Quest oder den bereits erwähnten Vorbildern als Reiseführern.

Beck live in WIen

Andreas Graf

Ganz am Ende, im Konfetti-Sturm, beamt uns Beck zurück zu seinen Wurzeln als Singersongwriter in kleinen Indie-Clubs. Die Mundharmonika glüht. „Blues & Gospel handeln von Gott und dem Teufel“, erzählte er mir einmal, „diese ganze elementare Spannung ist da drin. Egal ob du vom Mississippi kommst oder aus Österreich, Gut und Böse, Ängste, Paranoia, Hoffnungen, das berührt jeden“.

Es berührt jedenfalls die Crowd in der Arena, was für ein Auftritt. In der U-Bahn heimwärts, mit all diesen gewaltigen Hooks im Gehirn, wird mir auch klar: Einer der letzten großen Universalkünstler hat uns beehrt, einer, der Pop in seiner Gesamtheit begreift, der unzählige Genres kreuzt, um das ganze Leben in seiner widersprüchlichen Gesamtheit zu erfassen.

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