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Alex Garlands „Men“: der Horror toxischer Männlichkeit

Not all Men: Alex Garlands „Men” ist ein Horrorthriller, in dem die größte Bedrohung von diversen Inkarnationen toxischer Männlichkeit kommt.

Von Jenny Blochberger

Werwölfe, Vampire, übelgesinnte Aliens: der Schrecken dieser Schauerfiguren verblasst vor der grausamen Realität der menschlichen Bösartigkeit. Krieg, Amokläufe, Terroranschläge und Femizide werden nach wie vor in der überwiegenden Mehrheit von Männern begangen. Toxische Männlichkeit ist das Schlagwort der Stunde: unter diesem diskutiert man, inwieweit die Menschheit – Frauen UND Männer nämlich – unter dem vorherrschenden Männlichkeitsideal von Stärke, Dominanz und Furchtlosigkeit (und seinen Schattenseiten Aggression, Unterdrückung Schwächerer und dem Unterdrücken von Emotionen) leidet.

Man würde dem sehr vielschichtigen Filmemacher Alex Garland unrecht tun, würde man seinen aktuellen Film „Men“ nur als ironischen Kommentar zum Kampfschrei #Notallmen beschreiben – natürlich ist er das, aber eben nur auch.

Harper Marlowe (Jessie Buckley) hat ein traumatisches Erlebnis hinter sich. Um wieder zur Ruhe zu kommen, zieht sie sich in ein altes Haus in einem kleinen Dorf auf dem Land zurück. Der schrullige Verwalter zeigt ihr das Anwesen und erwähnt, sie könne sich bei jedweden Schwierigkeiten gerne an ihn wenden, er wohne nicht weit entfernt in dem Haus am Ende der Straße mit dem „Vorsicht vor dem Hund“-Schild. Es ist nicht die erste Anspielung auf Gefahr und wird nicht die letzte bleiben.

Das Haus und der dahinterliegende Wald sind so idyllisch, wie man sich das Landleben im Traum vorstellt, und Harper beginnt sich langsam wohlzufühlen. Doch dann hat sie rasch hintereinander einige Begegnungen, die sie zuerst irritieren und dann ängstigen: ein nackter Mann beobachtet sie vom Waldrand her und dringt dann in das Anwesen ein, ein junger Bursche beschimpft sie, ein zunächst wohlgesinnt scheinender Priester legt nahe, dass sie für den Tod ihres Mannes verantwortlich sei. Nur die Videotelefonate mit ihrer Freundin Riley erden sie und verbinden sie mit der echten Welt abseits des immer surrealer wirkenden englischen Dörfchens Cotson.

Ein Geniestreich ist das Casting von Rory Kinnear als ALLE Männer des Dorfes. Als Verwalter ist er ein jovialer älterer Mann mit Schmerbauch und Altherrencharme, als Priester strahlt er eine salbungsvolle Anteilnahme aus und als Dorfpolizist ist er ein Mann des Volkes, der die hysterische Städterin für nicht ganz voll nimmt. Besonders creepy ist es, wenn sein Gesicht digital auf den Körper des jungen Burschen projiziert wird.

Szenenfoto aus "Men"

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Die diversen seltsamen Begegnungen bis hin zu Übergriffen sind ein, äh, Best-of der unangenehmen Interaktionen, die Frauen mit Männern im echten wie im digitalen Leben erleben: von misslungenen Scherzchen über Exhibitionismus bis zu Gaslighting und offener Bedrohung ist die gesamte Hitparade dabei. Und trotzdem ist der Film mehr als ein simpler Kommentar zum Thema – und auch mehr als ein Horrorfilm, wenn er auch gekonnt viele genretypische Versatzstücke einsetzt.

„Men“ ist ein auch auf optischer Ebene sehr beeindruckender Film. Bereits die Anfangssequenz, in der wir aus einem Fenster auf einen Regentag hinaussehen und die Regentropfen, die an der Balkonbrüstung abprallen, rötlich beleuchtet wie Blut aussehen, ist wunderschön und sagt schon viel aus, bevor noch das erste Wort fällt. Die englische Landschaft ist von üppigem, leuchtendem Grün, man spürt geradezu, wie man im nassweichen Boden einsinkt; in einer toll anzuschauenden Szene wirft der Apfelbaum im Garten des Anwesens alle Äpfel auf einmal ab. Jessie Buckley gibt eine wohltuend differenziert gezeichnete Damsel in Distress ab: ein intellektueller Typ mit kurzen Haaren und bodenständigem Auftreten, einfach ein normaler Mensch, keine „starke Frau“ im Hollywood-Sinne. Rory Kinnear ist in jeder seiner Inkarnationen hinreißend; ein Schauspieler, der den Typen von Nebenan perfekt verkörpert und ihn mittels subtilster Gesichtsmuskelverschiebung instant zwielichtig erscheinen lässt.

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Die nächste Ausgabe des FM4 Film Podcast mit Christian Fuchs und Jenny Blochberger befasst sich anlässlich „Men“ mit dem Schaffen von Multitalent Alex Garland, der vor seiner Karriere als Filmemacher bereits sehr erfolgreicher Roman- und Drehbuchautor war. „Men“ läuft ab 21.07.2022 in österreichischen Kinos.

Immer mehr kippt „Men“ in Richtung Horror, wobei die Sequenzen, in denen er einen klassischen Horrorfilm nachahmt – wenn Harper mit einem Küchenmesser bewaffnet in einem langen Kleid vor diversen Eindringlingen flieht, die sie durch Haus und Garten verfolgen -, am uninteressantesten sind (zumindest für Nicht-Fans des Genres). Der Höhepunkt ändert dann aber seine Tonalität von gruselig zu grotesk: ein dermaßen sonderbares Stück Body Horror, das einen ob seiner Absurdität wieder in den Film hineinzieht. Das Finale ist so überzeichnet arg, dass es einen mehr anekelt als ängstigt. Viel gruseliger als das auf Shock Value ausgelegte Ende ist eine frühere Szene, die in einem Tunnel spielt und komplett ohne Special Effects auskommt: wem es da nicht kalt über den Rücken rinnt, der hat kein menschliches Blut im Leib.

Knappe 48 Stunden lagen laut Garland zwischen dem letzten Tag der Postproduktion von „Men“ und dem Drehstart für seinen neuen Film „Civil War“. Diesmal wird es ein Action-Epos - man darf gespannt sein.

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