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Band Porträt im Museum

Shervin Lainez

Phoenix und ihr 7.Album, „Alpha Zulu“

Phoenix sind die Meister des modernen Indie-Pop. Das neue Album ist schon das siebte der Band aus Paris, deren Sänger Thomas Mars in New York lebt. „Alpha Zulu“ ist mindestens so gut wie „Wolfgang Amadeus Phoenix“, das Phoenix im Jahr 2009 berühmt machte, inklusive einem Grammy.

Von Eva Umbauer

Album cover

Loyauté/Glassnote,

„Alpha Zulu“ von Phoenix ist bei Loyauté/Glassnote erschienen.

Seine Kindheit verbrachte Phoenix-Sänger Thomas Mars im eleganten Pariser Vorort Versailles. Er war nicht immer in glücklicher Stimmung in dieser Umgebung, weil es sich für den Heranwachsenden wie eine Art Museum angefühlt hat. In den letzten paar Jahren war Thomas Mars aber ziemlich oft in einem richtigen Museum in Paris, nämlich nicht in irgendeinem, sondern dem berühmten Louvre. Dort ist auch das Musée des Arts Décoratifs untergebracht, und ebendort richteten sich Phoenix ein kleines Tonstudio ein, in einem für Besucher*innen des Museums nicht zugänglichen Raum. Durch die folgende Pandemie und deren Lockdowns gab es aber ohnehin meist keine Besucher*innen.

Hanging in the Louvre

Oft schlich Thomas Mars vom Hintereingang kommend mit der Taschenlampe durch die Gänge in das Studio - es ist nach Beendigung der Aufnahmen zum neuen Phoenix-Album wieder abtransportiert worden -, wo schon seine Freunde/Bandkollegen Deck D´Arcy, Laurent Brancowitz und Christian Mazzalai warteten. Thomas Mars lebt seit Jahren in New York, und die Anreise nach Paris war nicht immer einfach während der Pandemie. Aber einmal angekommen im Studio im Museum, ging alles leicht von der Hand, die wieder vereinten Phoenix konnten kaum aufhören miteinander an den Aufnahmen zu werken.

Thomas Mars hatte sich gewissermaßen versöhnt mit dem Begriff Museum. In dem des Arts Décoratifs, wo alles Mögliche zu sehen ist, egal ob es einmal der tragischen französischen Adeligen Marie Antoinette gehörte oder dem Briten John Lennon, und nun waren Phoenix genau da mittendrin, so als ob sie und ihr hier aufgebautes Studio eine Art Kunstinstallation wären. Suppe über Gemälde geschüttet haben die vier höflichen Franzosen nicht, sie lassen lieber die Gesichter von diesen Gemälden singen, in dem genialen Video zu einem ihrer neuen Songs jedenfalls.

„We’ve always liked to take up residency in a place where there’s a little more mystique; something that doesn’t have gold records on the wall. This was perfect for that“, sagt Thomas Mars, der mit Phoenix gerne besondere Locations zum Aufnehmen einer Platte sucht. Ein wenig ein „mulmiges“ Gefühl hatte er im Museum zwischendurch aber schon, nicht zuletzt „because it feels like we’re part of the institution now“, so Thomas Mars von Phoenix.

Thomas Mars gründete bereits im Alter von zehn Jahren seine erste Band, den Vorläufer zu Phoenix, seit Ende der 90er sind Phoenix nun Phoenix. Als Kind wollte Thomas so groß wie die Beatles werden. Großmannssucht und Bescheidenheit, das war nicht so weit voneinander entfernt, denn wie sollte man internationale Größe a la Beatles bloß erreichen, wenn man nur eine kleine französische Band war, die statt auf Französisch zu singen - wie es sich in der Grande Nation eigentlich immer gehörte - stattdessen die englische Sprache für seine Musik wählte. Nun ja, einer glaubte jedenfalls an Phoenix genauso wie sie waren, ein gewisser Philippe Zdar. Der französische Musiker (Cassius) und Produzent mit riesigem Musikwissen und noch größerem Gespür für Bands produzierte in seinem Motorbass Studio in Paris das allererste Album von Phoenix, „United“, das 2000 erschien.

„A Jedi-like force“

Fast forward in das Jahr 2009. Wieder war Philippe Zdar der Producer von einem Phoenix-Album: „Wolfgang Amadeus Phoenix“ war schon der vierte Longplayer der Band. Es gab schließlich einen Grammy dafür, den großen amerikanischen Musikpreis, in der Kategorie Best Alternative Music Album. Es waren noch Kaliber wie David Byrne & Brian Eno nominiert, oder Depeche Mode, Death Cab For Cutie und Yeah Yeah Yeahs. Letztere hätten den Grammy wohl auch verdient, aber diese stroboskopische Alternative-Pop-Platte aus Frankreich mit den unkonventionellen Arrangements und den vielen Details in der Produktion von Philippe Zdar war letztlich wohl spannender.

Auch beim nächsten Phoenix-Album war Philippe Zdar wieder an Bord, beim wiederum nächsten pausierte er. Dann kam es zu keiner Zusammenarbeit mehr, denn Philippe Zdar verlor im Juni 2019 sein Leben, er war aus großer Höhe eines Gebäudes in Paris durch ein Fenster gestürzt. Sein Geist, so Thomas Mars im FM4-Interview, war die ganze Zeit über, bei den Aufnahmen der neuen Phoenix-Platte, allgegenwärtig. Die Band schrieb den ersten Song von der neuen Platte, „Identical“, wenige Tage nach der Verabschiedung von Philippe Zdar. In diesem Song, dem letzten Track am Album, singt Thomas Mars „I´m losing my friend, I´m losing my grip.“

Philippe Zdar hatte, wie Thomas Mars sagt, eine beinahe „Jedi-like force“, die die Band die ganze Zeit über spürte, als sie die neuen Songs aufnahm. Es war ein wenig so, als ob die Zusammenarbeit mit ihrem Lieblingsproduzenten noch weitergehen würde, als ob dieser so wahnsinnig begabte Mensch, der etwa auch mit den Beastie Boys oder Franz Ferdinand gearbeitet hatte, und wie Thomas Mars sagt, überhaupt „larger than life“ war, sein Wissen nach wie vor an die Band weitergeben würde. Das komplette neue Phoenix-Album ist von Philippe Zdar inspiriert.

Aber weil Philippe Zdar eben physisch nicht präsent sein konnte, half Thomas Bangalter der Band ein wenig bei der Produktion. Man kennt einander gut. Laurent Brancowitz von Phoenix spielte in den frühen 1990er Jahren zusammen mit Thomas Bangalter in einer Band. Später wurde Bangalter als eine Hälfte des französischen Electronic-Duos Daft Punk international bekannt. Mit einer gewissen Nicht-Sentimentalität bestimmt Bangalter meist den Puls der Platte. Ansonsten liegen Melancholie und Freude, ja, Spaß, bei Phoenix wieder so nah beieinander wie immer schon.

„There’s a purple cloud in the consommé, ouais!“

Da ist das hübsche „Artefact“ oder das irgendwie einsame und distanzierte „Elixir“, das techno-hafte „All Eyes On Me“, genauso wie dieser Song mit der schönen Percussion: „The Only One“, wo Thomas Mars singt „resurrect us all, I want to be forever young“. Die verlorene Jugend beweinen? Schon irgendwie, aber, ach was, Phoenix zählen die Jahre nicht, sie tun einfach was sie tun, und sind dabei immer - ganz wichtig - Freunde geblieben, auch wenn Thomas Mars seit längerer Zeit in New York lebt, zusammen mit seiner Frau, der US-Star-Regisseurin Sofia Coppola und den beiden gemeinsamen Kindern. Apropos New York, die neue Phoenix-Platte ist auch insgesamt ein wenig beeinflusst von einer der interessantesten Bands, die je aus dieser Stadt kamen, nämlich den Talking Heads.

Den Song „Tonight“ machten Phoenix dann aber nicht etwa zusammen mit David Byrne, sondern mit dem New Yorker Musiker Ezra Koenig. Ezra ist der Sänger der US-Band Vampire Weekend. Im Song, wo Thomas ein wenig wie Ezra klingt und Ezra ein wenig wie Thomas, geht es um „two people trying to pull one another out of isolation“. Es ist das erste Mal, dass Phoenix einen prominenten Gastmusiker bei einem ihrer Songs dabei haben.

„It´s almost like a daydream, une reverie“, sagen Phoenix über ihre neue Platte, deren Titel „Alpha Zulu“ noch zu klären wäre: Die Familie von Thomas Mars hat seit langem ein Haus im mittelamerikanischen Staat Belize. Es ist nicht so einfach dort hin zu kommen. Kleine Flugzeuge werden in der Gegend oft eingesetzt. Einmal war Thomas an Bord von einem eben solchen, er saß im Cockpit, weil sonst kein Platz mehr war. Als er dort eine Anweisung an den Piloten mitbekam, bekam er es mit der Angst zu tun.

„Alpha Zulu, Alpha Zulu, drop altitude!“ Thomas dachte, es handle sich um eine Notsituation, zum Glück war es aber keine, sondern nur die Anweisung vom Tower an den Piloten, mit dem Sinkflug zu beginnen. Alpha Zulu war der Name des kleinen Flugzeugs, während Thomas dachte, es müsse wohl ein SOS-Code sein.

Und noch ein Song am neuen Phoenix-Album hat mit einer möglicherweise brenzligen Situation zu tun. „Winter Solstice“ ist der vielleicht schönste Track der Platte - der vielleicht bisher traurigste Song von Phoenix? Worum geht es in „Winter Solstice“, dieser Wintersonnenwende von Phoenix? Thomas Mars war gerade in Nordkalifornien, als Waldbrände ausbrachen. Er war praktisch gefangen, konnte nicht weg.

Der Rauch verfinsterte schließlich den Himmel so sehr, dass es kaum möglich war, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. „So give me a ride home, find me a narrative, something positive“, singt Thomas Mars in „Winter Solstice“, dem einzigen Song von der neuen Phoenix-Platte, der long distance entstanden ist und nicht mit allen Bandmitgliedern zusammen in einem Raum sitzend. Letzteres liebt Thomas Mars noch immer, ersteres hingegen nicht so.

„Alpha Zulu“ von Phoenix ist voller Ideen, voller Energie, voller toller Hooks und stream-of-consciousness Lyrics. Kaum zu glauben, dass es Phoenix schon seit 25 Jahren gibt. „Alpha Zulu“ ist mindestens genau so gut wie jenes Album, „Wolfgang Amadeus Phoenix“, das diese Band aus Versailles berühmt gemacht hat. Phoenix forever.

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