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"EO" liebe Eselbilder

Stadtkino

FILM

Kino-Feiertage mit Eseln: „EO“ und „The Banshees of Inisherin“

Zwei der schönsten Filme zur Zeit leben von tierischen Protagonisten. In den neuen Werken von Jerzy Skolimowski und Martin McDonagh lernen wir von Eseln essentielles über Menschlichkeit.

Von Christian Fuchs

Bereits die ersten Minuten sind so bildgewaltig, dass man merkt: Hier haben wir es mit Kinokunst zu tun. Eine junge Frau umarmt im psychedelisch flackernden Rotlicht einen Esel. Allmählich wird ein Zirkus-Szenario erkennbar, eine Manege sichtbar, wie befinden uns in einem heruntergekommenen Familienbetrieb. EO heißt das Tier, erfahren wir, so wie der Film, der den Esel auf einer Odysee durch Polen begleitet.

Der Zirkus wird von Tierschutz-Aktivist*innen bedrängt, EO wechselt den Besitzer, bricht aus, durchquert Wälder und Wiesen. Eine Reise beginnt für das struppige Wesen mit dem scheinbar melancholischen Blick. Was wir in den dunklen Eselsaugen sehen, unterliegt unserer Interpretation und lebt vom Schnitt; vermenschlicht im Animations-Sinn wird der Esel niemals.

"EO" liebe Eselbilder

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Inspiriert von einem Klassiker

Manchmal flackert Humor auf, wenn das einsame Tier durch die Landschaft trottet, bei anderen Begegnungen spürt man förmlich Herzenswärme, bisweilen wird „EO“ der Film aber auch zur harten Nervenprobe. Wenn eine Gruppe Fußball-Holligans auf den armen Esel losgeht, weil er mitten durch ein Match spazierte, möchte man aufschreien.

„EO“ wirkt aber in keinem Moment ausbeuterisch oder gar bewusst quälerisch. Eindeutiges Vorbild ist ein schwarzweißer Klassiker, gedreht vom französischen Regiegott Robert Bresson. „Zum Beispiel Balthazar“ handelt auch von einem Esel, der schöne und oftmals eher schmerzliche Erfahrungen mit Menschen macht.

Für nicht wenige Cinephile gilt der Film aus dem Jahr 1966 als Offenbarung und noch noch immer ultimative Erfahrung in Sachen Herzensbruch. Der Esel, der sämtliches Leid scheinbar stoisch erträgt, inspirierte auch christliche Deutungen.

Die polnische Regie-Ikone Jerzy Skolimowski, mittlerweile 84-jährig, knüpft direkt an, allerdings mit eindeutigen Bezügen zur schroffen und skurrilen Gegenwart. Er zeigt ein Polen zwischen trostloser Nüchternheit und poppiger Farbenpracht, einsamen Wäldern und dekadenten Villen (in einer solchen residiert Isabelle Hubert, die einen kurzen einprägsamen Gastauftritt hat).

"EO" liebe Eselbilder

Stadtkino

Ein poetisches Kunstwerk

Der echte Star neben dem titelgebenden Felltier ist aber der junge Kameramann Michal Dymek. „EO“ sieht aus, wie wenn Nicolas Winding Refn und Terrence Malick ein Remake von Robert Bresson gedreht hätten. Der erste Eindruck stimmt: Ein poetisches Kunstwerk, während der Feiertage in ausgewählten Programmkinos zu entdecken.

Erst am 5. Jänner startet ein Film, der auf ganz unverlogene Weise zur vielbeschworenen „Besinnlichkeit“ rund um Weihnachten passt, auch in seiner Mischung aus Witz, Wehmut und existentieller Schwere.

In „The Banshees Of Inisherin“ treffen nicht nur Colin Farrell und Brendan Gleeson unter der Regie von Martin McDonagh wieder aufeinander, ein Trio, dem wir den Zurecht-Kultfilm „In Bruges“ (Brügge sehen und sterben) verdanken. Auch ein unglaublich süßer Zwergesel spielt einen wichtigen Part.

The Banshees of Inisherin

Disney

Abrupte Verweigerung der Freundschaft

Eigentlich hätte es ein Tag wie jeder andere werden sollen. Und das darf man auf Inisherin wörtlich nehmen. Die (fiktive) irische Insel ist ein abgelegener Ort, an dem die absolute Monotonie regiert. Der etwas naive Pádraic hat sich mit dieser Tatsache arrangiert. Er genießt sogar die tägliche Routine. Zu Mittag seinen alten Freund Colm abzuholen und gemeinsam ins Pub zu gehen, mehr braucht es nicht für das ganz kleine Glück.

Aber plötzlich und ohne Vorwarnung verweigert Colm den Kontakt. Pádraic ist verstört und versucht seinen Kumpel mit allen Mitteln zur Rede zu stellen. Er habe genug vom gewohnten Smalltalk, meint der pensionierte Musiker, das Leben sei zu kurz für Banalitäten.

„Ghosting“ würde man das wohl heute nennen, was dem hilflosen Landburschen Pádraic hier widerfährt. Martin McDonaghs Film spielt allerdings anno 1923, da gibt es noch keine Bgrifflichkeiten für abrupte Freundschafts-Verweigerung. Zum persönlichen Konflikt gesellt sich in „The Banshees Of Inisherin“ noch der politische Subtext. Der Kanonendonner des irischen Bürgerkriegs ist unüberhörbar.

The Banshees of Inisherin Filmstills

Disney

Würdevolle Tiere und menschliche Abgründe

Auf das Gespann McDonagh, Farrell und Gleeson ist einfach Verlass. „The Banshees Of Inisherin“ wurde ein trauriger, sanfter, komischer Film, der im letzten Drittel wütend eskaliert. Abgeschnittene Finger werden auf Türen geworfen, Flüche ausgesprochen, Freunde mutieren zu Feinden.

Colin Farrell und Brendan Gleesen brillieren in diesem Duell in jeder Sekunde. Aber auch Kerry Condon begeistert als selbstbewusste Schwester des aufgebrachten Pádraic. Der immer großartige Barry Keoghan, wir kennen ihn aus Filmen von Christopher Nolan, Yorgos Lanthimos oder der Serie „Chernobyl“, wirkt erschütternd in der Rolle eines jungen Außenseiters. Und da ist eben auch Colin Farrells putziger Zwergesel, der in einem beinahe symbiotischen Verhältnis mit seinem Herrchen existiert.

The Banshees of Inisherin Filmstills

Disney

„The Banshees Of Inisherin“ und „EO“ zeigen keine klischeehaften Cartoon-Viecherl, es sind lakonische, würdevolle Tiere, die mit den Abgründen der Menschen konfrontiert werden. „Living, as we do, in The End Times“, schreibt die Journalistin Hannah Strong über diese Filme, „I too feel like a little donkey just plodding through the world, beset by occasional disaster, in search of a warm barn and some nice oats.“

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