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Vera Gemma geht neben einem Buben die Straße entlang. Szene aus dem Film "Vera".

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„Vera“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel

Nach „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ führt uns das Regieduo Tizza Covi und Rainer Frimmel nach Italien: In Rom plagt sich Vera mit dem ewigen Ruhm ihres Vaters, der ein Italowesternstar war, und will echte Menschen treffen. „Vera“ ist ein Film über Oh-du-meine-Güte.

Von Maria Motter

Asia Argento geht mit Vera Gemma auf einen Friedhof. Nicht um ihr etwas Morbides oder irgendein Goth-Ding zu zeigen, wie sie sagt. Sie bleibt vielmehr vor dem Grabstein von Goethes Sohn stehen. Dass der Filius August hieß, steht nicht auf dem Grabstein. Die beiden Schauspielerinnen liefern sich in vollem Einverständnis einen Schlagabtausch darüber, was es heißt, wenn der Ruf berühmter Eltern einem immerzu vorauseilt. Das ist eine der Szenen aus „Vera“, dem neuen Film von Tizza Covi und Rainer Frimmel, der sich um die titelgebende Vera dreht, die wie Asia Argento die Tochter eines bekannten Mannes ist.

Nach den großartigen „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ zeigen Tizza Covi und Rainer Frimmel wieder ein anderes Milieu: Selbst das Licht der Spätnachmittagssonne in Rom kann Vera nicht ablenken. In diesem Film begegnen wir einer Frau, die alle Zeit konzentriert ist, und aus der Diskrepanz zwischen ihrer Erscheinung und ihrem Verhalten ergibt sich für die Dauer des Films eine Unberechenbarkeit.

Eine Frau unterhält sich mit Vera Gemma. Szene aus "Vera".

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Vera Gemma und Asia Argento schauen sich das Grab von Goethes Sohn an.

„Vera“ oder: Das Gute so sehr sehen wollen

Vera Gemma ist bei den Filmfestspielen in Venedig 2022 mit dem Orrizonti-Preis als beste Schauspielerin ausgezeichnet worden: In „Vera“ hat sie die Rolle ihres Lebens, könnte man meinen. Der Orizzonti-Preis für die beste Regie ging an Tizza Covi und Rainer Frimmel.

„Vera“ eröffnete die Viennale und läuft seit 6. Jänner 2023 im Kino.

Wir heften uns an die mit Strasssteinchen bestückten Stiefletten Veras. Wir folgen der Italienerin mit dem gestrafften Gesicht, den Cowboyhüten und Cocktailkleidern zu Castings, Besuchen bei ihrer lieben Schwester und auf Autofahrten mit ihrem Chauffeur Walter im unauffälligen Kleinwagen. Ihr Vater sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen, erzählt sie einem Taxler ungefragt, als Walter wegen Krankheit ausfällt. Vera ist in Reichtum aufgewachsen, doch langsam, aber sicher neigt sich das Erbe dem Ende zu. Es ist tragisch, aber auch nicht ohne Komik.

Einen Parkplatz will Vera noch verkaufen, doch für die Schwester kommt das nicht infrage. Der Parkplatz sei eine der letzten verbliebenen Liegenschaften. Es klingt dramatisch – wie die kurzen Sätze, die Vera über ihre Kindheit teilt. Auf Film sind die Schwestern zu sehen und sie stellen fest, dass ihre Nasen doch ganz niedlich ausgesehen hätten. Die Operationstermine hat die Mutter ausgemacht. Eine spezielle Vorstellung von Schönheit beherrschte die Familie, schlank zu sein war zentral, Drogensucht weit weniger gefürchtet als Gewichtszunahme.

Schauspielerin Vera Gemma mit Cowboyhut und in reicher Festgesellschaft. Szene aus "Vera".

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Jetzt verlangt Vera von ihrem Chirurgen neue, größere Brustimplantate, aber der Mann schickt sie nach Hause. Über ihrem Bett hängt ein Porträt des Vaters, neben ihr liegt ein jüngerer Lover, der sich mit ihrem Geld als Regisseur versucht. Barbie mag das Vorbild für die Behandlungen ihres Gesichts gewesen sein, Veras Augen sprechen Bände. Sie hat Nachsehen mit den Menschen, und als Walter durch eine Straße mit spielenden Kindern fährt, übersieht er ein Moped. Ein Bub liegt auf der Straße, und Vera wird sich dieses Kindes annehmen, das mit seinem Mechanikervater und der Großmutter in einer Wohnung ohne fließendes Wasser in einem Vorort lebt und Roms Zentrum noch nie gesehen hat.

Vera sagt einem Bekannten, sie interessiere sich jetzt für das echte Leben und echte Menschen. Wenn man als Künstler nicht lebe, habe man nichts zu sagen und all die Heuchelei und Lügerei der Showbranche habe sie satt. Vera will an das Gute glauben, so sehr, dass man zweifeln könnte, ob sie tatsächlich nicht wahrnimmt, was man kommen sieht. Aber als der Bub einen frischen Gips am Arm hat, den sein Leibchen nicht ausreichend bedeckt, ist auch Vera alarmiert.

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#161 FM4 Film Podcast: „Vera“

Zuletzt haben die Filmemacher:innen Tizza Covi und Rainer Frimmel mit ihrer Dokumentation „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ die Wiener Unterwelt der 1960er Jahre beleuchtet. In ihrem neuen semidokumentarischen Film „Vera“ heften sie sich in Rom an die Fersen der erfolglosen Schauspielerin Vera Gemma, Tochter des berühmten Italowesternstars Giuliano Gemma. Christian Fuchs und Jan Hestmann sprechen mit den beiden über ihren neuen Film und persönliche Lieblingsfilme.

Ab 9. Jänner, 22 Uhr, als FM4 Film Podcast

Charme und Lebensweisheit

Viel Charme und Lebensweisheit stecken in den Filmen von Tizza Covi und Rainer Frimmel, auch ist da stets eine gewisse Unvorhersehbarkeit, die beim Zuschauen unterhält. „Was uns immer interessiert und was jeder Hauptprotagonist und jede Hauptprotagonistin haben muss, ist eine Ambivalenz. Das finden wir immer extrem spannend“, sagte Tizza Covi im FM4 Interview auf der Diagonale. Für „Vera“ haben Tizza Covi und Rainer Frimmel ein Drehbuch geschrieben, aber mit den Protagonist*innen haben sie die Szenen nur besprochen und ihnen nicht die geschriebenen Dialoge zum Lesen gegeben.

„Es zieht uns unbewusst immer zu Welten, die im Verschwinden sind, wo wir das Gefühl haben, womöglich wird es diese Welten bald nicht mehr geben. Das ist so ein etwas hilfloser Versuch, dass man mit Fotografie oder mit Film versucht, etwas festzuhalten“, so Rainer Frimmel. 2001 machten Tizza Covi und er den ersten gemeinsamen Film „Das ist alles“ heißt die Doku voll spannender Begegnungen mit Menschen, die im Umland von Kaliningrad gelandet sind. Sie wurden umgesiedelt, sind Vertriebene aus Nationalitätenkonflikten und Überlebende von Kriegen. „‚Das ist alles‘ ist ein ganz spezieller Film, weil damals haben wir nur als Fotografen gearbeitet und sind ins Kaliningrader Gebiet gefahren und haben über drei Sommer fotografiert“, erinnert sich Tizza Covi. Doch als Rainer Frimmel und sie die Bilder ausstellten, merkten sie, wie sehr ihnen die Tonebene fehlte, um all die Geschichten zu vermitteln. So besuchten sie die Menschen erneut.

Das Kino von Tizza Covi und Rainer Frimmel

Eine Welt, in die es Tizza Covi und Rainer Frimmel über Jahre zieht, ist die des Zirkus. Für „Babooska“ begleiten sie eine italienische Zirkusfamilie. Die intime Doku „Babooska“ gibt den Impuls für den ersten Spielfilm: „La Pivellina“ – auf Deutsch: „Die Kleine“ - erzählt von einem ausgesetzten Kleinkind. Ein Wanderzirkus nimmt das Mädchen auf.

Höchst beeindruckend ist, dass Tizza Covi und Rainer Frimmel auf Film drehen, auch, als für „Mr. Universo“ ein junger Löwendompteur die Hauptrolle übernimmt. Premiere wurde in Locarno gefeiert. Bei den Dreharbeiten zu „Mr. Universo“ sind die beiden erstmals Vera Gemma begegnet.

Tizza Covi und Rainer Frimmel haben seit 20 Jahren ihre eigene Firma: Mit Vento Film produzieren sie unabhängig. Das Material Film ist teuer und kostbar, und der Filmtitel „Der Glanz des Tages“ ist eine treffende Beschreibung für die Filme des Duos. Der Schauspieler Philipp Hochmaier und der Zirkuskünstler Walter Saabel treffen in „Der Ganz des Tages“ aufeinander. Eine der herrlichen Unterhaltungen etwa geht so: „Messerwerfer. Tierdompteur. Bärenringer.“ – „Was? Was ist das?“ – „Ich habe mit Bären gerungen. Ringkämpfe machen mit Braunbären.“ – „Super“. – „Schöner Beruf. Anstrengend.“

Walter Saabel, einer der Zirkusartisten, hat den Goldenen Leoparden für den besten Schauspieler in Locarno bekommen. „Das sind dann schon Momente, wenn man merkt: Da hat man jetzt in deren Leben etwas für sie gemacht, dass sie in 20, 30 Jahren auch noch eine schöne Erinnerung haben.“ In „Vera“ gibt es ein Wiedersehen mit Walter Saabel, er ist der Chaffeur, der doch mehr sieht, als es zu Beginn scheint.

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