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Warum Musikshaming und Gatekeeping sowas von out sind

Andere für ihren Musikgeschmack zu judgen oder sich aus einer elitären Angst vor dem Mainstream heraus darüber zu erheben, sind zwei Dinge, die wir dieses Jahr hinter uns lassen sollten. Warum das befreiend sein kann.

Eine Kolumne von Verena Bogner

Einer der popkulturellen Mainstream-Momente des letzten Jahres war ohne Zweifel die vierte Staffel der Netflix-Serie „Stranger Things“. Die Serie hat uns nicht nur virale TikTok-Memes und ein Kate-Bush-Revival beschert, sondern auch den Metallica-Song „Master of Puppets“ einigen neuen Fans zugänglich gemacht. Er kommt in einer Schlüsselszene zum Einsatz, in der Fanliebling Eddie mithilfe seiner Gitarre zur Rettung der Hawkins-Kids ausrückt. Das sorgte zum Beispiel dafür, dass „Master of Puppets“ in der Woche nach dem Erscheinen der Episode 17,5 Millionen Mal gedownloadet wurde. Selbstredend freuten sich Metallica über den Erfolg und die Tatsache, dass ihre Musik Millionen von TikTok-Teens erreichte, die ihre Band bisher maximal von H&M-Bandshirts kannten.

Weniger erfreut hingegen: Die Menschen, die sich als „echte“ Metallica-Fans bezeichnen, was auch immer das bedeuten mag. „I’m sorry Metallica for all the fake Stranger Things fans“, schrieb ein*e User*in auf TikTok unter ein Posting der Band, worauf diese antwortete: „In der Metallica-Familie sind alle willkommen. Wenn ihnen ‚Puppets‘ gefällt, ist die Chance groß, dass sie viele andere Songs finden, die sie mögen werden.“ Egal, ob man seit 40 Stunden oder 40 Jahren Fan sei, man sei durch die Musik verbunden, hieß es weiter, denn immerhin hätten alle Fans einmal bei Null angefangen. Und somit war es amtlich: Die Zeiten des Musik-Gatekeeping waren endgültig vorbei – zum Glück.

Verena Bogner

Verena Bogner

Verena Bogner ist freie Journalistin und Autorin und schreibt gerade an ihrem ersten Buch. Sie liebt Mainstream-Popkultur und findet, es gibt keine Guilty Pleasures.

Was ist Music Gatekeeping

Grundsätzlich versteht man unter Music Gatekeeping das Bedürfnis mancher Fans, den „Mainstream“ von der eigenen Lieblingsband fernzuhalten. Damit geht ein gewisses Bedürfnis nach Exklusivität einher, der Anspruch, sich so richtig mit einer Band befassen zu müssen, jeden einzelnen Albumtrack kennen zu müssen, um sich das Recht zu verdienen, sie abzufeiern. Ein elitäres Mindset, dessen Verfechter*innen oftmals auch an vorderster Front dabei sind, wenn es darum geht, andere für ihren Musikgeschmack zu shamen.

Ich gebe es zu, ich liebe Pop. Ich bin so wie aktuell gefühlt jede junge Frau Fan von Harry Styles und habe mehr Geld für ein Konzertticket für seine Stadion-Show ausgegeben, als mir lieb ist. Kenne ich jedes seiner Alben auswendig? Nein. Schäme ich mich, weil seine Songs auf Ö3 laufen? Ebenfalls nein. Bist du automatisch cooler als ich, weil deine Lieblingsband Fleetwood Mac heißt? Um es mit den Worten eines berühmten Memes zu sagen: I doubt it. Ich bewundere Lady Gaga, ich höre gerne die No Angels und bin seit Jahren Miley-Cyrus-Stan. Verklagt mich doch!

Was diese Artists gemeinsam haben? Die Welt möchte sie mir gerne als “Guilty Pleasure” verkaufen. Früher ging ich auf Bad Taste Partys, um Britney-Songs mitsingen zu können, natürlich ironisch. Wenn mich jemand fragte, was ich gerne höre, antwortete ich: Drake, Frank Ocean, Kanye West (schlecht gealtert, ich weiß). Natürlich war diese Antwort keine Lüge, aber eben auch nicht die ganze Wahrheit. Ich wollte nunmal nicht für meine wahren Lieblingssongs verurteilt und als weniger cool angesehen werden, bloß weil ich auf alles stehe, was die Mainstream-Pop-Industrie so hergibt.

Mittlerweile hat sich mein Bedürfnis nach Edginess gelegt – nicht zuletzt, weil ich verstanden habe, dass es viel cooler ist, zu dem zu stehen, was man wirklich von Herzen liebt, als unbedingt von so manchen Musiksnobs als cool gesehen werden zu wollen. Laut Urban Dictionary versteht man unter “Guilty Pleasure” “something cringey, that you find joy in watching”. Ist es nicht paradox, dass wir etwas als peinlich abstempeln, das uns Freude bereitet, anstatt einfach dazu zu stehen?

Ihr kennt doch bestimmt diese Memes, auf denen es heißt: I am cringe but I am free. Es ist in der Tat ziemlich befreiend, den eigenen Musikgeschmack von den Erwartungen anderer freizumachen, den restlichen Cringe, den man dabei vielleicht hin und wieder verspürt, schlichtweg zu embracen, “Party in the USA” von Miley Cyrus zu ballern und zu verstehen, dass es kein Guilty Pleasure gibt, sondern jeder Song, der uns gefällt, einfach nur Pleasure sein darf, ganz ohne Schuldgefühle. Sich für den eigenen Geschmack nicht mehr shamen zu lassen – das sollte einer unserer kollektiven Neujahrsvorsätze für 2023 werden.

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