FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Florence And The Machine

Cherie Hansson

Good life, good live (music): Der Auftakt beim Lido Sounds

Dreaming of a good life: Das Linzer Indie-Pop-Paradies Lido Sounds schließt eine Lücke in der heimischen Festivallandschaft und startet stark zwischen Sonne und Wolkenbruch mit Florence & The Machine, Anna Calvi, Danger Dan und Alt-J.

Von Katharina Seidler

Mit 16 sagte ich still
Ich will groß sein, will siegen
Will froh sein, nie lügen
Ich will alles oder nichts

Im Fall des allerersten Tages der allerersten Lido Sounds, das sich strenggenommen gar nicht als Festival bezeichnet, an diesem dreitägigen Konzertmarathon aus Indie-Köstlichkeiten jedenfalls ist das Buffett verdammt reich gedeckt. Ich will alles. Egal, ob man 16 oder 46 ist, es schließt sich hier eine Lücke, die sich seit ein paar Jahren in der heimischen Eventlandschaft aufgetan hat. Es gibt nun also wieder ein Festival, auf dem Anna Calvi spielt, auf dem die kluge, vertrackte Popmusik von Alt-J zur Hauptzeit erklingt und auf dem sich schon zu Mittag Menschenschlangen um Häuserblöcke schlängeln, gut gekleidet, mit kleinen verstreuten Tattoos und bald auch mit Glitzer im Gesicht, um Danger Dan am Klavier zu sehen.

Danger Dan am Lido Sounds Festival 2023

Andreas Graf

Danger Dan

In einem genialen Streich haben die Veranstalter des Lido Sounds einen Hauptact für den Eröffnungsslot um 13 Uhr gebucht, weswegen der Betonplatz vor der großen – wirklich riesigen! – Main Stage schon in der Mittagshitze gut gefüllt ist. Nach starker Empörung über die zunächst als One-Way-Tickets geplanten Eintrittskarten ist das zwischenzeitliche Verlassen des Geländes während der zehn Konzertstunden nun doch erlaubt, was auch angesichts dessen eine gute Idee ist, dass trotz der gut durchdachten Organisation am Gelände noch etwas Mangel herrscht an Schatten, Sitzgelegenheiten, Regen-Unterschlupfen. Chilli-Cheese-Fries am Beton im Schatten einer Mülltonne essen für’s Festivalfeeling.

Wettermäßig war es etwas gemein: Sämtliche Apps sagten keinen, null, zero Regen voraus, weswegen die meisten Leute keine Plastikjacke oder zumindest ein Ersatzleiberl eingepackt haben. Zweimal hat es am ersten Lido Tag dann aber ordentlich geschüttet, glücklicherweise nur kurz, aber für nasse Schuhe und klamme Jeansjacken reicht das allemal. Auf dass jede*r daheim noch einen guten Tee bekommen hat!

Publikum am Lido Sounds Festival 2023

Florian Lehner

Als Danger Dan in seiner Soloinkarnation als Rio Reiser-Wiedergänger in die Tasten greift, strahlt die Linzer Sonne aber noch ordentlich auf den Platz, der wahlweise Urfahrmarkt oder Urfahranermarkt heißt, großes Rätsel. So, wie Tocotronic in der Regel zu Ingrid Caven auf die Bühne kommen, erklingt hier in Linz Hildegard Knef, als das Nord-Stage-Piano bereit gemacht wird (siehe Zitat eingangs). Die ersten veganen Waffeln der Essenstände duften, wenn es losgeht und Danger Dan in seiner geliebten weinroten Jacke kluge Stücke zwischen Punk und Liedermacher-Romantik darbietet. Stellenweise sogar durch ein Streichquartett verstärkt, geht es munter vom Mordmethoden und dem Verprügeln von Sextouristen zu großen Liebesliedern rund um die einfachsten Fragen: Schläfst du heut bei mir?

Natürlich fehlt auch der Geniestreich, seine politische Agitationshymne nicht, und in „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ bringt Danger Dan unter großem Jubel an diesem Nachmittag die Namen Karl Lueger, Martin Sellner und HC Strache im Songtext unter, in dieser Reihenfolge. Ich wünsche mir einen anderen Martin auf den Platz, mit Brille und zerzaustem Haar und einem Weinglas in der Hand, der auch einen Rio kennt. „Das kann uns niemand nehmen: Wir waren die erste Band, die jemals auf diesem Festival gespielt hat. Und ihr ward die ersten Besucher*innen,“ sagt Danger Dan zum Schluss und kündigt noch an, bei der zwanzigsten Ausgabe des Lido Sounds gern wieder dabei sein zu wollen, „mit 60 und dann vielleicht mit meiner zukünftigen Punkband.“ Deal.

Publikum am Lido Sounds Festival 2023

Sebastian Neugebauer

Und später, sagte ich noch
Ich möcht’ verstehen, viel sehen, erfahren, bewahren
Und später, sagte ich noch: Ich möcht
Nicht allein sein und doch frei sein

AVEC am Lido Sounds Festival 2023

Andreas Graf

AVEC

Definiere Konzertgefühl, vielleicht so? Gute Musik mit guten Menschen horchen, dazu braucht es eigentlich auch kein Riesenrad und keine Whiskeymarken-Karaokebühne. Das Lido Sounds gibt sich abseits der Bühnen jedenfalls herrlich unaufgeregt. 13.000 Schritte bekommt man aber wohl gut zusammen, während man zwischen Partyzelt (sehr gute Local Heroes dort etwa Lou Asril und Avec, bei deren Set es vor lauter Andrang erstmals zu Einlassstopps kommt) und Hauptbühne hin und her sprintet. Ein Kartoffelpuffer als Wegzehrung geht sich da auch noch aus.

My Ugly Clementine am Lido Sounds Festival 2023

Andreas Graf

My Ugly Clementine

Nach dem gutgelaunten, verschwitzten Set von My Ugly Clementine, die mit ausgestreckter Hand zum guten, kollektiven Leben einladen („Are you in?“) und nach dem ersten, heftigen Regenguss des Tages kann die britische Musikerin Anna Calvi ihr Set mit einiger Verspätung und Verkürzung zum Glück doch noch spielen. Ihr bluesiger Rock ist dunkel, ohne düster zu sein, setzt vielmehr auf die elegante Grandezza seelenverwandter Gitarrengöttinnen wie PJ Harvey als Tanz von Kraft um eine Mitte. Alles köchelt immer punktgenau unter dem Siedepunkt, bis Anna Calvi ihn mit einem Wimpernschlag überschreitet, wenn sie das will. „I opened the door, wide, I wanted to survive“ singt sie gewohnt stimmlich virtuos mit großer Geste in „Hunter“, und tatsächlich reißt die Wolkendecke in diesem Moment wieder auf. „Nothing lasts!“

Anna Calvi am Lido Sounds Festival 2023

Andreas Graf

Anna Calvi

Das Wunderbare an Festivals ist ja, dass Acts, die normalerweise vielleicht noch auf kleineren Bühnen unterwegs wären, durch geschickte Programmierung dann schon vor vollem Haus, in diesem Fall im Ahoi! Pop Summer Stage Zelt, stehen können. So geschehen am Lido Sounds Eröffnungstag bei Arlo Parks bei ihrem Österreich-Debüt. Die Londoner Songwriterin verwandelt intime, zwischenmenschliche Momente in allgemeingültige Hymnen an Nächstenliebe, Freundschaft und Toleranz. Songs wie „Black Dog“ oder „Hurt“ erzählen federleicht und zart groovend von mentalen Problemen und breiten die Arme, die dich auffangen, ganz weit auf; live zieht Arlo Parks’ Band ihnen zusätzlich ein frühsommerliches Funk-Kleid an, das ausgezeichnet passt.

Arlo Parks am Lido Sounds Festival 2023

Andreas Graf

Arlo Parks

Vielleicht ist die Botschaft „come as you are“ eine Art inoffizielles Motto dieses ersten Lido Sounds Tages. „Irgendwo in dieser großen Welt kann irgendwer das Lied hier besser als ich spielen“, hieß es zuvor schon bei Danger Dan, „aber meine Freundin wollte trotzdem lieber mich.“ Ihren Höhepunkt erreicht das Fest der Selbstliebe und Akzeptanz dann natürlich bei Florence & The Machine, die mit ihrer Band und einer rätselhaften, aufgebauten Geisterstadt in der Bühnenmitte ihrem Status als perfekter Headliner gerecht wird. Handys weg und sich gefälligst auf die Menschen konzentrieren, mit denen man hierher gekommen ist, fordert sie richtigerweise bei ihrem mittlerweile 14 Jahre alten Überhit „Dog Days are over“, und wirklich liegen sich beim Einsatz nach dem Break alle in den Armen. Jemand munkelt von 25.000 Leuten auf dem Platz: „Happiness hit her like a train on a track!“

Man muss wirklich nicht gern barfuß durch Wiesen springen, um von der spirituellen Musikmesse von Florence Welch an diesem Abend mitgerissen zu sein. „When I’m dancing I am free“ heißt es zwar zu Beginn, während die Protagonistin Runde um Runde dreht, ihr rotes Haar schüttelt und das altrosa Glitzerkleid Wellen schlägt. Dennoch hat das Hippiemäßige an Welchs Erscheinung nichts Liebliches, vielmehr sind es traditionell männlich konnotierte Signifier, mit denen sie operiert.

Ähnlich wie etwa Nick Cave, auch im Predigerinnen Gestus und im Händereichen in den ersten Reihen, arbeitet sich Florence Welch an großen Begriffen ab, an „God“ und „Jesus“, an „Hunger“, an men und mankind, und es geht ihr nie um weniger als alles: „You need a big god, Big enough to hold your love.“

Ihre Musik ist schön und hymnenhaft im klassischen Sinn, sie singt mit Vibrato und lässt die Rüschen ihres Kleides fliegen, und dennoch ist Florence Welch nicht mädchenhaft. Sie hat etwas Majestätisches und im guten Sinne „Herrisches“, wenn sie sich die Bühne und die Rollen, die ihr zustehen nimmt: „I am no mother, I am no bride, I am king.“ Das Hippiemantra des Händereichens dreht sie ins Extreme: Öffne dein Herz nicht zaghaft, sondern reiße es auf und finde darin all das Blut und den Schleim (oder was auch immer), der dazu gehört. Es tut weh, aber es ist echt, und daher geht sich bei dieser ungewöhnlichen Künstlerin eine derartige Show aus, ohne prätentiös zu sein. Am Ende die Absolution von Florence Welch ans Publikum: „We will not go home hungry tonight, we have been so well fed.” Note to self: Am zweiten Lido Tag vielleicht auch etwas Anderes als Kartoffelspeisen essen.

Aktuell: