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Buchcover "Kasse 19"

Luchterhand

Periodenblut als Lippenstift

Claire-Louise Bennett ist eine britische Autorin, die in der irischen Küstenstadt Galway lebt. In „Kasse 19“ schreibt sie über ihre literarischen Erweckungen und Inspirationen. Die Schönheit von Auberginen stehen hier selbstverständlich neben Friedrich Nietzsche, Virgina Woolf und einer gigantischen Bibliothek mit nur einem Satz; dem alles entscheidenden.

Von Anna Katharina Laggner

Während der Lockdowns war nicht viel zu erleben, man musste auf den eigenen inneren Reichtum zurückgreifen. Claire-Louise Bennett hat Texte und Geschichten ausgehoben, die sie vor 20 Jahren geschrieben hatte. Etwa über einen eleganten Mann namens Tarquin Superbus, der vor sehr langer Zeit entweder in Venedig oder Wien lebte, dessen bevorzugtes Küchengerät der Schneebesen ist, „Leichtigkeit, Leichtigkeit, Luft. Ja, Tarquin liebt den Schneebesen!“ und der sich eine riesige Bibliothek anschaffte.

Buchcover "Kasse 19"

Luchterhand

Aber in den Büchern dieser Bibliothek sind alle Blätter weiß, in der ganzen riesigen Bibliothek steht nur ein Satz, und den muss man erst mal finden. Ausgehend von dieser ebenso skurrilen wie inspirierenden Geschichte hantelt sich die Autorin zu ihren eigenen Lese-Erfahrungen, beziehungsweise den Lese-Erfahrungen ihrer Ich-Erzählerin, auch diese würden eine Bibliothek füllen: Günter Grass, Marguerite Duras, Thomas Bernhard, Francoise Sagan, Milan Kundera, Virginia Woolf, Ezra Pound, Anaïs Nin, was auch immer, sie hat es gelesen. (Irgendwann aber nur mehr Frauen, „Bücher von Frauen nahmen meine gesamte Zeit in Anspruch“).

Die Aufzählungen ihrer Erweckung durch Bücher zählen zum schönsten in „Kasse 19“. Sehr leicht könnte das angeberisch werden, langweilig auch, aber die Ich-Erzählerin hält sich nicht mit Inhaltsangaben auf, ihr dienen die Bücher als Sprungbrett für eigene Assoziationen und Erinnerungen: etwa an die Menschen, mit denen sie über die Bücher gesprochen und dazu Earl Grey mit Baileys getrunken hat, an die Räume, in denen sie gelesen hat – am liebsten in kleinen Zimmern - an die Menschen, von denen sie Bücher bekommen hat, etwa einen dicken, russischen Mann, der immer mit einem riesigen Korb in den Supermarkt kam, an dessen Kasse 19 sie jobbte, und ihr eines Tages Friedrich Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse“ mit den Worten „Mach damit, was du willst“ überreichte.

Autorin Claire-Louise Bennett

Marc Walsh

„Kasse 19“ besteht aus sieben lose miteinander verbundenen essayistischen Erzählungen. Die Eleganz dieser Texte liegt darin, dass hier alles gleichberechtigt ist, das Kleine wie das Große, die Neben- wie die scheinbare Hauptsache. Claire-Louise Bennett schreibt über ihre Schwäche für Auberginen, die „so stramm in eine kugelsichere Dunkelheit gehüllt sind“, über ihre Großmutter, die auf der Straße allerhand Sachen sammelte und früh erkannte, dass (auch) ihre Enkelin ein Freigeist ist, Bennett schreibt über ihre Schulzeit, ihr Studium, über Zugfahrten und kehrt immer wieder für einen Moment zurück an die Kasse 19. Wie immer, wenn persönliches Schreiben gelingt, springt der Funke über und man findet sich als Lesende selbst in diesen Texten, wird bereichert, inspiriert, getröstet.

„Kasse 19“ ist sprachlich präzise komponiert, es gibt lange mäandernde Sätze, Assoziationsketten, Reprisen, dazwischen ganz kurze, sich teils wiederholende Ellipsen und poetische Metaphern. Es ist ein Buch über Inspiration, Trost und intellektuelle Entwicklung durch Literatur, es spielt an unterschiedlichen Orten (auch in Innsbruck und am Achensee, in dem die Ich-Erzählerin eines Tages Erfrischung findet, danach aber im öffentlichen Verkehr strandet und vom Wohlwollen eines Busfahrers abhängig wird). „Kasse 19“ handelt nicht zuletzt davon, wie ein kleines Mädchen aus einer kleinen Stadt im Südwesten Englands darauf gekommen ist, etwas anderes zu wollen als alle anderen. Einen Lippenstift, so rot, wie das Blut am ersten Tag ihrer Periode genauso wie einen Kronleuchter aus Auberginen.

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